Warum Bewerber ein Stellenangebot (nicht) annehmen


Kolumne Psychologie: Warum Bewerber einen Job annehmen

Das ist ein Super-Gau für Recruiter: Ein vielversprechender Bewerber lehnt das Jobangebot ab. Das lässt sich zwar auf den Fachkräftemangel schieben. Aber wie Professor Uwe P. Kanning zeigt, gibt es vielschichtigere Ursachen dafür - auch die Methoden der Personalauswahl zählen dazu.

Schon vor vielen Jahren, als noch gar nicht vom inzwischen gern zitierten "War for Talent" die Rede war, berichtete die Führungskraft eines deutschen Großunternehmens von folgender Begebenheit: Ein junger Hochschulabsolvent mit erstklassigem Lebenslauf durchläuft bravourös das Verfahren zur Auswahl der künftigen Trainees. Das Unternehmen bietet optimale Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln und Karriere zu machen. Wer mag, kann in der ganzen Welt für den Konzern arbeiten oder sich eine Nische im beschaulichen Deutschland suchen. Der Konzern gehört zu den renommiertesten Unternehmen des Landes und bietet Arbeitsplatzsicherheit wie sonst nur eine Behörde – mit dem feinen Unterschied, dass man hier ein Vielfaches verdient. Erwartungsvoll geht die Führungskraft in das Feedbackgespräch und unterbreitet dem Bewerber die frohe Botschaft. Falls der Kandidat ihr – wider Erwarten – nicht gleich um den Hals fallen sollte, kann der Firmenvertreter noch ein wenig pokern und bis zu 10.000 Euro auf das ohnehin schon üppige Salär aufschlagen. Das sollte eigentlich reichen. Doch weit gefehlt, am Ende zieht der Bewerber von dannen und lässt seinen Gesprächspartner ebenso verdutzt wie gekränkt zurück.

Der Mittelstand muss sich noch mehr anstrengen

Personalchefs mittelständischer Unternehmen dürfte in dieser Hinsicht sicherlich schon längst ein dickes Fell gewachsen sein. Auch hier kommt es aber immer wieder zu Begebenheiten, die nachdenklich stimmen. So zum Beispiel der Fall eines Hochschulabsolventen, der sich – nachdem man ihm freudig ein Stellenangebot unterbreitet hatte – höflich bedankte und zu verstehen gab, dass er die Offerte gern auf Rangplatz 3 der in den vergangenen Tagen eingegangenen Angebote platzieren würde. Ein schöner Achtungserfolg für den Mittelständler.

Faktoren, die einen Arbeitsplatz attraktiv machen

Viele Personalverantwortliche kennen inzwischen solche oder ähnliche Geschichten aus eigener Anschauung. Doch wo genau liegt das Problem? Welche Faktoren entscheiden darüber, dass ein Bewerber ein Stellenangebote ablehnt oder annimmt? Eine amerikanische Metastudie ging vor einigen Jahren dieser Frage nach und kam zu interessanten Befunden:

  • Auf Platz 1 liegen die Merkmale des Arbeitsplatzes wie etwa die Arbeitsumgebung, Arbeitsinhalte oder die zu erwartende Entlohnung (33 Prozent Bedeutsamkeit). Dies verwundert nicht weiter.
  • Fast ebenso bedeutsam ist jedoch, wie der Bewerber das Auswahlpersonal erlebt (28 Prozent). Das Auswahlverfahren ist die Visitenkarte eines jeden Unternehmens. Wirkt das Personal unstrukturiert, unzuverlässig, wenig kompetent et cetera so projizieren viele Bewerber dies auf das gesamte Unternehmen und glauben, dass der Arbeitgeber unprofessionell sei.
  • Wer nun denkt, Bewerber wollen vor allem von freundlichem Auswahlpersonal verhätschelt werden, der irrt gewaltig. Ebenso wichtig wie das Auftreten des Auswahlpersonals ist, dass die Bewerber die Möglichkeit sehen, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen (28 Prozent). Vor allem leistungsstarke Bewerber wollen nicht eingestellt werden, weil sie brav ihre Bewerbungsmappe nach den neurotischen Regeln der Ratgeberliteratur gestaltet haben oder weil sie auf die seit Jahrzehnten stereotypen Interviewfragen normkonform belanglose Antworten geben. Auch wollen sie nicht eingestellt werden, weil sie artig gelächelt haben, wenn der Firmenchef im Interview von seinen Heldentaten berichtet. Sie wollen vielmehr zeigen, was in ihnen steckt und gegebenenfalls im Wettbewerb mit anderen obsiegen.

Was ein Unternehmen unattraktiv macht

Wenn heute ein Unternehmen keine leistungsstarken Mitarbeiter anzieht, so hat dies wohl vor allem drei Gründe.

Der erst Grund: Employer Branding verspricht mehr als gehalten werden kann

Man stellt schlichtweg keine hinreichend attraktiven Arbeitplätze zur Verfügung. Der vermeintliche Ausweg, einfach mehr Geld in das Personalmarketing zu investieren, hilft nur zum Teil, denn auch durch die beste Werbung wird aus einem Lada niemals ein Bentley. Früher oder später erkennen die Bewerber – oder im schlimmsten Fall die Mitarbeiter – dass sie belogen wurden. Die hoch qualifizierten Kandidaten ziehen dann weiter. Zurück bleiben die Resignierten. Wer hier etwas ändern will, muss dicke Bretter bohren und tatsächlich als Arbeitgeber attraktiver werden.

Der zweite Grund: Das Auswahlpersonal ist unprofessionell

Das Auswahlpersonal tritt mit weniger Professionalität auf, als man es von den Bewerbern erwartet. Den Bewerber zwei Wochen lang auf eine Eingangsbestätigung warten zu lassen und dann selbst unvorbereitet zum Einstellungsgespräch zu erscheinen, schmeichelt zwar dem Ego des Firmenvertreters, vermag gute Bewerber aber kaum zu überzeugen. Manchmal hilft es schon weiter, sich zu fragen, wie man selbst das eigene Unternehmen aus der Perspektive des Bewerbers bewerten würde. Dies funktioniert allerdings nur dann, wenn einem das Employer Branding nicht schon alle Sinne vernebelt hat.

Der dritte Grund: Die Auswahlmethode taugt nicht

Das Auswahlverfahren ist so einfach gestrickt, dass es offenkundig nicht in der Lage ist, die Potentiale der Bewerber zu erfassen. Es ist ein grundlegender Irrtum zu glauben, dass man in Zeiten sinkender Bewerberzahlen das ohnehin schon niedrige diagnostische Niveau der meisten Auswahlverfahren noch weiter absenken muss. Je weniger Qualifizierte auf dem Markt sind, desto schwieriger ist es, sie mit schlechten Methoden zu erkennen. Hinzu kommt die Außenwirkung derartiger Verfahren. Warum erwartet man von Hochschulabsolventen erstklassige Noten, Auslandsaufenthalte, gesellschaftspolitisches Engagement und vieles mehr, wenn es am Ende doch nur darum geht, im Einstellungsinterview jemandem zu gefallen? Nur diejenigen Unternehmen, in denen Unterwürfigkeit die herausragendste Eigenschaft eines erfolgreichen Mitarbeiters ist, sollten es sich erlauben die Bewerber nach Gutsherrenart auszuwählen. In diesem Fall wird man dann sicherlich auch gut damit leben können, wenn die leistungsstarken Bewerber bei der Konkurrenz anheuern.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.