Es wird sehr viel darüber diskutiert, HR-Prozesse ansprechender zu gestalten und die Employee Experience, also das Erlebnis der Mitarbeiter, etwa im Bewerbungsprozess, zu verbessern. Der Software-Markt um Mitarbeiterengagement ist innerhalb weniger Jahre auf einen potenziellen Markt von mehr als einer Milliarde Euro angewachsen. HR-Prozesse einfacher und verständlicher zu machen, ist ein großes Geschäft geworden.
HR kämpft gegen das Bürokratie-Image
In den letzten Jahren haben Personalleiter auch eine wesentliche Rolle bei der Förderung der Arbeitgebermarke übernommen. Viele diskutieren in diesem Kontext über "Purpose". Awards für den besten Arbeitgeber, die beste Arbeitgebermarke und weitere Auszeichnungen und Siegel zeigen: Arbeitgeberbewertungen sind zu einer eigenständigen, boomenden Branche geworden.
Personalabteilungen sind bemüht, ihr bürokratisches Image abzubauen. In vielen Fällen ist es gelungen, Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen, sei es bei der Personalauswahl und im Recruiting, beim Lernen, beim Performance Management oder sogar bei der Gehaltsabrechnung. Mein Linkedin-Feed zeigt regelmäßig Personalleiter und Personalleiterinnen, die hervorheben, wie sie Transformationsprojekte, Innovations-Initiativen oder Digitalisierungsprojekte umgesetzt haben und wie gut sie ihren Organisationen beim Übergang ins Homeoffice geholfen haben. Das ist lobenswert. HR muss die eigene Arbeit effektiver vermarkten. Daher ist es zu begrüßen, wenn Personalleiter mit einem breiten externen Publikum kommunizieren.
Der Arbeitsvertrag als "Experience"?
Bis zur vergangenen Woche hatte ich aber noch nie einen Personalleiter gesehen, der den Arbeitsvertrag grundlegend verändern und ansprechender machen wollte. Der Arbeitsvertrag, das war immer ein komplexes, seriöses Rechtsdokument, gefüllt mit mächtigen Wörtern und langen Sätzen mit vielen Kommas – im Englischen wie im Deutschen. Die Zusammenstellung und Unterzeichnung des Vertrags war schon immer das schwächste Glied in der Kette des Onboarding-Prozesses. Hier trifft der ansonsten durchoptimierte Rekrutierungsprozess auf gesetzliche Vorschriften und Zehn-Punkte-Schriftarten. "Ordnung muss sein" - bringt aber viel Papierkram mit sich.
Deshalb hat mich der Arbeitsvertrag des niederländischen Schokoladenherstellers Tony's Chocolonely sofort begeistert, wie viele andere Kenner der Szene auch. Es ist zwar kaum zu glauben, aber der Vertrag sieht tatsächlich genauso aus, wie in der Infografik abgebildet (s. oben). Kristel Moedt, Head of People and Culture bei Tony's Chocolonely, hat den Vertrag auf Linkedin gepostet.
Did you ever think to join a cool, informal company until you got your new employment contract under your nose? 🤔 At least 8 pages with some very useful things in it and a lot of formal clauses you had to stick to? We did pretty well at Tony's Chocolonely but thought we could raise the bar 🍫.
Together with Bruggink & Van der Velden and employment lawyer 🚀 Daniël Maats we created our 1-page contract. We laid down the most important things and for the rest, we rely on mutual trust and common sense. And okay, there is a 2nd page with our values and promises we make to the new Tony."
Auf ihre provokante Frage nach achtseitigen Arbeitsverträgen mit unnötigen Details und formalen Verklausulierungen entstand eine lebhafte Diskussion. Moedt erklärt, bei Tony's Chocolonely wolle man die Latte höher legen und habe zusammen mit Daniel Maats, Anwalt für Arbeitsrecht, den einseitigen Standardvertrag entwickelt. In den Kommentaren teilte Moedt außerdem mit, man sei dabei, auch eine Variante für Deutschland zu entwickeln.
HR-Prozesse bis ins letzte Detail neu gestalten
Dieser Arbeitsvertrag ist das beeindruckendste Beispiel für die Neugestaltung von HR-Prozessen, das ich seit Ewigkeiten gesehen habe. Der Ansatz ist auf mehreren Ebenen bemerkenswert:
- Die tiefgreifende Einfachheit der Idee wurde mit Liebe zum Detail ausgestaltet.
- Der neue Arbeitsvertrag verstärkt die Unternehmensmarke, das zeigt der Vergleich mit Website und Marketingauftritten. Alles ist aufeinander abgestimmt.
- An dem Beispiel wird deutlich, dass fast alles, sogar der Arbeitsvertrag, durch durchdachtes Design verbessert werden kann.
- Tony's wird damit zu einer sehr beliebten Schokolade in der HR-Szene werden.
- Wenn Sie so etwas mit dem Arbeitsvertrag tun können, funktioniert das mit so ziemlich jedem Prozess.
Ein Arbeitsvertrag, der die Unternehmenswerte widerspiegelt
Der Ausdruck "Ticket of Trust" gefällt mir sehr. Er fasst das Versprechen der Arbeitgebermarke des Unternehmens und die Verpflichtung der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen auf brillante Weise zusammen. Die Unternehmensmarke von Tony's fokussiert sich stark auf soziale Gerechtigkeit und faire Produktionsbedingungen ohne Sklavenarbeit in der Kakaoindustrie. Diese Arbeitgebermarke spiegelt sich auch im Design des Arbeitsvertrags wider und wird so verstärkt.
Glückwunsch an das HR-Team, den Designer und den Arbeitsrechtsanwalt, die das möglich gemacht haben. Das ist genial. Ich werde mir gleich mal Schokolade von Tony's Chocolonely kaufen.
Thomas Otter ist Gründer von Otter Advisory und berät große und kleine Unternehmen, Investoren und HR-Tech-Anbieter. Zuvor leitete er das Produkt-Management bei SAP Success Factors und war Research Vice President bei Gartner für HR Tech. Das Zusammenspiel von HR und Technologie fasziniert, desillusioniert und inspiriert ihn immer wieder.
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