Personalentwicklung als Reparaturbetrieb für Recruiting-Fehler?


Personalentwicklung als Reparaturbetrieb für Recruiting-Fehler?

"Ein Gramm Auswahl ist mehr wert als ein Kilogramm Entwicklung." Dieser Glaubenssatz hat Oliver Maassen zunächst geprägt. Im ersten Teil unserer neuen Kolumne erklärt er nun, weshalb es sich lohnt, von diesem Bekenntnis abzurücken und wie sich Auswahl und Entwicklung gegenseitig befruchten.

Wie beginnt man eine Kolumne zum Thema "Personalentwicklung"? Ich hätte sie gar nicht annehmen dürfen, schießt es mir als erstes durch den Kopf, denn früher war meine HR-Prägung  dergestalt, dass die Personalentwicklung bei mir einen untergeordneten Stellenwert einnahm. Und mit diesen Wurzeln ab jetzt regelmäßig zwar kritisch, aber konstruktiv über Personalentwicklung zu schreiben, kann dann schon zu einer echten Herausforderung werden.

Also starte ich am besten mit einer Erklärung, einem Bekenntnis und einer Abbitte: Der erste Berater, den ich als junger HR-ler kennenlernte, brachte mir einen Glaubenssatz bei, der da hieß: "Ein Gramm Auswahl ist mehr wert als ein Kilogramm Entwicklung". Kaum verwunderlich, dass sich seine Beraterleistung auf die Optimierung unserer Rekrutierungsstrategien und Auswahlverfahren konzentrierte. So lautet die Erklärung meiner kritischen Einstellung zur Personalentwicklung, nun zum Bekenntnis: Auch wenn ich lange Zeit nicht gerade berateraffin war – dieser Satz blieb hängen. So sehr, dass ich mich als Rekrutierer  in einem Zeitungsinterview zu der Hypothese verstiegen habe, dass "Unternehmen, die stark in der Personalentwicklung sind, wohl etwas im Recruiting versäumt haben müssen".  Auch später als Personalchef hatten meine Mitarbeiter in der Personalentwicklung darunter zu leiden, dass meine Aufmerksamkeit eher der Beschaffungsseite der HR-Funktion galt.

Personalauswahl und -entwicklung können sich wunderbar befruchten

Bevor der geneigte, personalentwicklungsinteressierte Leser jetzt diese Kolumne gedanklich gleich in seinem emotionalen Spam-Filter ablegt, lassen Sie mich also die Abbitte schnell hinterher schicken:  Ich habe mich geirrt! Personalauswahl und Personalentwicklung sind erstens gleichwertig und zweitens können sie sich – sofern die HR Funktion strategisch richtig aufgestellt ist – auch wunderbar befruchten. Man denke doch nur an Auftritte von Führungskräften als  Personalentwicklungsmaßnahme auf Rekrutierungsveranstaltungen, bei Messen oder an Hochschulen. Oder umgekehrt an erfolgreiche Rekrutierer, die ihre Bindungsstrategien bei Bewerbern auf die Retentionsphase in der Personalentwicklung übertragen können.

Die Tatsache, dass ich nach vielen Jahren in der unmittelbaren Personalverantwortung heute als Berater mit einem starken Schwerpunkt auf Personalentwicklung arbeite, könnte man als Buße für meine Irrmeinung interpretieren – ich sehe es lieber als folgerichtige Stufe auf dem Gewinn von Erkenntnis.

Da wir es hier mit einer Kolumne und nicht mit einem wissenschaftlichen Aufsatz  zu tun haben, darf ich auf eine Definition von Personalentwicklung  verzichten. Oswald Neuberger hat schon 1994 unterschiedliche Definitionen  des Begriffs vorgelegt und kam auf 18 verschiedene. Auf jeden Fall ist Personalentwicklung mit ihren drei Stoßrichtungen, nämlich auf die Person, auf das Team und auf die Organisation, eine Kernfunktion moderner Personalarbeit und nicht etwa der Reparaturbetrieb einer falschen Selektion. Sie ist im besten Sinne des Wortes strategisch und muss damit auch Bestandteil einer HR-Strategie sein, die aus der Unternehmensstrategie abzuleiten ist.

Personalentwickler trägt für alle im Unternehmen Verantwortung

Doch dazu erfahren Sie in einem der nächsten Beiträge mehr, und natürlich auch mehr zu den operativen Fragen, denen sich eine zukunftsorientierte Personalentwicklung immer wieder zu stellen hat. Stellvertretend für diese Themen sei hier nur einmal die Frage nach der Bedeutung des Lernens in der Organisation gestellt. Oder die Frage nach der Messbarkeit von Personalentwicklung, wobei dieser Punkt auch eine starke strategische Komponente hat.

Um abschließend doch noch einmal an den Anfang zurückzukehren: Die Personalentwicklung lebt natürlich von der Qualität der Selektion in der Rekrutierungsphase ebenso wie von der Qualität der Führungsleistung im Unternehmen. Letztere zu erhöhen ist wohl die vornehmste Aufgabe der Personalentwicklung. Dies darf aber keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass der Personalentwickler für alle Menschen im Unternehmen Verantwortung trägt. Die Entwicklung von Kompetenzen, die dazu beitragen die anstehenden Herausforderungen bestmöglich zu bewältigen, ist Kern jeder erfolgreichen Personalentwicklung.

Eine solche Kompetenz kann auch der Umgang mit Fehleinschätzungen sein, wie in meinem Fall zur Bedeutung von Personalentwicklung in der Personalarbeit.

Oliver Maassen ist seit 2013 Geschäftsführer der Pawlik Consultants GmbH. Zuvor war er unter anderem Bereichsvorstand und Personalchef der Unicredit Bank. In seinen früheren Funktionen verantwortete er die Bereiche Personal- und Organisationsentwicklung, Führungstrainings, Personalmarketing und Talent Management.

Schlagworte zum Thema:  Personalentwicklung, Recruiting, Weiterbildung