Von der Unternehmenskultur zur Sekte


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Kolumne: Ray Dalio als Beispiel für schlechte Führung

So manchen Mythos in der HR-Welt konnte Professor Uwe P. Kanning schon in seiner Kolumne aufklären. Mit psychologischen Fakten und einer großen Portion bissigem Humor klärt er über Mythen und Missstände im Bereich der Führung, Personalauswahl und Personalentwicklung auf. Heute zeigt er am Beispiel von Top-Manager Ray Dalio, welche Folgen fehlgeleitete Machtansprüche in der Unternehmensführung haben.

Jedes Unternehmen lebt letztlich davon, Menschen einzustellen, die möglichst gut zu den vor ihnen liegenden Arbeitsaufgaben passen und sich integrieren können. So weit, so gut. Bisweilen schießen manche Arbeitgeber in ihren Bemühungen um Passung und Corporate Identity aber weit über das Ziel hinaus. Ehe sich neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versehen, landen sie in einem System rigider Regeln, die eher an eine Sekte als an ein Unternehmen erinnern.

Verfehlungen in der Unternehmensführung

Nein, diesmal ist nicht die Rede von Arbeitgebern, die erwachsenen Menschen die Entscheidung darüber nehmen, welche Kolleginnen und Kollegen sie duzen und welche sie lieber siezen sollten. Auch wollen wir nicht von Unternehmen sprechen, die ihre Kassiererinnen und Kassierer permanent von Kameras überwachen lassen oder Mitarbeiter nötigen, sich gegenseitig täglich unerwünschtes Feedback zu gegeben. Derartige Übergriffe sind aus der Perspektive wahrhaft großer Firmenlenker nur Kinderkram. Ihnen geht es um sehr viel mehr.

Das Führungsbeispiel von Ray Dalio

Ein schönes Beispiel lieferte jüngst ein Pressebericht über den US-amerikanischen Hedgefonds-Manager Ray Dalio. Eigentlich könnte der 71-Jährige als Selfmade-Milliardär seinen wohlverdienten Ruhestand auf einer 100-Meter-Jacht in der Karibik genießen, doch das passt wohl nicht so recht zum American Way of Life. Milliardäre gibt es hier viel zu viele. Wer als wirklich einzigartige Unternehmerpersönlichkeit in die Geschichte des Landes eingehen will, der muss zumindest auch amerikanischer Präsident gewesen sein oder Weltraumflüge organisieren. Im Vergleich hierzu nimmt sich das Vorhaben von Dalio fast schon bescheiden aus. Ihm reicht es, Menschen nach seinem Ideal zu formen.

Grundlage der Unternehmenskultur: 200 Glaubenssätze

Hierzu hat er zum einen ein Buch geschrieben, in dem er die ewigen Wahrheiten erfolgreicher Schaffenskraft zu Papier bringt, zum anderen gibt es einen eigenen Psychotest. In seinem Buch, das für die eigenen Mitarbeiter zu einer Art Bibel geworden ist, formuliert er mehr als 200 Grundsätze. Woher seine Erkenntnisse stammen, bleibt unklar. Aber rechtfertigen muss er sich natürlich nicht. Schließlich hat auch niemand einen empirischen Beleg für die Sinnhaftigkeit der zwölf Gebote gefordert. Zudem repräsentiert ein erfolgreicher Finanzunternehmer selbstverständlich den Gipfel intellektueller Schaffenskraft. Wer Milliarden gemacht hat, kennt die Welt, das Leben und die Menschen. Ihm können wir blind vertrauen. Zu Dalios Geboten gehören unter anderem tiefschürfende Erkenntnisse wie: "Suche nach Menschen, die glitzern", "akzeptiere keine Schlechtheit", "sei bereit, die Leute zu erschießen, die du liebst." In stiller Demut verneigen wir unser Haupt vor so viel Weisheit.

Mitarbeiter seines Unternehmens müssen sich natürlich streng an alle heiligen Grundsätze des Meisters halten und haben die Aufgabe, sich dabei gegenseitig zu kontrollieren. Und damit Big Brother auch sieht, dass sich alle brav an seine Regel halten, werden sämtliche internen Gesprächsrunden aufgezeichnet. Wer schlecht hinter dem Rücken anderer spricht – vielleicht sogar über den Firmengründer – der fliegt. Wie human. In ernstzunehmenden Diktaturen wird man für solche Sünden aufs Rad geflochten oder zumindest doch gesteinigt.

Psychotest für unternehmensweite Persönlichkeitstypologie

Im Fragebogen, dem sich alle Bewerbende und Mitarbeitende unterziehen müssen, werden 28 Archetypen unterschieden, die zum Teil an die "Persönlichkeitstheorie" des Meisters angelehnt sind. Alles natürlich hoch wissenschaftlich! Verglichen mit der Idee, Menschen in vier Farbtypen einzuteilen, erscheint dies schon fast differenziert, aber wer käme auch ernsthaft auf die verrückte Idee, Menschen in vier Farbtypen einzuteilen. Als Ideal dürfte "der Macher" gelten. Schließlich sieht sich der Firmengründer selbst als einen solchen. Und damit ist auch klar, in welche Richtung artige Mitarbeiter ihre eigene Persönlichkeit verändern müssen.

Laientheorie für das Archiv

Wer all dies für sinnvoll hält, der sollte konsequenterweise auch gleich noch den Mao-Anzug aus der Mottenkiste holen, allen Paaren zur Hochzeit das Buch des großen Unternehmensführers schenken und einmal jährlich Paraden auf dem Firmenparkplatz abhalten lassen. Spätestens jetzt kann der Firmengründer zufrieden dem Sonnenuntergang entgegenreiten. Sein Leben hat am Ende doch noch irgendeinen Sinn gehabt. Er hinterlässt den Erben nicht nur viel zu viel Geld, sondern hat die Menschheitsgeschichte auch um eine weitere Laientheorie bereichert. Dankeschön! Die hat uns gerade noch gefehlt.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.