Vertrauen Sie als Personaler oder Führungskraft vor allem Ihrer Intuition, Ihrem Bauchgefühl und Ihrer Menschenkenntnis? Herzlichen Glückwunsch, die Konkurrenzunternehmen werden es Ihnen danken.
Über die Jahre hinweg sorgen Sie dafür, dass vor allem gutaussehende Menschen eingestellt werden, die Ihnen brav nach dem Munde reden. Sie orientieren sich – ohne es zu merken – an Stereotypen und stellen bei der Besetzung von Führungspositionen vor allem große kräftige Männer ein, während ihnen allzu gutaussehende Frauen suspekt erscheinen, wenn sie sich in klassischen Männerdomänen bewerben. Bewerberinnen und Bewerber mit ausländischem Namen oder sächsischem Akzent haben bei Ihnen ebenso geringe Chancen wie übergewichtige Menschen.
Den optimalen Bewerber erkennen Sie schließlich daran, dass er irgendwie so ist wie Sie selbst, denn wer irgendwie so ist wie Sie, muss ja ganz einfach eine Spitzenkraft sein.
Erfahrung ist in der Personalauswahl nicht mehr als ein Beurteilerfehler
Derartige Effekte – in der Psychologie sprich man von „Beurteilerfehlern“, in der Praxis nennt man das „Erfahrung“ – sind seit Jahrzehnten bekannt und werden ebenso lange ignoriert. Doch hat sich auch jemand mal mit der Gegenseite beschäftigt? Wie kommen Bewerber eigentlich nach einem Einstellungsinterview zu dem Schluss, dass es sich um einen attraktiven Arbeitgeber handelt?
Studien belegen Urteilsfehler der Bewerber im Job-Interview
Zwei Studien gehen der Frage nach, inwieweit Bewerber ähnlichen Urteilsfehlern unterliegen wie diejenigen, die auf Seiten des Arbeitgebers die Auswahlentscheidung treffen. In beiden Studien sehen potentielle Bewerber die Videoaufzeichnung eines Einstellungsinterviews, das aus der Perspektive des Bewerbers gedreht wurde. Ohne dass die Probanden es wissen, werden sie per Zufall einer bestimmten Untersuchungsbedingung zugelost, so dass sie beispielsweise entweder einen eher alten oder eher jungen Interviewer sehen. Inhaltlich sind die Interviews komplett gleich. Anschließend werden die Untersuchungsteilnehmer gebeten, in einem kurzen Fragebogen den Interviewer beziehungsweise das einstellende Unternehmen zu bewerten.
Je attraktiver der Job-Interviewer, umso besser das Unternehmen?
Studie 1 untersucht die Bedeutung der physischen Attraktivität des Interviewers. Die Bewerber sehen entweder einen sehr gut aussehenden oder weniger gut aussehenden Interviewer. Zusätzlich wird das Geschlecht variiert. Im Ergebnis zeigt sich, dass…
- sehr gut aussehende Interviewer unabhängig von ihrem Geschlecht als professioneller und sozial kompetenter erlebt werden,
- das einstellende Unternehmen attraktiver erscheint, wenn der Interviewer sehr gut aussieht und
- Interviewerinnen von weiblichen Bewerbern positiver bewertet werden als ihre männlichen Kollegen.
Studie 2 variiert ebenfalls das Geschlecht des Interviewers und untersucht zudem die Wirkung seiner Seniorität. Auch hier ergeben sich signifikante Effekte:
- Interviewer, die eine größere Seniorität ausstrahlten (älter waren, mehr Berufserfahrung hatten, im Unternehmen weiter oben in der Hierarchie angesiedelt waren), wurden als professioneller und sozial kompetenter erlebt.
- Männliche Interviewer wurden als professioneller erlebt als weibliche.
Naivität der Bewerber nicht ausnutzen
Nun könnte man versucht sein, Einstellungsinterviews in Zukunft nur noch von alten, gutaussehenden Männern durchführen zu lassen, um die Bewerber möglichst gewogen zu stimmen. Sofern Ihr Unternehmen vom Blendertum lebt, mag dies eine überdenkenswerte Strategie sein. In allen übrigen Fällen geht es nicht darum, von der Naivität des Bewerbers zu profitieren, sondern auf beiden Seiten wohl abgewogene Entscheidungen zu treffen.
Die Studien liefern einen Hinweis darauf, dass man sich über die Außenwirkung des Unternehmens im Bewerbungsprozess Gedanken machen und voreiligen Fehlschlüssen auf beiden Seiten entgegenwirken sollte, getreu dem Motto: Drum prüfe, wer sich (fast) ewig bindet.
Professionelle Personaldiagnostik muss ihren Anforderungen gerecht werden
Bewerber machen ähnliche Fehler, wenn es um die Bewertung von Interviewern geht, wie Interviewer bei der Bewertung von Bewerbern. Sollte uns dies des Nachts den Schlaf der Gerechten genießen lassen? Nein, denn einen zentralen Unterschied gibt es zwischen beiden Seiten: Die Einen werden dafür bezahlt, dass sie professionelle Diagnostik betreiben, die anderen nicht. Und diese Einen sind nicht die Bewerber.
Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
Schauen Sie auch einmal in den Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" rein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, warum Manager scheitern oder warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist.