Wie Arbeitgeber passiv Jobsuchende für sich gewinnen

Passiv Jobsuchende gelten als Goldgrube für Arbeitgeber. Sie befinden sich in einer festen Anstellung und suchen nicht aktiv nach einer neuen Stelle. Aber sie sind durchaus wechsel­willig, wenn sie ein spannendes Angebot erhalten. Doch wie kann man sie erreichen? Moderne Technik eröffnet verschiedene Wege. 

Arbeitsbelastung ist ein wichtiger Grund für Beschäftigte, ihren bisherigen Job in Zweifel zu stellen. Der Jobwechsel-Kompass der Königsteiner Gruppe für das zweite Quartal 2024 besagt, dass 32 Prozent aller Beschäftigten am liebsten den Arbeitgeber wechseln würden. Bei jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren liegt die Wechselbereitschaft sogar bei 46 Prozent. 

Passiv Jobsuchende sind latent wechselwillig

Nicht nur die Arbeitsbelastung schürt den Wunsch nach Veränderung im Job, sondern auch die nicht immer vorhandene Work-Life-Balance. Und es gibt weitere Gründe, die sich je nach aktueller Lage ändern können: Anfang 2024, beim Jobwechselkompass des ersten Quartals 2024, zeigten sich die Befragten vor allem unzufrieden mit der Höhe ihrer Vergütung, mit ungleicher Bezahlung und mit fehlender Gehaltstransparenz. 

Der Wunsch nach einem Jobwechsel sagt allerdings noch nichts darüber aus, wer von diesen Personen tatsächlich nach offenen Stellen googelt und Jobportale durchforstet und wer weiterhin passiv bleibt und sich mit der aktuellen Situation arrangiert. Solch "passiv Stellensuchende" treffen keine bewusste Entscheidung, ihr Unternehmen zu verlassen.

Eigentlich ist dieser mittlerweile etablierte Begriff nicht ganz treffend, denn diese Personen befinden sich nicht auf der Suche. Stolpern sie jedoch über ein interessantes Angebot, das auch noch die richtigen Argumente für einen Wechsel liefert, können sie zu ernsthaften Bewerbern werden. Die Vorteile dieser latent Wechselwilligen: Sie sind meist hoch qualifiziert und in ihren aktuellen Positionen erfolgreich. Sie sind ihrem bisherigen Arbeitgeber gegenüber immer noch loyal, obwohl sie sich durchaus eine andere Betätigung vorstellen könnten. 

Das wirft die Frage auf, wie Arbeitgeber diese Personen mit ihren Jobangeboten erreichen. Hierfür gibt es zahlreiche neue Möglichkeiten, manche sind KI-gestützt. 

Passive Jobsuchende auf Google oder Youtube erreichen

"Aktiv Jobsuchende sind gut über Google erreichbar", weiß Thorsten Piening, Chief Marketing Officer und Mitgründer von Persomatch. Sein Unternehmen hat unter anderem "Job Ads" entwickelt, mit denen die eigene Stellenanzeige – wenn sie bei einer Job-Suchanfrage mit den genannten Kriterien übereinstimmt – ganz oben in den Ergebnissen der Suchmaschine erscheinen. Mit diesem Tool lässt sich Aufmerksamkeit bei denjenigen Personen, die nach Jobanzeigen googeln, schaffen. Aber nicht bei denjenigen, die untätig bleiben. "Das gezielte Ansprechen passiv wechselwilliger Kandidatinnen und Kandidaten überfordert viele Arbeitgeber", hat Thorsten Piening beobachtet. "Dabei bieten die Suchmaschine Google sowie die Videoplattform Youtube ziemlich gute Voraussetzungen dafür, diese Personen auf interessante Jobs aufmerksam zu machen", sagt er. 

Die Basis dafür liegt in den Daten, die Google sammelt. "Wir alle zahlen für die Nutzung der Suchmaschine mit unseren Daten. Dabei ist uns oft gar nicht bewusst, wie umfassend wir die Dienste nutzen, denn sie gehen weit über die bekannte Google-Suche hinaus, beispielsweise über Google Maps, Google Mail, Chrome, Android oder Youtube", so Thorsten Piening. "Google kennt uns teilweise besser, als wir uns selbst kennen. Zudem beschränkt sich die Google-Werbung nicht nur auf die Suchergebnisseite, sondern erstreckt sich auf mehr als 35 Millionen Webseiten weltweit", fährt er fort. Dort könnten Arbeitgeber die Nutzerinnen und Nutzer über sogenannte Google Display Ads oder über Youtube Ads erreichen. Die Technologie seines Unternehmens sorge dafür, dass zum Beispiel jene Personen, die im IT-Bereich beschäftigt sind und sich in den vergangenen sechs Monaten für einen Jobwechsel interessiert haben, ausgewählt werden. "Kombiniert mit einer geografischen Ausrichtung garantiert dies eine genaue Ansprache der relevanten Zielgruppe", so Piening. Diese Methode eignet sich für alle Branchen, Fachbereiche, Karrierelevel oder Regionen, denn nahezu alle Menschen nutzen Google oder Google-Dienste.  

Passiv Jobsuchende mit personalisierten Videos in Social Media ansprechen

Latent Wechselwillige sind normalerweise nicht auf den klassischen Jobportalen aktiv. Aber sie sind zumindest via Active Sourcing in den sozialen Medien erreichbar, lautet die Lösung von Marcel Pfenning, CFO und zuständig für Business Development bei Deepx. Er sagt: "Idealerweise ist die Ansprache innovativ und wurde mithilfe von KI unterstützt. Dadurch können individuellere Informationen angesprochen werden und die einzelne Person fühlt sich besser wahrgenommen und wertgeschätzt." 

Sein 2023 gegründetes Startup hat ein Automatisierungstool entwickelt, mit dem Talente mit personalisiert wirkenden Videos auf Linkedin und Xing angesprochen werden. "Personalisiert deswegen, weil sie ihre eigenen Profile, Websites oder andere individuelle Informationen im Video sehen", erläutert er. Dafür müsse ein Arbeitgeber jedoch nur ein Video aufnehmen. Dieses werde dann für jede einzelne Person, die angesprochen werden soll, angepasst, produziert und versandt. "Aus einem aufgenommenen Video werden also Hunderte von persönlich wirkenden, aber automatisiert erstellten Videos", fasst Marcel Pfenning zusammen. 

Laut eigenen Erhebungen werden bis zu 80 Prozent der personalisierten Videos angeschaut, 77 Prozent sogar im Schnitt bis zum Ende. Ein weiterer Vorteil der personalisierten Videos sei, dass sie mehr Informationen als reine Text-Ansprachen bereitstellen. "Sie liefern Persönlichkeit mit und können Humor, Sympathie und Identifikation ganz anders ermöglichen", so Marcel Pfenning. Die Videos seien vor allem für passiv Stellensuchende in den Bereichen IT und Engineering interessant. "Laut einer Studie von Indeed sind passiv Suchende in den Bereichen IT und Engineering am häufigsten bereit, sich auf neue Möglichkeiten einzulassen", weiß er. Aber auch der Marketing- und Sales-Bereich sowie junge Talente seien offen für diese Methode. 

Die eigene Karriereseite bewerben

Wenn das Talent nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Talent kommen. Dieses Prinzip gilt ähnlich für die Karriereseite: Wenn latent Wechselwillige nicht von selbst nach geeigneten Arbeitgebern und Stellenangeboten suchen, müssen ihnen die Angebote dort präsentiert werden, wo sie sich im Internet aufhalten. Deshalb hat die Jobplattform Heyjobs mit "Reach" ein neues Volumenprodukt entwickelt, das darauf abzielt, die Karriereseite und die Arbeitgebermarke kosteneffizient zu bewerben. Dazu tragen eine KI-gesteuerte Budgetverteilung und automatisierte Kandidatenauswahl bei. 

Das neue Tool eignet sich laut Marius Luther, Gründer und CEO bei Heyjobs, für Unternehmen, die mehr als 30 Stellen gleichzeitig zu besetzen haben und die ihre Employer Brand durch konsistente Anzeigen stärken wollen. "Das erforderliche Mindestbudget für die Vermarktung richtet sich nach der Anzahl der Jobs auf der Karriereseite und nach der Laufzeit der Kampagne, ist jedoch deutlich günstiger als eine klassische Einzel-Jobanzeige", erklärt er. Reach ist, wie der Name schon impliziert, ein Reichweitenprodukt und eignet sich vor allem dafür, einen stetigen Zustrom qualifizierter Kandidatinnen und Kandidaten für alle offenen Stellen auf der Karriereseite zu generieren. Zu den Kunden zählen die Rewe Group, Vonovia und Hellweg. 

Das Suchverhalten analysieren und passiv Jobsuchende finden

Auch bei passiv Jobsuchenden gilt: Generell ist es wichtig, die zum Unternehmen und zur Stelle passenden Personen zu finden und ihr Interesse an der ausgeschriebenen Position zu wecken. "Doch wo informieren sie sich, was ist ihnen wichtig und motiviert sie, sich zu bewerben? Die Berücksichtigung dieser Faktoren sorgt dafür, dass eine Vakanz gut und langfristig besetzt wird", sagt Frank Mathick, Head of Business Operation und Prokurist der Nawida GmbH. Das Unternehmen hat mit Talentsonar ein Tool entwickelt, das das Suchverhalten mittels KI analysiert. "Es gibt zum Beispiel stellenbezogen Aufschluss darüber, in welchen Stellenportalen und mit welchem Stellentitel die meisten potenziellen Talente erreicht werden und welche Attribute sie besonders interessieren", berichtet er. Das ermöglicht eine zielgerichtete Ansprache, richtet sich aber vornehmlich an Personen, die im Web aktiv nach Stellen suchen. 

Auch für passiv Jobsuchende gibt es eine Funktion: Mit Talentsonar lässt sich ein Bewerbermarkt-Scan durchführen, mit dem Talente, die zum Jobtitel passen, regional oder bundesweit identifiziert werden. "Mittels einer Direktansprache über Businessnetzwerke wie Linkedin und Xing werden diese dann direkt kontaktiert. So ermöglichen wir es, auch Talente zu erreichen, die von sich aus vielleicht gar nicht aktiv geworden wären", sagt Frank Mathick. Ein Pluspunkt der KI-gestützten Analysen sei, dass diese aufzeigen, welche Themen die jeweilige Zielgruppe besonders interessieren – ob Gehalt, Weiterbildung oder andere Benefits. "Damit ist es möglich, die Stellenanzeige oder die Direktansprache so zu formulieren, dass genau diese Themen enthalten sind, damit die Personen sich angesprochen fühlen und ihr Interesse an der Stelle gesteigert wird", ergänzt Frank Mathick und nennt einen wichtigen Punkt für den Recruiting-Erfolg.

Wie Wechselbereite zu Wechselwilligen werden 

Das Erreichen der passiv Jobsuchenden ist nicht alles. Es ist wichtig, aus latent Wechselbereiten wirklich Wechselwillige zu machen. Hierfür ist zum einen der richtige Moment ausschlaggebend. Erreicht man Beschäftigte zu einer Zeit, in der sie vom aktuellen Job frustriert sind, kann die Ansprache erfolgreich sein. Dann ist vor allem Schnelligkeit wichtig, denn wer sich wieder beruhigt hat und im gewohnten Fahrwasser weiterarbeitet, wird den Gedanken an einen Wechsel von sich schieben. 

Noch wichtiger sind die richtigen Argumente: Was erwartet die Personen bei diesem Unternehmen? Welche Benefits gibt es? Wie sind die Arbeitsbedingungen? Konkrete Antworten auf diese Fragen gilt es klar zu kommunizieren. Zudem sollte der Bewerbungsprozess nutzerfreundlich und intuitiv aufgebaut sein. Und die Bewerbung sollte bereits aus der Stellenanzeige oder der Direktansprache heraus möglich sein, damit die Interessenten spontan reagieren können.


Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 11/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.


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Schlagworte zum Thema:  Recruiting, Candidate Experience, Stellenanzeige