Aus sämtlichen Weisheiten im Talent Management ragt eine besonders hervor: Die wichtigsten Talent Manager sitzen nicht in der Personalabteilung. Talent Manager Nummer 1 ist der jeweilige Vorgesetzte. Mitarbeiter kommen in die Firma wegen ihrer künftigen Führungskraft. Sie legen sich dann wegen ihr ins Zeug. Und sie bleiben, wenn der Chef gut ist.
Das Problem daran: Das Umgekehrte gilt ebenfalls - bei einem miesen Boss.
Fragwürdige Selbstbilder: Was Führungskräfte von sich selbst denken
Kürzlich lag mir eine dünne Schrift zur Rezension vor: „Die Akte Personal“. Dieses Büchlein versteht sich als Anklage über Zustände in der deutschen Personalwirtschaft.
Den Autoren dienen Zitate von Führungskräften als Belege für unerträgliches Verhalten von HR-Bereichen. Ein Beispiel ist der dummdreiste Vorwurf eines Business Managers hinsichtlich des Talent Managements und der Tatenlosigkeit "seiner" Personaler.
Dass er als Führungskraft selbst einen Part spielen muss, im Grunde sogar den wichtigsten, und sich für eine stimmige Problemlösung nicht als Zuschauer bequem in seinen Kuschelsessel fläzen kann, ist ihm egal. In seinem Fall gilt der Sinnspruch: "Jeder kann seine eigene Meinung haben, aber manche verdient Prügel".
Tatsächliche Fremdbilder: Was Mitarbeiter tatsächlich über ihre Chefs denken
Nun, das mit dem Selbstbild ist so eine Sache. Jeder hat seines, das sich nicht immer mit den Fremdbildern der anderen deckt. Man kennt dies: Auf die Fragen "Sind Sie ein erstklassiger Koch, ein herausragender Tänzer oder ein überwältigender Liebhaber?" neigen manche zur Überschätzung, besonders Erfolgsmenschen im Business. Wie beim Selbstbild als Vorgesetzter. Vermutlich denken die allermeisten Manager, dass sie als Führungskraft weit besser als der flaue Rest seien.
Da könnten drei Analysen nachdenklich stimmen: Laut einer Studie von Egon Zehnder und McKinsey liegen lediglich zehn Prozent der Manager über dem Durchschnittswert. Nach einer Hay-Studie schafft die Hälfte der deutschen Vorgesetzten ein demotivierendes Arbeitsumfeld.
Eine DDI-Studie befragte Mitarbeiter nach ihrer Produktionssteigerung, wenn sie statt ihres gegenwärtigen Vorgesetzten wieder den in ihrem Berufsleben bislang besten Chef als Führungskraft hätten. Das ist ein cleverer Studienansatz, der nicht das Ideal sondern einen real erlebten Menschen als Maßstab nimmt. Über die Hälfte der Befragten vermutete eine Produktionssteigerung zwischen zwanzig und sechzig Prozent. Das ist viel - vom Retention-Risiko ganz zu schweigen.
Typische Kommentare aus dieser dritten Analyse: "My current boss just can´t compare with my best-ever boss", "I'm not saying my boss is bad, but …", "My boss isn´t necessarily bad at everything", "My boss does more harm than good" und "My boss is human – at least I think so".
Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.