Die Sichtung der Bewerbungsunterlagen gehört zu den Methoden der Personalauswahl, deren Bedeutung gern unterschätzt wird. Wenn alles gut geht, müssen nach der Ausschreibung einer attraktiven Stelle oft mehr als 100 Bewerbungsunterlagen gesichtet werden. In Großunternehmen addieren sich die Bewerbungen über alle Stellen hinweg leicht auf eine sechsstellige Summe.
Viel Mühe scheinen sich die meisten Arbeitgeber bei der Sichtung der Unterlagen allerdings nicht zu geben, wie eine aktuelle Studie verdeutlicht. Von 244 befragten Unternehmen geben 47 Prozent an, dass sie über keinerlei verbindliche Kriterien zur Auswahl der Kandidaten verfügen. Offenbar liest sich jemand das Ganze einfach durch, befragt anschließend das Bauchorakel und fällt eine Entscheidung. Weniger als 2 Prozent haben schon vor der Sichtung der Unterlagen explizite Vorstellungen davon, wen sie eigentlich suchen.
Fehler können meist auch im Interview nicht mehr korrigiert werden
Möglicherweise gehen viele so salopp mit der Vorauswahl um, weil sie glauben, dass die Fehlentscheidungen, die hier unterlaufen können, spätestens im Einstellungsinterview korrigiert werden. Dies trifft jedoch nur zum Teil zu. Zwar ist es prinzipiell möglich, durch gute Einstellungsinterviews die Eignung der verbliebenen Kandidaten zu überprüfen. Die bereits abgewiesenen Bewerber werden aber leider nicht mehr untersucht. Ist ein an sich guter Kandidat nach der Sichtung seiner Unterlagen zu Unrecht über die Klinge gesprungen, besteht daher auch keine Möglichkeit mehr, diesen Fehler im Einstellungsinterview zu korrigieren. In Zeiten, in denen hoch qualifizierte Bewerber in manchen Branchen allmählich rar werden, können sich die Verantwortlichen derartige Fehler eigentlich nicht mehr erlauben.
Bewertung: Nur nachweislich valide Kriterien einfließen lassen
Eine Möglichkeit, entsprechende Fehler zu vermeiden, besteht in einer gründlichen Sichtung der Bewerbungsunterlagen, die sich an den tatsächlichen Anforderungen der Stelle orientiert und dabei nur nachweislich valide Kriterien (Ausbildungsnoten, Berufserfahrung, Weiterbildung) in die Bewertung einfließen lässt, während Kriterien mit bestenfalls fragwürdiger Validität (Tippfehler, Freizeitaktivitäten, Lücken im Lebenslauf, formale Gestaltung) ignoriert werden.
Online-Formulare: Informationen gezielt erfassen
Bei großen Bewerbergruppen kann dies besonders ökonomisch über Online-Bewerbungsformulare geschehen. Statt der üblichen Bewerbungsunterlagen füllen die Bewerber hierzu eine Art Fragebogen aus, der gezielt nur die Informationen erfasst, die im Hinblick auf die fragliche Stelle eine wirkliche Aussage über die Eignung der Kandidaten ermöglichen.
Die üblichen Bewerbungsrituale – man schmeichelt dem Arbeitgeber im Anschreiben, stellt seine vermeintliche Eignung mit blumigen Worten heraus, versucht durch besonders geschmeidige Formatierungen die Gunst des Entscheidungsträgers zu erschleichen etc. – fallen unter den Tisch, da keine Freitexte formuliert, sondern ausschließlich biographische Fakten abgefragt werden.
Die Vorauswahl kann dann ein Computer übernehmen, so dass ganz nüchtern nur die Bewerber eine Runde weiterkommen, die auch tatsächlich die Grundvoraussetzungen erfüllen. Ist die Bewerberanzahl danach immer noch zu groß, ließe sich eine weitergehende Auswahl mit Hilfe von Online-Testverfahren treffen.
Vorteile für Arbeitgeber und Bewerber
Die Vorteile für beide Seiten liegen eigentlich auf der Hand: Der Arbeitgeber stellt sicher, dass durch den Einsatz valider Kriterien keine geeigneten Kandidaten aufgrund des Bauchgefühls eines Entscheidungsträgers herausfallen. Bei großen Bewerberstichproben dürften sich die Mehrkosten für die Online-Auswahl durch reduzierte Personalkosten und eine validere Vorauswahl leicht amortisieren. Für die Bewerber bedeutet ein solches Vorgehen weitaus weniger Aufwand und geringere Kosten. Zudem werden sie nicht weiter genötigt, sich beim Arbeitgeber einzuschleimen.
Nur ein Viertel der Unternehmen nutzt Online-Bewerbungsformulare
Derzeit werden die Chancen dieser Methode in der Praxis allerdings kaum genutzt:
- Von den 244 befragten Unternehmen setzt nur knapp ein Viertel heute schon Online-Bewerbungsformulare ein. In Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sind es immerhin knapp 50 Prozent.
- 75 Prozent der Anwender erfassen Fakten zur Berufsbiographie – eigentlich sollten es 100 Prozent sein.
- Fast 60 Prozent erwarten nach wie vor ein frei formuliertes Anschreiben. Unfreiwillig holen sie sich so die Messfehler – Selbstdarstellung der Bewerber, subjektive Deutung durch den Entscheider – wieder in das neue Verfahren rein.
- 34 Prozent sehen sogar ein Textfeld vor, in dem die Bewerber ihre Motivation darstellen müssen – ganz so als gäbe es keine Ratgeberliteratur und kein Internet, das den Bewerbern sagt, wie man die Gegenseite richtig einlullt.
- Nicht einmal 4 Prozent nutzen die Möglichkeit, über Online-Testverfahren die Bewerber kritischer auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu überprüfen.
- Nur 14 Prozent überlassen die Vorauswahl dem Computer.
Methode bei größeren Unternehmen akzeptiert
Auch wenn Online-Bewerbungsformulare heute in größeren Unternehmen schon zu den akzeptierten Methoden der Personalauswahl gehören, nähert man sich dem Instrumentarium doch nur allzu zögerlich. Die Potentiale der Methode werden vor allem dann genutzt, wenn man die Urteilsfehler, die von der Subjektivität der Entscheidungsträger ausgehen, durch eine computergestützte Vorauswahl ausschließt.
Zudem würde eine computergestützte Vorauswahl die Verantwortlichen dazu veranlassen, vor der Sichtung der Unterlagen sehr differenziert darüber nachzudenken, über welche Merkmale die Bewerber verfügen müssen. Die Bewerber würden dann nach den Anforderungen der Stelle und nicht aufgrund einer erfolgreichen Selbstdarstellung und artigem Verhalten im Sinne der Ratgeberliteratur ausgewählt.
Eigentlich könnte alles so einfach sein. Die klassischen Bewerbungsrituale quasi durch die Hintertüre in das Computerzeitalter zu retten, ist leider nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen.