Future Skills strukturiert angehen
Eine zielgerichtete Weiterbildung und lebenslanges Lernen sind für Unternehmen in unserer schnelllebigen Arbeitswelt zum zentralen Erfolgsfaktor geworden. Es gilt, die Kompetenzen, die künftig notwendig sind, die Future Skills, frühzeitig zu erkennen und daraus praxisnahe Weiterbildungsangebote zu generieren. An der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und der Praxis der betrieblichen Weiterbildung arbeitet das Fraunhofer IAO. Mithilfe seiner angewandten Forschung will es Unternehmen Ratschläge für ihre betrieblichen Weiterbildung an die Hand geben, wie an ihrem "Future Competence Day", der im Mai 2023 stattfand.
Bei der Frage, was "Future Skills" überhaupt sind, bezieht sich das Fraunhofer IAO auf das vom Stifterverband und der Unternehmensberatung McKinsey veröffentlichte Diskussionspapier "Future Skills 2021". Danach zählen insgesamt 21 Kompetenzen zu den Future Skills, die sich wiederum in vier Kategorien bündeln lassen. Unter "Technologische Kompetenzen" werden die Skills zusammengefasst, die wichtig sind, um neue Technologien zu gestalten und effizient zu nutzen, wie zum Beispiel Data Analytics und IT-Architekturen. Unter die zweite Kategorie fallen digitale Schlüsselkompetenzen. Sie sorgen dafür, dass sich Menschen gut und aktiv in digitalen Umfeldern bewegen. Zu ihnen zählen unter anderem "Digital Literacy" und digitale Kooperation sowie agiles Arbeiten. "Klassische Kompetenzen" bilden das dritte Feld wie etwa unternehmerisches Handeln, Eigeninitiative und die Fähigkeit, Lösungen zu entwickeln. Den letzten Bereich bilden transformative Kompetenzen. Sie helfen uns, gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen. In ihrem Zentrum stehen ebenfalls Metakompetenzen: die Fähigkeiten, Urteile zu entwickeln, Veränderungen zu gestalten und Konflikte konstruktiv zu nutzen.
"Wir bewegen uns vor allem auf zwei Feldern: Zum einen geht es um die Kompetenzen, die wir ad hoc benötigen, um neue Technologien schnell zu nutzen und den Fortschritt zu gestalten. Und auf einer zweiten Ebene stehen Metakompetenzen, die quer zu den ersten liegen und die Grundlagen bilden, um in der Vuca-Welt zurechtzukommen", analysiert Professor Marc Rüger, Institutsleiter vom Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau und Direktor Strategisches Business Development des Fraunhofer IAO, die Future Skills.
Trends in die Weiterbildung integrieren
Auf der Basis dieser Kompetenzkategorien will das Fraunhofer IAO über seine angewandte Forschung Impulse für eine zielgerichtetere berufliche Weiterbildung setzen. Dazu hat das Institut mit "Global Upskill" einen Think Tank gegründet, der von der Dieter-Schwarz-Stiftung gefördert wird: "Uns ist es wichtig, im direkten und engen Kontakt zu Unternehmen zu stehen. Denn wir wollen unsere Erkenntnisse zur beruflichen Weiterbildung für den Einsatz in Unternehmen praktikabel machen", skizziert Marc Rüger die Intention. "Global Upskill" fokussiere sich in der Forschung auf neue Technologien wie KI und Digitalisierung, also die Trends, die die künftige berufliche Weiterbildung sowohl inhaltlich als auch didaktisch maßgeblich beeinflussen würden.
Dazu hat das Fraunhofer IAO erste Studien veröffentlicht. Im Zentrum der ersten Studie steht, auf welche Weise Unternehmen wichtige technologieindizierte Trends identifizieren und analysieren können, um sie dann in ihre berufliche Weiterbildung zu integrieren. Je früher Unternehmen erkennen, wie sich ihre Bedarfe anhand neuer Trends ändern, so die Studienautoren, umso schneller ließen sich ihre Lernangebote verändern.
Für die Identifikation und Analyse von Trends schlägt Fraunhofer IAO eine fünfstufige Vorgehensweise vor. Zuerst gilt es, das genaue Ziel der Trendidentifikation zu definieren und das Setting festzulegen: Was genau soll untersucht werden? Danach folgt im nächsten Schritt die Datenerhebung oder Informationsbeschaffung. Im dritten Schritt werden die Informationen genauer durchleuchtet und die wichtigsten Trends mit Hilfe einer Einflussmatrix identifiziert.
Diese herausgefilterten Trends werden anschließend tiefgehend analysiert, dazu bietet sich ein sogenanntes "Futures Wheel" an. Darin werden die direkten und indirekten Auswirkungen und Einflüsse eines Trends systematisch in einer Grafik abgebildet. Auf diese Weise lassen sich die Effekte auf die Bereiche einer Organisation herunterbrechen. Ist geklärt, welche Trends als wichtig deklariert sind und wie sie sich auf die betrachteten Bereiche auswirken, folgt im abschließenden Schritt die Entwicklung von Szenarien: In ihnen werden Lösungsräume für die Zukunft entwickelt, aus denen sich konkrete Handlungsoptionen ableiten lassen. Das heißt, am Ende der fünfstufigen Vorgehensweise stehen konkrete Handlungsempfehlungen für Organisationen, wie sie mit den für sie relevanten Trends im Rahmen ihrer betrieblichen Weiterbildung umgehen können.
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Kompetenzbedarfe strukturiert ermitteln
Die zweite Fraunhofer-IAO-Studie zur betrieblichen Weiterbildung zeigt Unternehmen auf, wie sie ihre künftigen Kompetenzbedarfe in einzelnen Teams oder für die gesamte Organisation mithilfe einer strukturierten Vorgehensweise ermitteln können. Der Fokus, so die Studienautoren, solle dabei vor allem auf den Tätigkeitsbereichen und Jobprofilen liegen, die stark von neuen Technologien beeinflusst sind und sein werden. Gerade für sie sei es wichtig, in Einzelanalysen zu evaluieren, welche notwendigen Kompetenzprofile und Weiterbildungsbedarfe notwendig seien.
Um die Kompetenzbedarfe systematisch zu ermitteln, hat Fraunhofer einen Kompetenz-Kompass entwickelt (siehe unten). Er bildet alle Prozesse eines strategischen Kompetenzmanagements ab und umfasst fünf Schritte: Im ersten Schritt geht es darum, die Unternehmensstrategie mit den dafür notwendigen Kompetenzen zu verknüpfen, also die Auswirkungen der strategischen Ziele auf die Kompetenzen der Beschäftigten zu ermitteln. Anschließend sollte ein strukturiertes Kompetenzmodell generiert werden, dass die notwendigen Kompetenzen in verschiedenen Kompetenzklassen und -niveaus sowie Soll-Profilen abbildet. Der dritte Schritt fokussiert sich darauf, diese Kompetenzen zu beurteilen: Welche Kompetenzen sind bereits vorhanden und welche müssen entwickelt werden? Darauf baut der vierte Schritt auf: In ihm wird ermittelt, wie diese Kompetenzen entwickelt sowie aufgebaut werden sollen und welche Maßnahmen dafür vonnöten sind. Zum Schluss geht es in einer Kompetenzbilanz darum, den gesamten Prozess nach seinem Nutzen für die Organisation zu bewerten.
Fraunhofer-Kompetenz-Kompass | Fragestellung | Ziel |
1. Strategieanbindung | Wie können wir die Unternehmensstrategie durch Kompetenzmanagement unterstützen? | Identifikation der Auswirkungen strategischer Ziele der Organisation auf Beschäftigte |
2. Kompetenzmodell | Wie bilden wir Kompetenzen optimal ab? | Strukturierung und Spezifikation des Kompetenzmodells mit Kompetenzklassen, Kompetenzniveaus, SOLL-Profilen |
3. Kompetenzmessung | Welche Kompetenzen haben wir schon heute und welche müssen | Messung und Beurteilung vorhandener Kompetenzen (Kompetenzprofil, IST-Einschätzung, SOLL-IST-Vergleich) |
4. Kompetenzaufbau | Wie entwickeln wir Kompetenzen bedarfsgerecht? | Festlegung, wie Kompetenzen aufgebaut werden sollen (Prüfung vorhandener Maßnahmen, Festlegung neuer Maßnahmen) |
5. Kompetenzbilanz | Wie bewerten wir die Ergebnisse und den Nutzen des Kompetenzmanagements? | Bilanzierung des gesamten Prozesses und der durchgeführten Maßnahmen |
Bei allen Analysen und Modellen – für Marc Rüger hat es weiterhin oberste Priorität, dass Unternehmen zuvor ihre Hausaufgaben machen: "Um neue Trends einzuspeisen, muss ein Unternehmen strategisch wissen, wo es hinwill. Daraus lässt sich die Frage ableiten, auf welche Trends ich antworten muss. In einem nächsten Schritt geht es dann um die dafür notwendigen Kompetenzen: Welche kann ich auf Basis der vorhandenen Kompetenzen weiterentwickeln, welche muss ich aufbauen oder zukaufen?" Leider finde eine solch strategische Herangehensweise in vielen Unternehmen noch nicht statt, sei aber die entscheidende Grundlage, betont er.
KI und Datenmodelle in zwei Beispielen
Soll-Ist-Vergleiche und daraus resultierende Ableitungen für den Erwerb von Kompetenzen standen auch im Mittelpunkt der beiden Praxisbeispiele, die am "Future Competence Day" präsentiert wurden. Im ersten Fall ging es um die berufliche Zukunft von Blue-Collar-Mitarbeitenden eines internationalen Automobilzulieferers. Der hatte entschieden, einen Standort zu schließen und wollte ihnen nun neue berufliche Perspektiven eröffnen. Umgesetzt wurde dieses Ziel mithilfe der People-Analytics- und KI-Plattform von Greple, die das beauftragte Beratungsunternehmen STG einsetzte. Diese Plattform basiert zum einen auf künstlicher Intelligenz und Data Science. Zum anderen hat sie jede Menge Daten aus dem Arbeitsmarkt gespeichert: insgesamt rund 14.000 Kompetenzen mit den dazugehörenden Berufsbildern.
Anhand umfassender Datenanalysen und -auswertungen wurden für die Mitarbeitenden individuelle Kompetenzprofile erstellt und mit den dazu passenden Berufsbildern verknüpft. Im Anschluss zeigte die Plattform den Mitarbeitenden Entwicklungspfade auf, um neue Berufsbilder in anderen Unternehmen wahrnehmen zu können. Zu den Kompetenzlücken gab es Schulungen und Qualifizierungen. Das Resultat dieses Prozesses: Laut Greple und STG half dieser datengestützte Weg vielen Mitarbeitenden, neue Arbeitgebende zu finden.
Im zweiten Beispiel ging es um ein datengeschütztes Prognosemodell von Mercedes Benz Global Training. Mit dessen Hilfe simulierte das Unternehmen, welche künftigen Kompetenzen seine Retail-Mitarbeitenden benötigen würden, wenn sich ihr Geschäftsfeld erweitern würde. Mit Appose nutzte Mercedes Benz ebenfalls einen externen Partner, der sich auf Skill-GAP-Analysen zur Sicherung der Zukunft von Belegschaften konzentriert und dafür KI nutzt. Für die Prognose wurden die aktuellen Kompetenzprofile der Mitarbeitenden auf der Basis von Stellenausschreibungen analysiert. Um die Entwicklungspotenziale ihrer Kompetenzen aufzuzeigen, wurden ihre derzeitigen Eigenschaftsprofile mit den Anforderungsprofilen aus anderen Jobs verglichen. Daraus wurden für die Mitarbeitenden mögliche Karrierepfade mit den damit verbundenen neu zu lernenden Skills simuliert beziehungsweise vorgeschlagen.
Nicht nur die beiden Beispiele zeigen: Big Data und KI-Ansätze sind in der betrieblichen Weiterbildung angekommen und sorgen für eine zunehmende Individualisierung und Personalisierung von Lernmaßnahmen. Diese finden mehr und mehr digital oder in Form von Blended Learning statt. Bis zu einem adaptiven Lernen, das die Wissensvermittlung an den Wissensstand, die Lernpräferenzen und das Umfeld des Lernenden anpasst, sind aber noch einige Schritte zu gehen.
Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 4/2023, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen.
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