Skurriles aus der Welt der Organisationsaufstellung


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Psychologie: Skurriles aus der Welt der Organisationsaufstellung

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf. Heute: Wie skurril die Organisationsaufstellung im wissenschaftlichen Kontext anmutet.

Herrscht in Ihrem Unternehmen häufig schlechte Stimmung? Lässt der Umsatz zu wünschen übrig? Beschweren sich Kunden über schlechten Service? Wirken Ihre Mitarbeiter bisweilen müde und abgespannt? Leiden Sie unter Fußpilz? Dann sollten Sie dringend darüber nachdenken, eine Organisationsaufstellung durchführen zu lassen. Dadurch wird sich zwar nichts ändern, der schiere Aktionismus verbreitet aber das wohlige Gefühl, nicht untätig geblieben zu sein.

Der Ursprung: Das Familienbild von Bert Helllinger

Ihre historischen Wurzeln findet die Organisationsaufstellung in der Familienaufstellung des selbst ernannten Psychotherapeuten Bert Hellinger. Hellinger vertritt die Auffassung, dass psychische Störungen, Krebserkrankungen, ja, im Grunde genommen jedwede Form des Unglücks, letztlich auf eine Störung in der Ordnung des Familiensystems zurückzuführen sei. Diese Störung gilt es aufzudecken und durch eine Intervention in wenigen Minuten zu beseitigen.

Wer Störungen im Familiensystem diagnostiziert, muss natürlich zunächst einmal eine Vorstellung von der rechten Ordnung haben. Nichts leichter als das. Hellingers Welt ist von archaischen Werten geprägt: Frauen sind den Männern prinzipiell untergeordnet. Erstere müssen Letzteren unbedingte Ehre erweisen und deren gottgegebene Überlegenheit anerkennen. Gleiches gilt für Kinder gegenüber ihren (Groß-)Eltern. Ehen sind heilig und müssen ein Leben lang halten. Kommt es dennoch zu einem Bruch, so trägt die Frau die Schuld. Störungen der heiligen Ordnung können noch in der dritten oder vierten Generation fluchartige Konsequenzen nach sich ziehen. Da wird dann auch schon mal ein kleines Kind von Gevatter Tod in die ewigen Jagdgründe geführt, weil seine Oma vor 50 Jahren fremdgegangen ist.

Organisationsaufstellung in der Unternehmenspraxis

Bei so viel intellektueller Schärfe überrascht es kaum, dass die Aufstellungsarbeit schon bald Einzug in deutsche Unternehmen gehalten hat. Hier wird sie seither zur Lösung jedweder Probleme angepriesen: Führung, Nachfolgeregelung, Marketing, Verhandlungsführung, Börsengang, Change Management et cetera. An einer Methode, die derart omnipotent daher kommt, muss doch einfach etwas dran sein -  oder etwa nicht? Werfen wir einen Blick auf die orthodoxe Form der Organisationsaufstellung:

  • Die gesamte Arbeit geschieht in einer Gruppensitzung, in der sich mehrere fremde Menschen begegnen und unter Anleitung des Seminarleiters die unterschiedlichsten Probleme lösen. Völlige Ahnungslosigkeit der Teilnehmer ist hier ebenso von Vorteil wie ein gerütteltes Maß an Suggestibilität.
  • Der erste Teilnehmer schildert grob sein Problem und wählt danach andere Teilnehmer aus, die als sogenannte "Stellvertreter" die Rollen der vermeintlichen Agenten seines Problems übernehmen. Hierzu zählen lebende und verstorbene Personen ebenso wie Menschengruppen oder Sachverhalte: Ein verstorbener Firmengründer, der derzeitige Chef, der Kunde, das Leitbild und Ähnliches. Die Auswahl erfolgt nach Gutdünken; niemand weiß, ob ein Agent übersehen wurde, beispielsweise weil sein Einfluss nicht plausibel erscheint.
  • Jeder Stellvertreter wird nun spontan durch den Teilnehmer im Seminarraum platziert. Die Platzierung soll der gängigen Lehre zufolge aber nicht willkürlich geschehen, sondern unbewusst in symbolischer Weise die bestehende (Un-)Ordnung widerspiegeln. Wie vorteilhaft, dass man sich mit dem Konstrukt des Unbewussten gegenüber jeglicher Kritik immunisieren kann. Weil niemand das Unbewusste kennt, kann man ihm alles unterstellen.
  • Nun befragt der Seminarleiter die einzelnen Stellvertreter, wie sie sich dort, wo sie jetzt stehen, fühlen. Gläubige Anhänger der Methode gehen davon aus, dass die Stellvertreter nicht etwa ihre eigenen Gefühle berichten, sondern die Wahrheit unverfälscht ans Tageslicht befördern. Sie spielen nicht den Firmengründer oder den Vorgesetzten, sie sind es in diesem Moment leibhaftig. Für diese wundersame Metamorphose sorgt das sogenannte "Wissende Feld", eine metaphysische Instanz, die in unseren unchristlichen Zeiten den lieben Gott ersetzt.
  • Zusätzlich deutet der Seminarleiter das Geschehen vor dem Hintergrund seiner profunden Kenntnis der imaginären Ordnung. Wurde der Firmengründer zum Beispiel zu weit rechts im Raum platziert, wurde ihm offenkundig nicht die notwendig Ehrerbietung erwiesen, denn hierarchisch hochstehende Personen müssen immer weiter links im Bild stehen. Warum dies so ist? Das steht wohl so in der Sternen.
  • Im letzten Schritt wird nun die Ordnung wieder hergestellt, indem alle Stellvertreter inklusive des Teilnehmers richtig im Raum positioniert werden. Im Zweifelsfall muss der Juniorchef noch einmal vor dem verstorbenen Vater niederknien, ihn um Verzeihung bitten und - hast-du-nicht-gesehen - haben sich alle wieder ganz doll lieb. Hinweggefegt ist alles Leid. Lahme können gehen, Blinde können sehen und schon bald erstrahlt das Unternehmen in nie gekanntem Glanz.
  • Wer nun denkt, das könne doch ganz einfach nicht funktionieren, outet sich selbst als bedauernswerter Verstandesmensch, denn er übersieht die Macht des Wissenden Feldes. Das Wissende Feld sorgt dafür, dass alle Menschen, die zwar nicht anwesend waren, wohl aber aufgestellt wurden, ihr Denken und Verhalten fortan verändern. Mehr noch, sogar das Raum-Zeit-Kontinuum wurde aufgebrochen und rückwirkend alles Notwendige repariert. Besser geht es nun wirklich nicht!

Abwandlungen gibt es  - wissenschaftlich erwiesene Erfolge nicht

Selbstverständlich gibt es viele Abwandlungen der soeben skizzierten Vorgehensweise, sodass jeder Organisationsaufsteller glauben oder zumindest doch behaupten kann, seine Methode sei die einzig seriöse in einem Meer absurder Ansätze. Richtig ist, was gefällt und sich gut vermarkten lässt.

Bislang gibt es keine ernstzunehmende empirische Studie, die den Nutzen irgendeiner Variante der Organisationsaufstellung nachgewiesen hätte. Warum wohl?

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

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