In jedem zweiten Chefsessel sitzt ein Psychopath – wenn man es richtig definiert


Wie viele Narzissten wirklich in den Chefetagen sitzen

In die obersten Führungsetagen kommen eh nur Narzissten und Psychpathen? Wenn man es pseudowissenschaftlich angeht, könnte man durchaus zu diesem Ergebnis kommen, schreibt unser Kolumnist Uwe P. Kanning. Er geht das Thema allerdings gerne etwas differenzierter an.

Seit einigen Jahren ist das Thema "Psychopathen in Chefsesseln" in Mode gekommen. Nicht etwa, dass es heute mehr Psychopathen gäbe als vor vielleicht 10 oder 20 Jahren, es wird nur mehr darüber geredet. Das ist durchaus auch verständlich. Zum einen handelt es sich um ein spannendes Thema, zum anderen ist das Thema auch potenziell wichtig, denn wer einen Psychopathen in eine wichtige Position des eigenen Unternehmens hievt, trifft eine schwere Fehlentscheidung.

Hintergrund der größeren Aufmerksamkeit sind diverse Forschungsergebnisse, die sich allerdings meist nicht ausschließlich auf Psychopathen beziehen. In der Forschung geht es meist um eine Vielfalt negativer Persönlichkeitseigenschaften. Das bekannteste Modell in diesem Zusammenhang ist das Modell der dunklen Triade. Wie der Name bereits verrät, werden hier drei negative Eigenschaften beschrieben:

Narzissmus und Machiavellismus

Menschen, die einen stark ausgeprägten Narzissmus aufweisen, überschätzen bei Weitem ihre eigenen Fähigkeiten und ihre Bedeutung. Sie streben machtvolle Positionen an, in denen sie von anderen bewundert werden können und die ihrer eigenen übersteigerten Selbstliebe schmeicheln.  Ein hoch ausgeprägter Machiavellismus steht für ein vollkommen rücksichtsloses Verhalten gegenüber anderen Menschen. Allein der Zweck heiligt die Mittel. Wenn man zur Erreichung eines wichtigen Zieles die Gesundheit oder die Arbeitsplätze anderer Menschen gefährdet, wird dies einfach in Kauf genommen.

Psychopathie

Menschen mit ausgeprägter Psychopathie treten im Leben oft durch Straftaten in Erscheinung u.a., weil sie keine Angst, aber auch kein Schuldempfinden haben. Sie verhalten sich eher impulsiv und schieben anderen die Schuld für ihre eigenen Fehler in die Schuhe. Aus der Forschung lässt sich ableiten, dass es wichtig ist, sich auch in der HR-Praxis mit der dunklen Triade auseinanderzusetzen. Nicht, weil man sie durch ausgefeilte HR-Maßnahmen behandeln könnte, sondern, weil es darum geht, entsprechende Menschen nicht einzustellen oder zumindest ihren weiteren Aufstieg zu verhindern. In Studien zum Derailment – also zum Scheitern von Managern – machen Wegbegleiter der Betroffenen unter anderem negative Persönlichkeitseigenschaften, wie die dunkle Triade, für das Scheitern verantwortlich. Studien, die sich direkt mit dem Zusammenspiel zwischen der dunklen Triade und der beruflichen Leistung beschäftigen, zeigen leicht negative Zusammenhänge.

Die dunkle Triade lauert überall

Positive Zusammenhänge finden sich hingegen bezogen auf kontraproduktives Verhalten – also ein Verhalten, das den Arbeitgeber schädigt. Wer nun losrennt und im eigenen Unternehmen nach Menschen sucht, die zur dunklen Triade passen, wird sicherlich schnell fündig werden. Das liegt in den meisten Fällen jedoch nicht daran, dass hier so viele Psychopathen & Co arbeiten, sondern dass einzelne, geringfügig ausgeprägte Symptome übergeneralisiert werden. Da wird schnell jemand, der einmal eine harte Entscheidung gefällt hat, als Machiavellist abgestempelt und jemand, der sich selbst überschätzt, als Narzisst gebrandmarkt. Dieses Phänomen kennen viele Studierende der Medizin oder der Psychologie, wenn sie nach dem Besuch einer entsprechenden Vorlesung plötzlich überall in ihrem Umfeld Depressive oder Phobiker wittern.

In der Psychologie sind auch negative Eigenschaften nicht in Form von Typen, sondern als Dimensionen angelegt. Jeder Mensch wäre demnach mehr oder weniger machiavellistisch oder narzisstisch. Ab welcher Ausprägung man einen Menschen als Machiavellisten oder als Psychopathen bezeichnen sollte, lässt die Forschung gern offen. Orientieren wir uns an der Gaußschen Glockenkurve, würde man bei knapp 14 Prozent der Bevölkerung von einer überdurchschnittlichen und bei weiteren 2 Prozent von einer weit überdurchschnittlichen Ausprägung einzelner Persönlichkeitsmerkmale sprechen.

Wahrscheinlich kein Psychopath im Chefsessel

Gehen wir also mal davon aus, dass vielleicht 2 Prozent der Bevölkerung im Sinne der dunklen Triade problematisch handelt, so ist es schlicht unwahrscheinlich, dass sich diese Menschen haufenweise in den Chefetagen der Wirtschaft tummeln. Wenn bisweilen Studienergebnisse durch den deutschen Blätterwald wandern, denen zufolge sogar 30 Prozent der Führungskräfte in Deutschland Narzissten seien, so hat dies vielleicht schlicht damit zu tun, dass man die Definitionsgrenze so weit nach unten verschiebt, bis ein Ergebnis resultiert, dass eine fette Schlagzeile rechtfertigt.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.