Einsatz von KI an Business Schools
Man muss nur mit den Fingern schnippen, genauer gesagt Daumen und Zeigefinger zusammendrücken, und in eine beliebige Richtung schauen: Schon bewegt sich eine Art virtueller Mauszeiger, mit dem man die gewünschten Anwendungen anklickt. Ein Selfie und der eigene Avatar ist erstellt. Zwölf Kameras, sechs Mikrofone und eine Menge Sensoren – wenn sich mehrere Menschen in eine Live-Session einschalten, schweben ihre Avatare und offene Fenster im Raum oder in einer virtuellen Landschaft. Gesichtsausdrücke lassen sich ebenso verfolgen wie die Blickrichtung, sodass es sich anfühlen kann, als wäre man im gleichen Raum.
Hier und da hakelt es noch. Aber die neue Apple Vision Pro, ein Mixed-Reality-Headset, das man sowohl für Virtual- als auch für Augmented-Reality-Anwendungen nutzen kann, ist ein heißes Thema für Tech-Nerds und Apple-Fans. Auch die erste Business School ist auf den Trend aufgesprungen. "Wir sind eine technologiebasierte Universität – eine Edtech University", sagt Christian Rebernik, Mitgründer und CEO der Tomorrow University, die nun einen "Impact MBA x Vision" anbietet. Dabei handelt es sich um eine Variante des Impact MBA der jungen Hochschule, der Studierenden berufsbegleitend in zwölf bis 18 Monaten nachhaltige Geschäftsstrategien nahebringt. Nur erhalten die Teilnehmenden hier jeweils eine Apple Vision Pro als Teil des Programms. Im Mai soll die erste Kohorte loslegen. Allerdings erst einmal in den USA, denn das Gerät ist bisher nur dort erhältlich.
Von der digitalen Lernplattform zur Mixed Reality
"Wir wollen Change Maker mit dem radikal immersiven Impact MBA auf die nächste Stufe bringen", erklärt der Gründer der Tomorrow University. Mit dem Apple-Headset hätten die Studierenden ihre Hände frei und könnten voll in das 3D-Klassenzimmer mit räumlichem Video und Audio eintauchen. Das erleichtere es den Studierenden, Beziehungen aufzubauen. Außerdem verstärke dies die emotionale Bindung, weshalb sich der Lernstoff besser einpräge. "Umso mehr Studierende den Lernraum mit ihrem Headset betreten, desto cooler ist die Erfahrung", so Rebernik.
Für die "Challenges", so heißen die Kurse in den Onlinestudiengängen der Tomorrow University, arbeiteten die Lehrkräfte bereits mit Lerndesignern zusammen, um viele Interaktionsmöglichkeiten zu schaffen – zum Beispiel durch Games oder Quizze, Teamarbeit mit Unternehmen oder Direct-Feedback-Circles. "Da wir bereits über eine digitale Lernplattform als App verfügen, war der Sprung für uns nicht so groß." Die Hochschule tickt online-first, ermöglicht aber auch lokale Treffen und organisiert mindestens viermal im Jahr ein Community-Meetup für alle Studierenden in Europa. Dort sollen künftig auch Kameras so positioniert werden, dass diejenigen, die nicht anreisen können, mit ihrem Headset ein ähnliches Netzwerkerlebnis haben wie vor Ort. Letztlich spare das Reisekosten und zahle auf Nachhaltigkeit ein, ohne auf eine gute Verbindung zwischen Studierenden verzichten zu müssen. Die Kosten des "Impact MBA x Vision" liegen bei 21.000 Dollar – für die USA relativ günstig. Hierzulande kostet der Impact MBA ohne die Apple Vision Pro bislang 14.850 Euro. Der Preis für das neue Apple-Headset allein: 3.499 Dollar in der Grundausstattung.
Immersive Technologien brechen Lernroutinen auf
Viele Expertinnen und Experten halten das für zu teuer im Vergleich zu anderen Headsets wie etwa Meta Quest 3. Die meisten Headsets haben gemein, dass sie noch schwer und auf Dauer nicht bequem zu tragen sind. Einige Business Schools gehen aber auch aus anderen Gründen andere Wege. Zum einen, weil sie auf Lernen vor Ort nicht verzichten wollen. Zum anderen, weil sie aus didaktischer Sicht VR-Anwendungen wie etwa immersive Case Studies für zielführender halten, obwohl auch das in der Produktion zusätzliche Kosten bedeutet.
"Wir setzen dann immersive Technologien ein, wenn sie den Wert der Lernerfahrung erhöhen", sagt Alain Goudey, Associated Dean for Digital und Professor für Marketing der Neoma Business School mit Sitz in Rouen, Reims und Paris. Ihn treibt die Vision um, "Lerninhalte zu produzieren, die so spannend sind wie die Netflix-Serien". Den ersten VR-Case lancierte Neoma schon 2016 im Fach Marketing. Ein Gruppe Studierender wirkte aktiv bei der Entwicklung mit. "Trotz anfänglicher Bugs waren die Studierenden sofort sehr engagiert, sobald sie die Headsets sahen und merkten, hier in der Klasse passiert etwas Anderes als klassischer Unterricht. Das bricht die Lernroutine auf und macht Spaß." Der Skalierbarkeit halber hat sich Neoma für passive Headsets entschieden. Das heißt, die nötige App läuft anders als bei Apple- oder Meta-Quest-Geräten direkt auf den Handys der Studierenden. Die Headsets bekommen sie am Campus. Während der Pandemie erhielten sie auch kleine Leichtgeräte für die Remote-Teilnahme per Post nach Hause.
Mit Virtual Reality ins wahre Leben
Inzwischen nutzt Neoma drei VR-Fallstudien – darunter ein Case im Supply Chain Management der Einzelhandelskette Leclerc und einer in Organizational Behaviour des Stromnetzbetreibers Enedis. "Früher mussten Studierende Dutzende Seiten Text lesen, um ein Problem zu verstehen und eine erwartete Lösung zu erarbeiten. Das ist nicht das wahre Leben", meint Goudey, der auch Leiter des Neoma Learning Lab ist, dem Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsteam der Wirtschaftshochschule.
Anders bei den VR-Cases: Die Wahrnehmung hänge vom Blickwinkel der Studierenden ab und die Ergebnisse könnten deshalb sehr unterschiedlich sein. Die Lehrkräfte schicken die Teilnehmenden meist mit einer konkreter Aufgabe und Rolle in die VR-Umgebung. Sie sollen sich etwa vorstellen, Leiter einer neuen Filiale zu sein. In VR schauen sie sich dort um und – wieder zurück im Klassenzimmer – unterbreiten sie in Kleinteams Verbesserungsvorschläge. "Es ist ein Aha-Moment, wenn Teilnehmende erkennen, dass andere die gleiche Managementsituation anders erleben, diese aufgrund ihrer Werte und Haltungen anders interpretieren und sie so bei schwierigen Entscheidungen zu anderen Schlussfolgerungen kommen."
Insgesamt wenden an der Neoma Business School pro Jahr etwa 1.000 Studierende die VR-Cases an – vor allem in MBA-Programmen, im Master of Management und in Executive-Education-Kursen. Zudem nutzen die beteiligten Unternehmen sie intern für Mitarbeitende, etwa beim Onboarding.
Immersive Technologie überwindet den physischen Raum
Auch die Business School Insead mit Sitz in Frankreich, Singapur, San Francisco und Abu Dhabi beschäftigt sich schon länger mit immersiven Technologien. Seit 2019 produziert sie VR-Cases, von denen inzwischen mehr als 25 auf ihrer XR-Plattform bereitstehen. Darauf können auch andere Business Schools weltweit zugreifen – ein Angebot, das etwa die Kühne Logistics University in Deutschland und weitere Institutionen in der EU, Großbritannien, den USA und dem Nahen Osten nutzen. "Wir haben diese Anwendungsfälle für die Erweiterung von Livekursen entwickelt. Das ist kein Experiment mehr, sondern eine robuste Standardlösung", betont Alon Epstein, Director of Immersive Content & Learning Development der Insead. Zudem ist er Co-Founder und Head of Content bei Avris Technologies, dem technologischen Dienstleister der XR-Plattform. Sein Team übersetzt die inhaltlichen Anforderungen der akademischen Fakultät in immersive Erfahrungen – für Insead oder andere Business Schools.
"Nicht jedes Thema ist für VR geeignet", so Epstein. Für Kernaspekte des Finanz- oder Rechnungswesens böten sie keine starken Vorteile. "VR glänzt darin, Menschen an reale oder fiktive, schwer zugängliche oder weit entfernte Orte zu bringen. Die Technologie überwindet den physischen Raum." Man erweitere das Campuserlebnis mit Lernerfahrungen in Onlineumgebungen – nicht nur an der Universität, sondern von jedem Ort aus, wo Studierende lernen möchten. Hinzu kommen die fernen Orte in der VR-Umgebung selbst. Sie können sich zum Beispiel auf einer abgelegenen Insel im Atlantik wiederfinden, wo sie als Führungspersonen einer NGO Wachstums- und Einkommensquellen für die ansässige Bevölkerung generieren und gleichzeitig das empfindliche Ökosystem schützen sollen. Wie Lean Management funktioniert und wie es sich auf den eigenen Arbeitsbereich übertragen lässt, demonstriert ein Case am Beispiel einer Claas-Traktorenfabrik. Die "Mission on Mars" von Insead hat inzwischen drei Episoden: Teilnehmende befinden sich im Jahr 2055 und sind in der Raumfähre Ares 2 auf dem Weg zum Mars. Im Team müssen sie unter Zeitdruck effektiv Hindernisse überwinden, um Leben zu retten und ein positives Geschäftsergebnis zu gewährleisten.
Virtuelle Realität als Empathie-Maschine
"Wir möchten Studierende in komplexe soziale Interaktionen hineinversetzen. Sie müssen in den immersiven Umgebungen sehr aktiv sein", erklärt Epstein. Denn anders als im Film sehe man nicht einfach eine emotionale Reaktion, sondern müsse explizit die Aufmerksamkeit auf eine Person lenken, um zu sehen, dass eine Träne über die Wange läuft. Nahaufnahmen gibt es nicht – erst der Kontext und die Interaktion im virtuellen Raum verleiht dem Geschehen Bedeutung. "Virtual Reality ist eine Empathie-Maschine. Sie weckt die Fähigkeit, Empfindungen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale anderer Personen zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden." Man kitzle dadurch bewusst Vorurteile heraus, um Lernenden den Spiegel vorzuhalten. Die meisten Menschen schätzten sich beispielsweise besser ein als sie sind. Zudem befürworteten viele konsequente Führung, die einer klaren Ausrichtung folgt.
Heute müssten Führungskräfte aber in der Lage sein, paradox zu denken und für das beste Ergebnis Komplexität und Mehrdeutigkeit einzubeziehen. Wo jemand steht, zeigten nicht nur Feedbackformate, sondern auch die Verhaltensdaten, die in der immersiven Erfahrung generiert werden – in Bezug auf Entscheidungswege und Aufmerksamkeitsmechanismen, die sich über die Blickrichtung tracken lassen. Egal ob im Klassenzimmer, über Zoom oder auf dem Campus: An einer bestimmten Stelle im Unterricht können die Lehrkräfte die Studierenden in die VR-Umgebung schicken und ihnen eine Aufgabe mitgeben. Wenn man danach die Ergebnisse reflektiere, führe das zu Diskussionen, neuen Überlegungen und einer ganz anderen Art, den Unterricht zu gestalten. "Damit schaffen wir passives Lernen ab, denn effektives Lernen geschieht durch Erfahrung. Das Gelernte lässt sich dadurch in der Realität leichter wiederholen – und die Selbstwirksamkeit steigt."
Augmented Reality im Marketing der Business Schools
Vincent Meertens, Associate Director Digital & Learning Innovation der WHU – Otto Beisheim School of Management, sieht das ähnlich: "VR kann den Studierenden helfen, spezifische Kontexte zu durchdringen. Zum Beispiel verstehen sie logistische Prozesse wesentlich besser, wenn sie durch eine virtuelle Autofabrik gehen." Meertens leitet im Center of Digitalization (CoD) der WHU eine Arbeitsgruppe, die sich seit 2021 speziell um das Thema AR und VR kümmert. In der Lehre setzt die Business School mit Sitz in Vallendar und Düsseldorf VR unter anderem für Fragestellungen in der Logistik und für die Vermittlung von Soft Skills ein. Alle Part-Time-MBA-Studierenden – etwa 40 pro Jahr – üben ihre Präsentationsfähigkeiten in einem virtuellen Raum, in dem die WHU Größe und Feedback eines virtuellen Publikums simulieren kann.
Auch mit Augmented Reality hat die WHU Erfahrung – vor allem im Hinblick aufs Marketing. Viele angehende Studierende nehmen an immersiven Führungen teil. Dabei erscheinen Bilder von WHU-Alumni an der Wand und die ehemaligen Studierenden sprechen über ihre Erfahrungen an der Hochschule. Wie an anderen Business Schools besteht ein USP darin, Begegnungen und Netzwerke zwischen den Studierenden zu schaffen – auch beim Global Online MBA. "Onlinelernen kann auf einem hohen Niveau stattfinden, wenn es richtig umgesetzt wird. Einige Facetten übertreffen dabei sogar das Lernen in Präsenz – zum Beispiel, wenn es um adaptives oder autonomes Lernen geht", meint Vincent Meertens. Dennoch hapert es noch beim Community Building. Immersive Technologien hätten hier das Potenzial, Onlineinteraktionen nahe an das Präsenzniveau zu bringen. Virtuelle Welten sollen zu einer Alternative gängiger Videokonferenztools werden. In der Sondierungsforschung befasst sich die WHU deshalb nicht mit konkreten Lernsituationen oder Lehrveranstaltungen, sondern mit der Frage, wie ein "Campus der Zukunft" aussehen könnte – das, was viele "Metaversum" nennen. "Wir wollen bereits jetzt verstehen, wie wir interagieren würden, wenn immersive Technologien überall um uns herum vorhanden wären", so Meertens.
Die Neoma Business School hat ein ähnliches Zukunftsbild. Während der Coronapandemie hat sie einen virtuellen Campus geschaffen, mit Gebäuden und Räumen für ein virtuelles, aber vollständiges Campusleben. Studierende wählen Avatare, mit denen sie sich in den Lernsitzungen bewegen können. Dort kommen Rollenspiele zum Einsatz, vor allem im Fach Entrepreneurship und Finanzen, bei dem Teilnehmende in die Rolle von Unternehmensgründern oder Investoren schlüpfen. Die Räume lassen sich dafür verschieden einrichten, im Stil einer Bank oder eines Startups. "Unsere Anwendungen in diesem virtuellen Campus sind weniger ermüdend als in Zoom oder Teams und schaffen ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl", stellt Alain Goudey fest.
Immersive Technologien für ein zukunftsorientiertes Lernerlebnis
Dass sich immersive Technologien hardware- und softwareseitig in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt haben – darüber sind sich alle einig. Das dürfte der Grund sein, warum inzwischen viele Business Schools mit XR-Anwendungen experimentieren – auch solche, die bisher zu viele Nachteile darin sahen. So hat nun etwa die ESMT damit begonnen, immersive Technologien zu erproben. "Wenn eine akademische Institution keine immersiven Technologien in ihre Programme integriert, vergibt sie die Möglichkeit, ihren Studierenden ein anregendes und zukunftsorientiertes Lernerlebnis anzubieten", glaubt Roselva Tunstall, Director des Learning Innovation Lab an der ESMT Berlin. 2024 wird die ESMT ein Trainingsmodul für Soft Skills in der Führungskräfteausbildung einführen, speziell für das Thema "Krisenmanagement". Dabei handelt es sich um eine Gruppeninitiative der Future of Management Education Alliance, die über den Marktplatz eines externen Partners läuft. Zudem hat das Learning Innovation Lab mit dem Executive-Education-Team ein Team-Building-Erlebnis gestaltet – eine Simulation, die auf "Engage" läuft, einem Anbieter von Metaverse-Plattformen. Dort stehen verschieden gestaltete VR-Orte zur Wahl – sogenannte "Metaverse Spaces" wie zum Beispiel eine fragile Schnee- und Eislandschaft.
Das soll der Anfang eines größeren VR-Portfolios von Führungskräftetrainings für Skills wie Teamkompetenz, Problemlösungskompetenz, Kommunikations-Skills, Kreativität und Führungskompetenzen werden. Die Fallstricke sieht Roselva Tunstall unter anderem bei der Nachhaltigkeit, insbesondere bei Metaverse-Erlebnissen, die Blockchain-Technologie nutzen. Denn diese erfordern eine relativ hohe Rechenleistung – und haben somit einen hohen Energie- und CO2-Verbrauch. Doch mit der richtigen Strategie und passenden Partnern könne man die Schwierigkeiten überwinden. Die ESMT möchte künftig auch eigene VR-Erfahrungen erstellen – mit einem No-Code-Autorentool ihres VR-Anbieters. Als nächsten Schritt soll allerdings die Integration von Digital-Twin-Technologien in die Lehre kommen – zum Beispiel in Kooperation mit Siemens. "Ein digitaler Zwilling ist eine virtuelle Repräsentation eines physischen Produkts, Prozesses oder Systems", erläutert Tunstall. Diese Technologie ermöglicht es, Simulationen und Analysen zu erstellen. Siemens nutzt digitale Zwillinge unter anderem in Produktentwicklung und -design, für Produktionsprozesse und Wartung oder im Energie- und Gebäudemanagement.
XR-Technologie ist noch am Anfang
Dass ein Unternehmen wie Apple in XR-Technologie investiert, sehen viele als Signal für mehr. Die Tomorrow University will ihren Impact MBA in Raumerfahrung auch bald außerhalb der USA anbieten, sobald dort die Apple Vision Pro erhältlich ist. Gründer Rebernik spoilert schon einmal, als er den neuen Studiengang auf Linkedin ankündigt: "Dies ist erst der Anfang."
Der Insead-XR-Experte Alon Epstein sagt voraus, dass die Preise für Headsets mit ähnlichen Funktionalitäten wie die von Apple dramatisch sinken werden. "In ein paar Jahren wird es schöne, erschwingliche und robustere Alternativen geben", meint er. "Die aktuelle Situation von Mixed Reality lässt sich mit der des Internets im Jahr 1989 vergleichen, nur dass die Technologie viel schneller voranschreitet." Das nächste große Ding werde die Kombination von XR und künstlicher Intelligenz (KI). Heute sei die Handlungsfähigkeit in der VR-Umgebung noch begrenzt. Für Fragen, Interpretation, Analyse und Reflexion brauche es den Professor oder die Professorin, die dabei helfe, das Erlebte einzuordnen. Es gibt schon erste Anwendungen, die asynchrones Feedback geben, aber vorprogrammierten Pfaden mit einem geringen Grad an Personalisierung folgen. Wohin die Reise gehen könnte, zeigt der Spieleentwickler Ubisoft: Kürzlich kündigte das Unternehmen an, KI-Gaming-Charaktere – sogenannte "Non-Playable Character" (NPC) – entwickeln zu wollen, die Gespräche mit Spielerinnen und Spielern führen können. Bisher sind diese Anwendungen laut Epstein zu unsicher für die Lehre. Nicht nur aus Datenschutzgründen, sondern vor allem, weil Generative KI schwer zu kontrollieren sei. "Wir setzen sie im Produktionsprozess und bei Dienstleistungen ein, aber das sind voraufgezeichnete Aspekte. Es handelt sich noch nicht um Echtzeit-KI."
VR im richtigen Maß
Ein weiteres Problem der rasanten Entwicklung: Es bedarf ständiger Neuentwicklung der VR-Cases, die aufwendig und kostspielig sind. Zwar gebe es Case Studies aus den 1980er Jahren, so Epstein, die heute noch aktuell seien. Aus der Geschichte könne man viel lernen. Dennoch gelte es, diese Lernerfahrungen laufend anzupassen – didaktisch und emotional. "Wir schicken Studierende nur für kurze Zeit in VR-Szenarien und verursachen keine induzierte Bewegung, bei der das Gehirn denken könnte, dass wir uns in echt bewegen." Studierende sollten die VR-Geräte stationär, also im Sitzen oder Stehen nutzen, ohne herumzulaufen. Denn eine Gefahr immersiver Technologien ist die sogenannte "Motion Sickness": Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen. Es gibt also auch ein Zuviel des emotional Guten und Verdaubaren. Nur durch solide didaktische Produktion lasse sich diese soweit vermeiden, dass sie in der Anwendung quasi nicht vorkomme.
"Uns ist es gelungen, die Zahlen der Teilnehmenden mit Motion Sickness auf fünf Prozent zu senken", berichtet Alain Goudey von der Neoma Business School. Aber es gebe trotz aller Sorgfalt immer Personen, die sehr sensibel auf VR reagierten. An der Neoma habe man beschlossen, dass VR-Fallstudien 20 bis 30 Minuten nicht übersteigen sollen und in kleinen Häppchen angewendet werden. Wechselnde Zyklen zwischen Theorie, Praxis und Reflexion erforderten auch eine neue Haltung der Lehrkräfte. Sie müssten in die Rolle von Mentoren und Tutoren für komplexe Fragestellungen schlüpfen und mit KI umgehen können. All diese Rädchen sollen ineinandergreifen. "Es geht darum, das Rezept für die geheime Soße zu finden."
Dieser Beitrag ist erschienen in personalmagazin neues lernen, Ausgabe 3/2024, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der App personalmagazin - neues lernen.
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