Flexibles Arbeiten bedeutet, erweiterte arbeitsorganisatorische Gestaltungsspielräume zu schaffen, also generell eine Arbeitskultur zu etablieren, die passgenaue Flexibilität hinsichtlich der Arbeitszeit und des Arbeitsorts erlaubt. Die Teilnehmer an der Studie "Vereinbarkeit 2020" der Berufundfamilie Service GmbH und dem IBE sehen hier noch deutlichen Verbesserungsbedarf - und zwar unabhängig vom jeweiligen Lebensentwurf.
Flexibles Arbeiten: Sehr wichtig, aber Zufriedenheit gering
Insbesondere im Hinblick auf kurz- und langfristige Möglichkeiten der flexiblen Arbeitsorganisation besteht für sie noch Luft nach oben. Die Passung zwischen Wichtigkeit und Zufriedenheit ist für sie am geringsten für das zeitweise Arbeiten von zu Hause sowie die Möglichkeit, Arbeitszeit auf einen Langzeitkonto für den flexiblen Ausstieg ansparen zu können. Zudem sehen sie Handlungsbedarf im Bereich der erweiterten flexiblen Regelungen für Teilzeitkräfte und im Themenfeld Karriereentscheidungen.
Individuelle Ausgestaltung von flexibler Arbeit
Der Grund für die Nachfrage nach der Flexibilisierung des Arbeitens und die gewünschte Form sowie das Ausmaß variieren jedoch nach Lebensentwurf. Hier liegt der Knackpunkt für die individualisierte Personalpolitik. Sollen Angebote des flexiblen Arbeitens greifen, müssen diese entsprechend des Lebensentwurfs ausgeformt werden können.
Flexibilität für Kinderbetreuung oder Pflege Angehöriger
Die größte Gruppe – Lebensentwurf-Cluster A mit 67 Prozent – fokussiert stark auf die Familie. Die Beschäftigten dieses Typs nehmen Betreuungsaufgaben – etwa für ihre Kinder oder aber auch für pflegebedürftige Angehörige – eher häufig selbst wahr. Entsprechend erwarten sie Instrumente wie flexible Arbeitszeiten und -orte als Angebot, um prinzipiell erwerbstätig zu sein, und gleichzeitig private und berufliche Verpflichtungen erfüllen zu können. Grundlegend passende Angebote finden sich in Homeoffice-Lösungen oder auch Teilzeitangeboten.
Karriere trotz Elternzeit
Cluster B (22,3 Prozent der befragten Beschäftigten) setzt vor allem auf Selbständigkeit. Die von sich aus karrierefokussierten Beschäftigten nehmen zwar eher selten familiäre Betreuungsaufgaben wahr, wünschen sich aber dennoch die Förderung einer aktiven Vaterschaft. Gleichzeitig wollen sie ihre berufliche Entwicklung gezielt gefördert sehen. Entsprechend finden sich in dieser Gruppe überdurchschnittlich viele Führungskräfte. Denkbar sind für diese Beschäftigten die gezielte Planung der Väterzeit inklusive Kontakthalteprogramm, die einen Karriereknick von vornherein nicht zulässt. Auch Homeoffice und flexible Arbeitszeiten sind anwendbar, wie etwa auch im Rahmen eines Führungstandems.
Selbstverwirklichung während eines Sabbaticals
Auch wenn überdurchschnittlich viele Beschäftigte im Cluster C (9,7%) keine familiären Verpflichtungen haben, sind sie dennoch Zielgruppe der Vereinbarkeit. Schließlich möchten sich diese im Privatleben verwirklichen und wünschen sich dafür die entsprechende Flexibilität. Teilzeitlösungen sind hier denkbar, aber auch die Möglichkeiten des zeitweisen Ausstiegs. Daran gekoppelt wünschen sich Beschäftigte dieses Typs auch Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Beruf.
Langzeitkonten für flexiblen Ausstieg
Zu beachten ist, dass die Übergänge zwischen den Clustern fließend sind und sich vermutlich im Lebensverlauf ändern. Über alle Lebensentwürfe hinweg werden Handlungsbedarfe in Richtung höherer Flexibilisierung: vom zeitweisen Arbeiten von zu Hause, Langzeitkonten für einen flexiblen Ausstieg, über die Vereinbarung längerer Urlaubszeiten bei Teilzeit bis hin zu diesbezüglich höherer Flexibilität von Karrierewegen und Karrieremöglichkeiten. Die Prioritäten können sich je nach Lebensphase verschieben.
Instrumente fortlaufend auf Passgenauigkeit überprüfen
Die Ausgestaltung der Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben setzt gerade auch deshalb eine intensivierte Auseinandersetzung mit den jeweils konkreten Werten und Vorstellungen der Beschäftigten voraus – und das fortlaufend. Das Instrumentarium der flexiblen Arbeitsorganisation ist daher sowohl bezüglich der kurz- als auch der langfristigen Gestaltungsmöglichkeiten und der Flexibilität von Karrierewegen für Vereinbarkeitsaufgaben bezüglich seiner Passgenauigkeit für die Arbeitswelt von morgen zu überprüfen.
Praxisbeispiele
Die folgenden drei Praxisbeispiele zeigen - sowohl von Unternehmensseite als auch von Mitarbeiterseite - wie flexible Arbeitsmodelle erfolgreich umgesetzt werden können.
Versicherungskammer Bayern: Kultur des Gebens und Nehmens
„Unsere wichtigste Variable der Vereinbarkeit war und ist die Arbeitszeit: Wir haben im ganzen Konzern die flexible Arbeitszeit, in deren Rahmen die Mitarbeiter agieren. Es gibt zudem Modelle, die auf individuellen Absprachen beruhen. Flexible Zeitmodelle mitzudenken, ist kein großer Mehraufwand. Ich würde sagen: Zu 90 Prozent besteht Vereinbarkeit aus guter Organisation und verlässlicher Führung. Da gibt es zwei Vorteile. Erstens: Ich als Führungskraft habe Planungssicherheit und weiß, wer wann zur Verfügung steht. Zwei meiner Beschäftigten, die familienbedingt in Teilzeit arbeiten, haben ihre Arbeitszeit sogar aufgestockt, weil sie sie flexibel einteilen können. Zweitens: Wenn ich meinen Beschäftigten auf Augenhöhe entgegenkomme, entwickelt sich eine Kultur des Gebens und Nehmens. Ich habe noch nie erlebt, dass mein Team mir Flexibilität verweigert hat, wenn ich sie brauchte.“
Edith Strauß, Leiterin Interne Unternehmenskommunikation der Versicherungskammer Bayern
Merz Pharma: Vielfalt der Lebensentwürfe respektieren
„Manche Mütter kommen nach einem halben Jahr zurück und nutzen dann die betriebliche Krabbelstube für ihre Kinder, andere steigen über mehrere Jahre aus. Väter entdecken gerade ganz unterschiedlich die Chancen von Elternzeit. Bei der Pflege von Angehörigen haben wir Ähnliches festgestellt. Da reicht die Bandbreite vom vollständigen Ausstieg über eine Reduzierung der Arbeitszeit bis hin zu Vollzeit bei gleichzeitiger Nutzung von Pflegediensten und haushaltsnahen Dienstleistungen. Wir können nicht immer auf den ersten Blick nachvollziehen, warum sich manche Menschen so, und manche anders entscheiden. Karriereorientierung spielt eine Rolle, aber es geht auch um finanzielle Gründe, um örtliche Gegebenheiten und in vielen Fällen nicht zuletzt um ganz persönliche Dinge wie das familiäre Beziehungsgeflecht oder eigene Wertvorstellungen. Personalpolitik muss dazu natürlich nicht 1.000 vorgegebene Lösungen anbieten. Aber sie soll und muss Lösungswege offen halten. Das kann sie nur, wenn sie die Vielfalt der Lebensentwürfe respektiert und angemessen einbezieht.
Dr. Rüdiger Koch, Betriebsratsvorsitzender a.D., Merz Pharma GmbH & Co. KGaA
Ing-Diba: Job-Sharing für Führungskräfte
„Als ich aus meiner Elternzeit auf meine Stelle als Teamleiterin bei der ING-DiBa zurückkehren wollte, habe ich viele Optionen durchdacht, um Beruf, Familie und Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Da die vom Arbeitgeber angebotenen Belegplätze nicht für mich passend waren, weil ich im Umland wohne und einen langen Anfahrtsweg habe, habe ich mich mit einer Kollegin zusammengetan. Unser Vorschlag war, sich die Teamleitung zu teilen, jede von uns mit 60 Prozent der regulären Arbeitszeit. Unsere Vorgesetzten haben sich für diese Lösung eingesetzt, obwohl es bei der ING-DiBa zuvor noch kein anderes Führungstandem gab. So kann ich mein persönliches Verständnis von Vereinbarkeit leben und auf meiner jetzigen Position meine Qualifikationen und Kompetenzen optimal einsetzen.“
Petra Schmitz, Teamleiterin Immobilienfinanzierung, ING-DiBa, Frankfurt am Main