Wenn Sie die Strukturen in einem Unternehmen verändern wollen, dann müssen sich gleichzeitig die Strukturen in den Köpfen der Menschen verändern, die in diesen Strukturen arbeiten.
Die Netzwerkorganisation
Besonders müssen die Führungskräfte ihr bisherigeres Tun hinterfragen. In Netzwerkstrukturen dürfen die meisten Führungskräfte bleiben. Sie müssen aber ihr Führungsverständnis grundsätzlich verändern. Auf Führungskräfte, deren Führungsverständnis darin besteht, andere Menschen zu kontrollieren, muss auch in der Netzwerkstruktur verzichtet werden.
Führungskräfte nehmen in dynamischen Netzwerken eine neue Rolle ein. Nein, Sie werden künftig nicht nur für Ihre Präsenz auf der Brücke bezahlt. Sie müssen dorthin gehen, wo ihre Mitarbeiter arbeiten, also in den Maschinenraum. Führungskräfte sind Teil des Teams und sitzen gemeinsam mit ihren Mitarbeitern in einem Open-Space-Büro.
Eine Führungskraft ist nicht mehr der Chef einer Abteilung. Teams werden in Netzwerkstrukturen projektbasiert gebildet. Mitarbeiter können, wenn ihr Zeitbudget das zulässt, gleichzeitig in verschiedenen Netzwerken aktiv sein. Wenn die Ziele des Projekts erreicht wurden, dann löst sich das Netzwerk auf und es bildet sich ein neues. Die Führungskräfte sind nicht starre Abteilungsvorsteher, sondern wandern von Projekt zu Projekt und bilden immer wieder neue dynamische Netzwerke.
Führungskräfte als Netzwerkadministratoren
Die Führungskräfte moderieren die Prozesse des Netzwerkes. Sie sind die Netzwerkadministratoren. Sie fassen Ergebnisse zusammen und stimulieren die Mitarbeiter intellektuell. Sie stehen mit allen Mitarbeitern wechselseitig im Austausch. Die Führungskraft beeinflusst die Mitarbeiter, aber die Mitarbeiter beeinflussen auch die Führungskräfte. Gleichzeitig beeinflussen die Mitarbeiter sich untereinander. Das ist explizit gewünscht. Die Führungskraft motiviert und wird motiviert. Es entwickelt sich eine motivationale und wissensbezogene Dynamik zwischen den Akteuren des Netzwerks, die nicht berechenbar ist. Und genau das ist nützlich, um komplexe Probleme zu bewältigen.
Netzwerke organisieren sich selbst
Die Hierarchie garantiert ein maximales Maß an Kontrolle. Die dynamische Netzwerkstruktur kann in Maßen koordiniert, in den meisten Fällen aber nur moderiert werden. Hier kann ein Impuls gesetzt werden, dort kann ein Impuls eingefangen werden.
Aber "im Griff haben"? Das Arbeiten in Netzwerken kann nicht kontrolliert und beherrscht werden. Netzwerke organisieren sich selbst. Netzwerke kontrollieren sich auch selbst. Das ist übrigens viel billiger als die Fremdkontrolle durch eine Führungskraft. Die Führungskraft als Netzwerkadministrator schafft lediglich die Rahmenbedingungen dafür, dass das Netzwerk optimal arbeiten kann. Sie ist die Hebamme, die mit ihrer Prozesserfahrung die Arbeit so organisiert, dass neues Wissen von den Mitarbeitern geboren werden kann.
Warum komplexe Probleme Netzwerkstrukturen brauchen
Entscheidungen dauern in dynamischen Netzwerken länger, aber die Mitarbeiter sind nicht beschäftigungslos während dieser Phase. Die Mitarbeiter sind gemeinsam mit der Führungskraft am Entscheidungsprozess beteiligt. Die Entscheidungen dauern länger, aber dafür sind sie fundierter und werden der Komplexität der jeweiligen Problematik gerechter, weil mehr Wissen in die Entscheidungen einfließen kann.
In der hierarchischen Organisation entscheidet eine Person. Wenn die alles Wissen für die Entscheidung besitzt, dann ist das prima. Ansonsten geht die Sache krachend schief. Bei komplexen Problemen ist es extrem unwahrscheinlich, dass eine Person alles weiß, was für die beste Entscheidung notwendig ist. Das Netzwerk ist ein wichtiges Korrektiv für Fehlentscheidungen bei komplexen Problemen.
Macht abgeben, Unvorhersagbarkeit akzeptieren
Die Führungskräfte der Zukunft müssen die Unvorhersagbarkeit der Netzwerke akzeptieren und sie müssen Macht abgeben können. Dafür brauchen die meisten Organisationen andere Führungskräftetypen und Beförderungsanreize. Die Veränderung muss in den Köpfen beginnen. Die Führungskräfte in dynamischen Netzwerken müssen sich die Akzeptanz im Team verdienen und werden nicht einfach ernannt. Wenn ein Projekt ohne Führungskraft funktioniert (zum Beispiel bei Routineaufgaben), dann kann ein Team auch auf eine Führungsposition verzichten.
Führung muss nützlich sein. Sie wird nicht zum Selbstzweck erhalten. Die Führungskräfte in dynamischen Netzwerken sind am Erfolg ihres Teams interessiert und nicht am eigenen Fortkommen, der eigenen Wirkung und der persönlichen Bereicherung. Wer diese alte Macht will, der wird sie als Führungskraft in einer auf Empowerment ausgerichteten Organisation nicht finden.
Das Schöne an der modernen Form der Organisation ist, dass nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die meisten Führungskräfte ihre Arbeit als sinnvoller erleben werden. Menschen mit Excel-Listen zu gängeln und zu kontrollieren ist einfach, aber macht viel weniger Spaß als einen komplexen sozialen Prozess zu moderieren.
Die Führungskraft als Wissensmanager
Die Führungskraft in dynamischen Netzwerken ist auch ein Wissensmanager. Sie weiß, was die Menschen im Projekt wissen, und bringt wichtiges Wissen zusammen. Die Mitarbeiter und die Führungskraft stehen auch in Kontakt mit den Mitgliedern anderer Teams. Es gibt keine starren Grenzen zwischen Abteilungen und Teams mehr.
Genauso wie die Außenwelt komplex vernetzt ist, ist es auch die Innenwelt des Unternehmens. Wenn die Personalabteilung daran arbeitet, das Employer-Branding im Auswahlprozess zu verbessern, dann kann barrierelos das Wissen der Marketingexperten angezapft werden. Der Marketingexperte hat die Autonomie, sich diesem Projekt kurzfristig anzuschließen, und das Wissen kann genutzt werden.
Konkrete Maßnahmen, wie sich dynamische Netzwerke organisieren lassen, finden Sie in den folgenden Kapiteln "Agile Methoden" und "Holacracy".
Buchtipp:
Der obige Text ist ein Auszug aus dem Buch "New Work - Gute Arbeit gestalten. Psychologisches Empowerment von Mitarbeitern" von Professor Carsten C. Schermuly. Hier können Sie das Buch im Haufe-Shop bestellen.