Wenn in Ihrem Unternehmen in Führungspositionen schon eine Doppelspitze eine Herausforderung ist, dann sollten Sie hier gar nicht weiterlesen – oder auch umso mehr. Dass sich nämlich zwei Menschen die Führung teilen, ist nur der Einstieg in unser heutiges Thema – und ein Phänomen, das um sich greift.
Vier Arten, Führung aufzuteilen
Führung lässt sich auf viele Schultern verteilen und muss nicht notwendigerweise an definierten Personen und fixen Positionen kleben. Die Autoren des brandneuen Buches "Plural Leadership" sehen in verteilter Führung sogar eine "zukunftsweisende Alternative zur One-Man-Show". Sigrid Endres und Jürgen Weibler, Führungsforscher am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre der Fern-Universität in Hagen, haben sich die Modelle, Führung zu verteilen, genauer angeschaut. Sie kommen dabei auf vier Spielarten:
- Führungsdual (funktionale Doppelspitze)
- Duale Führungsspitze (Co-Leadership)
- Verteilte Führung (Distributed Leadership)
- Gemeinschaftlich verteilte Führung (Shared/Collective Leadership)
Die ersten beiden Varianten teilen Führung unter zwei Personen auf, die formal eine Führungsposition bekleiden. Die beiden weiteren Varianten teilen Führung innerhalb einer Gruppe auf.
Doppelspitze und Co-Leadership
Beim Führungsdual geschieht die Teilung entlang der Aufgaben und Kompetenzen der beiden Führungskräfte. Das kann der CEO sein, der die Geschäftsentwicklung verantwortet, und der COO, der die Leistungserbringung steuert. Hier führt und entscheidet jeder im Rahmen seines Tätigkeitsbereichs – gemeinsam verantworten sie das Gesamtergebnis.
Die duale Führungsspitze verzichtet auf solche Funktions- und Aufgabentrennung. Hier agieren zwei Personen bereits in "Personalunion" und führen, entscheiden und verantworten alles in allen Belangen gemeinsam. Gerade junge Wachstumsunternehmen, die von zwei Personen gegründet werden, wählen gerne dieses Modell.
Distributed und Shared Leadership
Verteile Führung (Distributed Leadership) wiederum erstreckt sich auf ganze Gruppen, in denen jeder führt und folgt. Allerdings wird auch hier, wie beim Führungsdual, entlang von Kompetenzen und Aufgaben die Führungsverantwortung geteilt. In interdisziplinären Teams verantwortet der Grafiker die Designfragen, der Entwickler die Technologiefragen, der Produktmanager die Businessfragen.
Ohne solche Trennung nach Kompetenz- und Aufgabenbereichen kommen Gruppen aus, die gemeinschaftlich verteilt führen (Shared Leadership). Hier, so Endres und Weibler, verschwimmt zunehmend die Wahrnehmung, wer führt und wer folgt. Die Mitglieder sind aufeinander eingeschwungen und arbeiten gemeinsam an einem großen Ziel. Das Ich (der Führenden und Geführten) verschwindet zunehmend hinter dem Wir (der Gruppe).
Geteilte Führung: worauf es ankommt
Wie in dieser Kolumne schon mehrfach thematisiert, ist Shared Leadership die anspruchsvollste Art, Führung zu verteilen. Doch sie kommt häufiger vor, als wir meinen. Consultingteams arbeiten so. Auch Managementboards, die gemeinsam ein Problem lösen wollen, stellen sich so auf (und scheitern oft genug daran, weil sie über Jahre hin auf personale Führung entlang von Aufgaben- und Kompetenzbereichen konditioniert waren). Endres und Weibler beleuchten wiederum ausführlich das Beispiel eines Netzwerks, in dem Vertreter mehrerer Unternehmen selbstorganisiert ein Branchenproblem lösen.
Damit solcherart geteilte Führung gelingt, bedarf es einiger Voraussetzungen. Diese sind:
- ein gemeinsamer Wille, das Problem zu lösen, der in ein gemeinsames Tun übergeht und um den sich eine auf den Sinn und das Ziel des Vorhabens eingeschworene Gemeinschaft bildet.
- der Fokus aller darauf, wer was (an Kompetenzen, Ideen, Erfahrung) in den Gruppenprozess einbringen kann.
- eine hohe Gesprächskultur, die das gemeinsame Tun, die Art zusammenzuarbeiten und zu entscheiden, permanent reflektiert.
- Entscheidungsprozesse, die nicht darauf abheben, was einzelne qua Amt und Kompetenz für notwendig erachten, sondern darauf aufbauen, was an Vorschlägen in der Gruppe auf breite Resonanz stößt.
Was geteilte Führung bewirkt
Das "zukunftsweisende Potenzial" von verteilter Führung, so betonen Endres und Weibler, speise sich aus Zusammenhängen, die "wissenschaftlich bereits gut belegt sind". Der einzelne steigere seine Arbeits- und Lebensqualität, Teams verbessern die Entscheidungsqualität, die Zusammenarbeit und ihre Innovationskraft. Auch gesamtgesellschaftlich zeige verteilte Führung positive Ergebnisse: Die Exzesse abgehobener, oft genug durch Macht und Selbstherrlichkeit korrumpierter Führungspersonen würden dadurch eingedämmt.
Bildlich gesprochen könnte man auch sagen: Verteilte Führung ähnelt dem Musizieren in einer "eingegroovten" Jazz-Combo aus gleichrangigen Virtuosen (siehe auch "Warum Status gerade unter Gleichen ein Thema ist"). Traditionelle Führungskonzepte dagegen setzen nach wie vor auf die dominierende Frontfrau oder den dominierenden Frontmann, der die Musiker dazu anleitet, den nötigen Klangteppich nach ihrer/seinen Vorstellung zu gestalten.
Übrigens können beide Ansätze wunderbare Musik hervorbringen. Mehr Erfüllung dürften die Musiker allerdings im ersten Modell erleben.
Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen in Organisationen und auf Märkten, dank ihres Wissens und ihrer Ideen in Führung zu gehen.