Eigentlich bin ich zu alt für diese Überschrift. Denn ich bin im November 1967 geboren. Damit habe ich das magische Jahr 1968, das 2018 fünfzigsten Geburtstag feiert, knapp verfehlt. Zum anderen bin ich viel zu jung für diese Überschrift. Denn die Menschen, die es geprägt und intensiv erlebt haben, sind alle knapp zwanzig Jahre älter als ich.
Dennoch bin ich ein Kind dieser Zeit. Deshalb will mich an dieser Stelle in den kommenden Wochen einer großen Frage widmen, die damals überkochte und bis heute nachwirkt. Es geht ums Führen und Folgen. Wahrlich ein Thema, das auch die Menschen in unseren Unternehmen beschäftigen muss. Und das tut es auch. Aber sowas von!
Schöne neue Arbeitswelt
Da sind die ganzen neuen Theorien von transformationaler Führung (mit Vorbild und Überzeugungskraft), lateraler Führung (ohne Weisungsbefugnis), verteilter Führung (verteilt auf mehrere Köpfe oder Rollen) und, wer’s englisch mag, von "Servant Leadership" (Weg freimachen und im Hintergrund bleiben) und "Digital Leadership" (auf jeden Fall was mit Mensch und Technik).
Da sind die Praktiken von Selbstorganisation und die Ideale einer neuen, selbstbestimmten und sinnerfüllten Arbeit ("New Work"). Da sind Filme wie "Augenhöhe 1 und 2" (gute, neue Arbeitswelt) oder "Work hard, play hard" (böse alte Arbeitswelt). Da gibt es überwiegend nur noch flache Hierarchien oder sogar Holokratien, die ganz ohne Hierarchie auskommen (wollen).
Man findet auch kaum mehr Pflichterfüller, Anzugträger und Weisungsbefugte. Dafür wimmelt es von Organisationsrebellen, Design Thinkern und Game Changern. Der SAP-Personalvorstand posiert als HR Punk (Disruption!), der Siemens-Personalvorstand ist eine Frau und glaubt an den "Survival of the Hippest" (Start-up-Kultur!). Man trägt jetzt immer öfter Hoodie und hat "Follower". Aber sind damit die Herausforderungen von Führen und Folgen in der neuen Arbeitswelt schon gemeistert?
Führen: Wo bleibt das Folgen?
Immer dringlicher stellt sich 2018 die Frage: Geht führen auch ohne folgen? Vielen wäre das das liebste. Denn führen hat etwas mit Autorität zu tun – und die hat spätestens seit 1968 keinen guten Klang mehr. Mit gutem Grund hat diese Nachkriegsgeneration gegen das Autoritäre und damit jede Form von anmaßender Obrigkeit rebelliert. Und sie hat mit Leidenschaft gegen traditionelle Autoritäten, also Amts- und Würdenträger aller Art, aufbegehrt ("unter den Talaren der Muff von tausend Jahren").
Ich meine: Wir müssen uns mit Führen und mit Folgen, ja mit Autorität per se wieder befassen. Auch und gerade 50 Jahre nach 1968. Umso mehr, als die einen nach Disziplin rufen und autoritäre Führer wählen - und die anderen auf Selbstbestimmung pochen und mit dem Folgen nach wie vor ihre Probleme haben. Also fange ich hier und heute damit an. Und stelle klar: Dass da welche führen und welche folgen, daran geht für mich kein Weg vorbei.
Eine Entwicklung, keine Revolution
Führen und Folgen sind die Grundpfeiler gelingender Zusammenarbeit in Unternehmen. Autorität hat nicht ausgedient, muss aber anders wahrgenommen werden.
Gerade in einer Ökonomie, die auf Innovation, Wissen und schnelle Anpassungsfähigkeit angewiesen ist, müssen sich die Parameter von Führung verschieben:
- vom Vertikalen (Über-/Unterordnung) in die Horizontale (Augenhöhe),
- von der Macht (Dinge durchsetzen) hin zum Einfluss (Menschen gewinnen),
- vom Rang und Status hin zu Wissen, Erfahrung und Persönlichkeit
- vom eigenen Führungsanspruch zur Führungsermächtigung durch andere.
Das ist dann weder Rebellion noch Revolution. Es ist vielmehr Reaktion auf eine Entwicklung, die von neuen Werten, neuen Techniken und neuen ökonomischen Gegebenheiten getrieben wird.
Spür den Unterschied!
Unter diesen Vorzeichen heißt es dann in Fragen von Führung, Zusammenarbeit und Autorität nicht mehr: "Folge mir, weil ich das Sagen habe. Punkt." Sondern: "Ich folge Dir, weil Du in dem, was Du denkst, sagst und tust, mir voraus bist. Nicht generell und prinzipiell, aber in diesem Projekt, in diesem Thema, in dieser Frage. Dank Dir kann ich was reißen, lernen und bewegen." Spüren Sie den Unterschied?
Dennoch: Wenn man darüber nachdenkt, die Wissenschaft befragt und unsere Unternehmen betrachtet, ist das ein weites Feld – und damit genug Stoff für ein paar Kolumnen aus der Welt des Führens und Folgens.
Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen in Organisationen und auf Märkten, dank ihres Wissens und ihrer Ideen in Führung zu gehen.