Wie viel Grün steckt drin?
Die Nachhaltigkeitswelle ist zwischenzeitlich auch in den Personalbereichen angekommen. Kein Unternehmen kommt im Jahr 2022 ohne ein Projekt zur Umsetzung der Dekarbonisierung aus. Denn: Unternehmen werden nachhaltig oder verschwinden. Vieles ist in Bewegung gekommen auf europäischer Ebene (EU-Taxonomie), auf gesetzgeberischer Ebene (CSR-Richtlinie), im Bereich der Selbstverpflichtungen (Deutscher Corporate Governance Kodex) oder bei den freiwilligen Erklärungen, bis wann man als Unternehmen den CO2-Footprint neutral halten möchte. Das ist vor allem für die klassische Industrie eine Herausforderung, denn die Gussproduktion zum Beispiel als erster Prozess im Maschinenbau ist von Haus aus ein Bereich mit hohem Energieverbrauch. Daher haben die Anstrengungen zur Dekarbonisierung Auswirkungen auf Produkte, Prozesse und ganze Geschäftsmodelle.
Zahlen sagen mehr als Worte
Die formale Vorschrift für börsennotierte Unternehmen ist in der "nicht finanziellen Berichterstattung" nach §§ 289 b ff. HGB begründet und umfasst mindestens Erläuterungen zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen sowie zur Achtung der Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung. Viele Firmen machen daraus einen umfangreichen "Nachhaltigkeitsbericht", um die Änderung in Produkten und Prozessen zu beschreiben. Die Corporate-Social-Responsibility-(CSR)-Berichte sind gesetzlich verpflichtend. Als Teil des Lageberichts unterliegt der CSR-Teil daher folgerichtig dem Audit der Wirtschaftsprüfer. Ein neues, ergänzendes Tätigkeitsfeld. Die drei Buchstaben ESG sind die Abkürzung für die drei Hauptthemen der Nachhaltigkeit: Umwelt ("Environment"), Personalthemen ("Social") und Compliance-Vorgaben ("Governance"). Eine prosahafte Beschreibung von "Social" ist dabei nur schwer zu fassen. Daher sind Zahlen im Sinne von "Messbarkeit" auch für den nicht finanziellen Bereich "highly welcome".
Auf der Suche nach messbaren Kriterien
Aber es gibt auch eine andere, massive Finanzwirkung der Dekarbonisierung: Rating und Ranking. Wie kaum ein anderes Instrument verlangt die Finanzierung des Unternehmens nach Bonitätsprüfungen, nach der Einschätzung von Analysten und Rating-Agenturen. Diese schauen sich die Angaben zur Nachhaltigkeit genau an und treffen auf die gleiche Herausforderung: messen, bewerten, vergleichen. Was wir von EBIT und Kurs-Gewinn-Verhältnissen kennen, wird transferiert auf die Nachhaltigkeit. Die als "Sustainalytics" bezeichnete Analyse der Nachhaltigkeitsbemühungen führt direkt zu einem Ranking.
Und was heißt das für die Personalarbeit? Zum einen werden viele Projekte zur Umsetzung geeigneter HR-Instrumente aufgelegt. Aber: Es wird und muss konkreter werden, messbarer, transparenter und damit vergleichbarer. HR ist also auf der Suche nach messbaren Kriterien, um den eigenen Nachhaltigkeitsbeitrag benennen zu können, es geht um das "S" von ESG und nach welchen Kriterien die Darstellung und Nachvollziehbarkeit läuft. Wie können Anstrengungen im Gesundheitsmanagement, wie kann der Status von Diversity, etwa die Angemessenheit einer Reisepolicy dargestellt und gemessen werden? Und zwar so, dass Analysten zufriedengestellt sind, dass eine Nachkommastelle im Ranking erklärt und verbessert werden kann. Es geht also schlicht um Normung.
Standards sind gefragt
Der Suchraum für eine normierte Erfassung und Darstellung der Nachhaltigkeit der Personalarbeit ist eröffnet. Vielleicht hilft ein Blick in die ISO 30414. Dieser Leitfaden zum Human Capital Reporting (DIN ISO 30414) gibt Empfehlungen an Unternehmen verschiedenster Größe und Branchen, in ihrer Berichterstattung den Beitrag des Humankapitals zur gesamten Wertschöpfungskette sichtbar zu machen. Die DIN listet rund 50 Reports auf, unterteilt in die Abschnitte "Compliance und Ethik", wobei die Auditbefunde und die Anzahl eingereichter Beschwerden validiert werden. Im zweiten Kapitel werden die Personalkosten analysiert und im dritten die Kennzahlen zu Diversity. Der dann folgende Abschnitt widmet sich dem Thema "Führung" und "Organisationskultur" und misst etwa die Retention-Quote und die Führungsspanne. Der nächste Abschnitt erfasst unter der Überschrift "Wohlbefinden, Arbeits- und Gesundheitsschutz" die Kennzahlen zu Ausfallzeiten und Unfällen. Den Recruitingthemen ist ein umfangreicher Abschnitt gewidmet; es werden der Beschaffungs- und Besetzungsprozess untersucht. Nachfolgeplanung und eine Wirksamkeitsrate für Nachfolge sind weitere Reports, ergänzt um Zahlen zu Weiterbildung und Ausbildung.
Ein weiterer Ansatz ist die Workforce Disclosure Initiative (WDI); sie zielt darauf ab, die Transparenz und Rechenschaftspflicht von Unternehmen in Personalfragen zu verbessern, Unternehmen und Investoren umfassende und vergleichbare Daten zur Verfügung zu stellen und dazu beizutragen, die Bereitstellung guter Arbeitsplätze zu erhöhen. Und ein anderer Vorschlag ist die Global Reporting Initiative (GRI). Seit ihrer ersten Einführung im Jahr 1997 sind die Leitlinien das weltweit am meisten genutzte Rahmenwerk, gerade im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung. GRI wurde offiziell als Berichtsstandard des UN Global Compact bestätigt und ist damit der führende Standardberichtsrahmen für die Unternehmen, die sich im Zusammenschluss des Global Compact zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet haben.
Warum kein Nachhaltigkeitskodex?
Das International Accounting Standards Board (IASB) formuliert Standards, die dann wie ein Gesetz wirken, nur dass sie aus der Praxiserfahrung heraus gestaltet und von Praktikern formuliert werden. Das bräuchte es auch für HR. Ein Beispiel, dass das gelingen kann, ist der Deutsche Corporate Governance Kodex. Dieser gibt verbindliche Vorgaben für die Ausgestaltung der variablen Vergütung der Vorstände börsennotierter Unternehmen. Durch die Entsprechenserklärung als scharfes Schwert wird die Umsetzung wirksam. Warum nicht einen Nachhaltigkeitskodex durch Praktiker formulieren und als Orientierungsrahmen zur Verfügung stellen? Als "Best of" GRI, WDI und ISO?
Fast überall werden 2022 ESG-Projekte im Personalbereich aufgesetzt. Daher gilt es, den arbeitsrechtlichen Rahmen zu verstehen, die Anforderungen aus HGB, Aktiengesetz, CSR-Richtlinie und Co zu erfassen und transparente, messbare und damit vergleichbare Projekte mit konkreten HR-Instrumenten aufzusetzen. Warum also nicht eine konzertierte Aktion aus Arbeitsrechtlern, Nachhaltigkeitsmanagern, Vergütungsspezialisten und Bilanzprofis, um die formalen Anforderungen an das ESG-Reporting zu definieren und zu beschreiben? Viele der benötigten Reports werden ohnehin vorhanden sein. Zumindest ist das die Feststellung, wenn man mal probehalber die Anforderungen der DIN ISO 30414 durchdekliniert.
Rupert Felder ist Personalleiter der Heidelberger Druckmaschinen AG, Vizepräsident des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) und Autor des Fachbuchs " Nachhaltigkeit und HR", erschienen bei Haufe 2021.
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 4/2022. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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