Cybervetting in der Personalauswahl

Hand aufs Herz: Haben Sie schon einmal nach persön­lichen Daten von Bewerberinnen und Bewerbern im Inter­net gesucht? Wie häufig das sogenannte "Cyber­vetting" Teil der Rekrutierungs­praxis in Unter­­nehmen ist und wie relevant die zusammen­getragenen Fakten für die Personal­auswahl sind, deckt eine Studie auf.

Ein immer größerer Anteil der Bevölkerung hinterlässt für jedermann sichtbare Spuren im Internet. Da ist es leicht nachvollziehbar, dass viele Arbeitgeber im Zuge der Personalauswahl entsprechende Daten, zum Beispiel aus sozialen Netzwerken, auch nutzen wollen. Die Bandbreite möglicher Informationen, die sich über Bewerberinnen und Bewerber im Internet finden lassen, ist sehr groß. Sie reicht von allgemeinen demografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Bildung, berufliche Stationen) über private Inhalte (Freizeitaktivitäten, Interessengebiete, Freundeskreis, Fotos) bis hin zu Metadaten, die geradezu beliebig gedeutet werden können (Fehlen von Einträgen in großen sozialen Netzwerken, Wahl bestimmter Netzwerke, Länge von Texten, sprachlicher Ausdruck, Tippfehler). Im Gegensatz zu Bewerbungsunterlagen handelt es sich hierbei um Informationen, die von den Betroffenen nicht explizit zum Zwecke der Personalauswahl freigegeben werden.

Zu unterscheiden ist dabei zwischen berufsbezogenen und privaten sozialen Netzwerken. Erstere (Linkedin, Xing) dienen explizit der berufsbezogenen Selbstdarstellung und Vernetzung, Letztere (Facebook, Instagram) sind Bestandteil der Kommunikation im Freundes- und Bekanntenkreis. Erste Studien deuten darauf hin, dass Bewerberinnen und Bewerber die Nutzung berufsbezogener Netzwerke zum Zwecke der Personalauswahl gutheißen, eine Nutzung privater Netzwerke jedoch eher ablehnend gegenüberstehen. Kontrollieren können sie die Aktivität der Arbeitgeber in diesem Feld allerdings kaum, woraus sich ein ethisches Problem ergibt, das noch auf eine Lösung wartet.

Cybervetting: Praxis liegt bislang im Verborgenen

Jenseits dieser Problematik stellt sich die Frage, wie valide die Sichtung von Internetdaten zum Zwecke der Personalauswahl ist. Bislang liegen hierzu nur wenige Studien vor. Sie deuten entweder auf eine nur geringe oder aber vollständig fehlende Validität hin. Grundsätzlich lässt sich aus der Forschung zur Personalauswahl ableiten, dass Cybervetting am ehesten dann verwertbare Aussagen liefert, wenn gezielt nur solche Informationen in die Bewertung einfließen, die einen Bezug zu den Anforderungen der fraglichen Stelle haben, bei allen Bewerberinnen und Bewerbern vorliegen und immer in gleicher Weise gedeutet werden. Zu befürchten ist, dass dies meist nicht der Fall sein wird. Vergleichbar zur Sichtung von Bewerbungsunterlagen oder dem klassischen Vorstellungsgespräch dürften viele Arbeitgeber selektiv unterschiedliche Informationen über einzelne Bewerberinnen und Bewerber heranziehen, die noch dazu völlig subjektiv gedeutet werden. Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, liegt einstweilen im Verborgenen. Bislang ist kaum etwas über die Praxis des Cybervettings in deutschen Unternehmen bekannt. An diesem Punkt setzt die vorliegende Studie an. 

Studie zu Cybervetting

Mithilfe eines Online-Fragebogens wurden Personen, die beruflich im Bereich der Personalauswahl tätig sind, zu ihrer Cybervetting-Praxis befragt. An der Studie nahmen 164 Personen teil (68 Prozent weiblich, 32 Prozent männlich, Durchschnittsalter 35,5 Jahre). 91 Prozent der Befragten arbeiten direkt im Personalwesen, die restlichen Befragten sind zum Beispiel als Führungskräfte an Personalauswahlverfahren beteiligt.

Der Fragebogen gliedert sich in fünf Blöcke. Im ersten Block geht es um die Verbreitung des Cybervettings. Erfragt wird, inwieweit Cybervetting vor Ort bei den Arbeitgebern zum Einsatz kommt, auf welche Zielgruppen es sich bezieht und welche Internetquellen genutzt werden. Zudem wird erfasst, inwieweit Bewerberinnen und Bewerber über Cybervetting informiert werden. Im zweiten Block geht es um den Zweck des Cybervettings: Dient es beispielsweise zur Unterstützung der Vorauswahl – also parallel zur Sichtung der Bewerbungsmappe – oder zur Vorbereitung auf ein Einstellungsinterview? In diesem Zusammenhang wird auch erfragt, inwieweit Cybervetting als eine valide Methode der Personalauswahl angesehen wird. Der dritte Block bezieht sich auf diagnostische Ziele, die mit der Analyse von Internetdaten verfolgt werden. Geht es den Befragten beispielsweise um Persönlichkeitsdiagnostik oder eher um eine Überprüfung der kulturellen Passung zum Arbeitgeber? Im vierten Block müssen konkrete Informationen, die sich über Bewerberinnen und Bewerber im Internet finden lassen (Freizeitaktivitäten, Fotos), dahingehend eingeschätzt werden, ob sie eher mit positiven oder negativen Bewertungen einhergehen. Der fünfte Block bezieht sich schließlich auf die Erfassung demografischer Merkmale.

Schauen wir uns zunächst die Verbreitung des Cybervettings an. 75 Prozent der Befragten geben an, dass sie schon einmal Cybervetting angewendet haben. Von diesen Personen nutzen allerdings nur 27 Prozent Cybervetting regelmäßig. Zum Einsatz kommt Cybervetting vor allem bei der Auswahl von Fach- und Führungskräften (73 bzw. 79 Prozent), während es bei Auszubildenden und Trainees deutlich seltener genutzt wird (30 bzw. 37 Prozent). Personen, die Cybervetting bislang nicht betrieben haben, machen dies vor allem deshalb nicht, weil sie die Daten, die sich im Internet finden lassen, für wenig aussagekräftig halten (61 Prozent). Auf Platz zwei der Gründe liegt mit großem Abstand der Aufwand, der mit einer entsprechenden Recherche verbunden wäre (27 Prozent). Genutzt werden primär berufsbezogene Netzwerke wie Linkedin (94 Prozent) oder Xing (79 Prozent) sowie ein allgemeines Googeln nach der betreffenden Person (91 Prozent). Private Netzwerke sind zwar nicht völlig unbedeutend, spielen aber eine deutlich geringere Rolle (47 Prozent Instagram, 44 Prozent Facebook, elf Prozent Twitter, drei Prozent Tiktok). 77 Prozent der Befragten informieren Bewerberinnen und Bewerber nicht darüber, dass sie Internetdaten zur Auswahl nutzen und fast niemand (vier Personen) fragt um Erlaubnis.

Ziele der Webrecherche sind unterschiedlich

Funktional dient Cybervetting den meisten entweder zur Vorauswahl (50 Prozent) oder als Vorbereitung auf das Einstellungsinterview (62 Prozent). Nach dem Interview werden vergleichsweise selten Daten aus dem Internet herangezogen, um eine Endauswahl zu treffen (18 Prozent). 79 Prozent derjenigen, die Cybervetting einsetzen, geben an, dass die hier gewonnenen Informationen schon einmal ihre Bewertungen von Bewerbern beeinflusst hätten. In 41 Prozent der Fälle zulasten und in 38 Prozent zugunsten der Betroffenen. Personen, die Cybervetting betreiben, glauben in signifikant stärkerem Maße als solche, die es nicht tun, daran, dass sich über Cybervetting die berufliche Leistung vorhersagen lässt. Allerdings liegen die Mittelwerte beider Gruppen im Bereich der Geringfügigkeit auf einer fünfstufigen Skala von "überhaupt nicht" bis "sehr gut" bei 2,3 und 2,0. 

Hinsichtlich der Ziele, die mit der Nutzung von Daten aus dem Internet verbunden sind, wurden sieben Aspekte unterschieden ( siehe Grafik). Bei denjenigen, die heute schon Cybervetting betreiben, steht eine Überprüfung der beruflichen Erfahrungen an oberster Stelle. In fast gleicher Intensität glauben die Befragten daran, dass ihnen Cybervetting eine bessere Einschätzung der Passung von Bewerberinnen und Bewerbern zur eigenen Unternehmenskultur ermöglicht. Erstaunlicherweise spielt auch die eigene Vernetzung mit Bewerbenden eine größere Rolle. Nicht wenige glauben zudem, dass die Sichtung von Internetdaten zur Persönlichkeitsdiagnostik dienen könne. Im Vergleich hierzu spielt eine Einschätzung der privaten Interessen oder der Intelligenz eine deutlich geringere Rolle.

Cybervetting wird weiter zunehmen

Sehr differenziert wurde erfragt, wie bestimmte Informationen aus dem Internet von den Anwendern der Cybervetting-Methoden bewertet werden. Die Antwortskala reicht dabei von 1 bis 5. Werte unter 3 bedeuten, dass Bewerberinnen und Bewerber negativ bewertet werden, wenn sich im Internet entsprechende Informationen über sie finden lassen. Werte über 3 führen hingegen zu einer positiven Bewertung. Die größten "Fehler", die Bewerberinnen und Bewerber unterlaufen könnten, würden demnach darin bestehen, dass sie sich im Internet diskriminierend über bestimmte Personengruppen äußern, vertrauliche Informationen über ihren Arbeitgeber preisgeben oder Hinweise auf etwaige Kriminalität zeigen. Dies alles ist sehr verständlich. Eine Abwertung der Betroffenen aufgrund von Tipp- oder Grammatikfehlern oder eines unprofessionellen Usernamens erscheint hingegen mehr als fragwürdig. 

Am anderen Ende der Skala führt ein positives Gesamtbild aller Informationen zu einer Aufwertung der betroffenen Bewerberinnen und Bewerber. Dies ist fast so einflussreich wie eine kreative Gestaltung der Internetseiten. Selbst sportliche Aktivitäten erscheinen den Befragten Hinweise auf geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu geben.

Ein weiteres Ergebnis, das beachtliche klare Aussagen zeigt: In Zukunft ist mit einer Zunahme des Cybervettings zu rechnen. 73 Prozent derjenigen, die Cybervetting bislang nicht nutzen, glauben, dass sie es in Zukunft tun werden. Befragt nach der Entwicklung des Cybervettings in der Wirtschaft insgesamt, geben 76 Prozent der Teilnehmenden in der Gesamtstichprobe an, dass mit einer Zunahme des Cybervettings in Deutschland zu rechnen sei.

Wie Cybervetting Mehrwert schaffen kann

Cybervetting ist ein recht junger Ansatz, der nach den Ergebnissen der vorliegenden Studie schon heute von vielen Arbeitgebern sporadisch genutzt und in Zukunft wahrscheinlich immer häufiger zum Einsatz kommen wird. Positiv hervorzuheben ist, dass die meisten sich dabei auf berufsbezogene soziale Netzwerke beziehen. Private Netzwerke sowie ein freies Googeln spielen aber auch eine große Rolle. Hierdurch ist nicht gewährleistet, dass nur solche Informationen in die Auswahlentscheidung einfließen, die von Bewerberinnen und Bewerbern hierzu auch gedacht sind. Bedenklich ist zudem, dass die Daten ohne explizites Wissen oder gar die Erlaubnis der Betroffenen genutzt werden. Wahrscheinlich gehen heute aber die meisten Bewerberinnen und Bewerber ohnehin davon aus, dass Arbeitgeber Cybervetting betreiben.

Die große Bandbreite an Informationen, die sehr positiv oder negativ gedeutet werden, lässt die Gefahr steigen, dass auch nicht-valide Informationen herangezogen werden. Dies gilt beispielsweise für Tippfehler, schlechte Ausdrucksweise oder sportliche Aktivitäten. Hinzu kommt das Problem, dass kaum explizite Bewertungskriterien vorliegen dürften, wenn es darum geht, ein "professionelles Gesamtbild" oder die "kreative Gestaltung der Netzseiten" zu beurteilen. Dasselbe gilt für das Ziel, den "Fit zur Unternehmenskultur" zu hinterfragen. Hier wird systematischen Fehlern der Personenbeurteilung bis hin zur Diskriminierung Tür und Tor geöffnet. Interessanterweise scheinen die meisten der Befragten selbst nicht so recht daran zu glauben, dass Webdaten einen wertvollen Beitrag zu Prognose der beruflichen Leistung liefern.

Soll Cybervetting mehr sein als nur ein Mittel zur Befriedigung der eigenen Neugierde oder eine weitere Quelle subjektiver, alltagspsychologischer Deutungen ohne nennenswerte Validität, so bedarf es einer professionellen methodischen Fundierung des Vorgehens: Die Bewerber werden darüber informiert, dass offen zugängliche Daten aus berufsbezogenen sozialen Netzwerken gesichtet werden. Es wird intern verbindlich festgelegt, welche Daten erfasst werden und welche nicht. Ebenso wird festgelegt, wie die einzelnen Informationen zu bewerten sind, sodass für alle Bewerberinnen und Bewerber ein einheitlicher Maßstab herangezogen wird. Dabei steht der Bezug zu den Anforderungen der Stelle im Vordergrund. Auf diesem Weg könnte Cybervetting – vielleicht – einen tatsächlichen Mehrwert zur Qualitätssteigerung in der Personalauswahl liefern.

Zum Nachlesen:

Kanning, U. P. & Ohlms, M. (Hrsg.) (2024): Digitale Personalauswahl und Eignungsdiagnostik. Berlin: Springer.


Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 12/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.


Das könnte Sie auch interessieren:

Verfahren zur Personalauswahl: Bestandsaufnahme und Digitalisierung

Neun Mythen der Personalarbeit

Wie Arbeitgeber passiv Jobsuchende für sich gewinnen

Top-Thema: Grundlagen der Personalauswahl


Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Digitalisierung, Recruiting