Mindset ist in aller Munde. Gerade Führungskräfte beklagen gern, dass bei dieser oder jenem das "Mindset nicht stimme". Und Trainerinnen, Veränderungsmanager und Transformationsberaterinnen predigen: "Auf die Haltung kommt es an!"
Doch stimmt das? Und was eigentlich ist Haltung? Sehen wir es uns näher an. Haltung ist, wie eine kurze Abfrage im Internet zeigt, tatsächlich die gebräuchlichste Übersetzung von "mindset" ins Deutsche. Und Haltung wird gern definiert als ein Set aus Einstellungen, Überzeugungen und Glaubenssätzen, die uns Halt und Richtung geben.
Insofern ist es nicht falsch, dem Mindset oder der Haltung eine große Bedeutung beizumessen – besonders wenn es darum geht zu erklären, wie Menschen sich verhalten und warum sie sich so verhalten, wie sie es tun. Gerade mit Blick auf das Thema dieser Kolumne ist Haltung von Bedeutung. Denn wie man über Menschen denkt und wie man zu Führung und Zusammenarbeit steht, bestimmt, wie wir tatsächlich führen und zusammenarbeiten. Allerding nur zum Teil.
Nicht nur Haltung prägt Verhalten
Denn Haltung ist nicht der einzige Einflussfaktor. Einen Einfluss darauf, wie wir führen und zusammenarbeiten, haben auch Kompetenzen, Instrumente und der Rahmen, innerhalb dessen wir agieren. Daher sind die genannten Trainerinnen, Veränderungsmanager, Transformationsberaterinnen und Führungskräfte gut beraten, wann immer sie Haltung beklagen oder Mindset einfordern, die anderen Einflussfaktoren auf menschliches Verhalten mitzudenken.
Damit wir uns das gut merken können, haben Managementgurus aus Übersee diese Wechselwirkung in einen prägnanten Dreisatz gepackt. Sie sprechen von "Mindset – Skillset – Toolset" und vergessen darüber - wahrscheinlich weil es sich nicht reimt - das "Setting". Darunter verstehe ich die Rahmenbedingungen und Spielregeln, und auf die kommt es in diesem Geflecht aus sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren ebenso an.
Die Turnhalle als Versuchslabor
Wie zeigt sich diese Wechselwirkung aber ganz praktisch? In meinen Seminaren zu "Shared Leadership" benutze ich hierzu eine einfache Analogie. Ich frage: "Wie steuert man das Verhalten von Menschen in Turnhosen und Turnschuhen in Turnhallen?" Dann sehe ich meist in staunende Gesichter und freue mich, wenn Dinge wie Trillerpfeife oder ähnliches genannt werden.
Die Antwort, die mir vorschwebt, aber lautet: Ich steuere das Verhalten, indem ich entweder Turngeräte aufbaue, ein Badminton-Netz aufspanne und Schläger austeile oder Basketballkörbe von der Decke lasse. Jede dieser Konstellationen erfordert von den Sportlerinnen und Sportlern eigene Skills (Werfen, Aufschlagen, Block stellen, Felgumschwung), eigene Tools (Schläger, Barren, Basketball) und fördert ein eigenes Mindset (Teamgeist bei den Sportarten, in denen Kollaboration zählt, und Konzentration und Selbstversenkung beim Geräteturnen).
Der Mix macht‘s
Wer hier für die jeweilige Sportart nicht den richtigen Mix dieser vier Komponenten trifft, wird nicht erfolgreich sein. Daraus folgt: Ja, auf die Haltung kommt es an. Aber diese steht in Wechselwirkung mit den Rahmenbedingungen (Spielregeln, Spielziel, Erfolgskriterien usw.) und den besagten Skills und Tools.
Wenn wir also über Führung und Zusammenarbeit reden, reicht es nicht, allein an die richtige Haltung zu appellieren: im eher autoritären, weisungsorientierten Führungsverständnis also an Klarheit, Dominanz und Selbstsicherheit beim Leader und Loyalität, Folgsamkeit und Disziplin bei den Followern. Nein es braucht dazu auch die nötigen Spielregeln (Verantwortung klar beim Anweisungsgeber), die richtigen Skills ("bestimmt auftreten" beim Leader) und die richtigen Tools (Druck- und Machtmittel wie Abmahnungen, Einträge in Personalakten, aber auch Anreize wie Beförderung, Belobigung et cetera, wenn die Follower nicht freiwillig kooperieren).
Dasselbe gilt dann auch für das entgegengesetzte Führungsverständnis, das gerne als "shared leadership" bezeichnet wird. Auch hier genügt die Haltung alleine nicht, um Zusammenarbeit im Modus des wechselseitigen Führens und Folgens zu gewährleisten. Sie ist allerdings nötiger Bestandteil: Die Überzeugung, dass Führung nicht allein von der Führungskraft ausgeübt werden muss, dass Entscheidungen besser werden, wenn man sie gemeinschaftlich trifft, dass Gruppen profitieren, wenn je nach Wissen, Kompetenz, Erfahrung und Persönlichkeit mal die eine oder der andere in Führung geht – all das ist der Ausbildung und dem Gelingen von "verteilter Führung" förderlich.
Mindset, Skillset, Toolset, Setting beim Führen und Folgen
Doch es braucht auch die Skills (Führungskompetenzen bei allen und nicht nur den formalen Führungskräften; die Gabe, andere zu lesen und auf ihre Führungseignung in dieser Situation hin zu beurteilen und sie dann auch zu ermächtigen; beständige Absprachen und Aussprachen u.v.m.), die Tools (Dinge, wie eine Team-Charta oder ein Leitbild zu Shared Leadership) und eben die Spielregeln (wer führt wann wie, wie soll entschieden werden et cetera), die diese wesentlich komplexere Art der Zusammenarbeit regeln.
Denn "Shared Leadership" ist eher filigraner Teamsport, während autoritäre, weisungsorientierte Führung doch eher der kraftvollen Übung auf dem Barren (bzw. auf dem Rücken der Geführten) gleichkommt. Und wer in seinem Umfeld vom einen Führungsverständnis zum anderen umschalten will, muss daher zuerst die Turnhalle umbauen. Das entsprechende Mindset aller Akteure kann sich dann – jenseits aller Appelle – in der Übung ausbilden, wenn Einzelkämpfer sich zunehmend im Teamsport versuchen, sich die nötigen Skills aneignen und hilfreiche Tools an die Hand bekommen.
Randolf Jessl ist Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er berät, trainiert und coacht Menschen und Organisationen an der Schnittstelle von Führung, Kommunikation und Veränderungsanliegen. Zusammen mit Prof. Dr. Thomas Wilhelm hat er bei Haufe das Buch "Shared Leadership" veröffentlicht.