Die Königsklasse: Lerntransfer bei Change


Kolumne: Lerntransfer bei Change als Königsklasse

"Das muss doch endlich auch mal wieder vorbei sein mit dem Wandel". Das ist eine Aussage, die L&D Professionals in Zeiten von viel Wandel und Veränderung immer wieder zu hören bekommen, wenn sie Schulungen im Rahmen von Change Prozessen organisieren. Lerntransfer bei Change-Müdigkeit ist die Königsklasse, findet Kolumnist Axel Koch.

Lerntransfer bei Change, das ist im Grunde wie das doppelte Lottchen: ein Zwillingspärchen aus dem gleichnamigen Roman, das zusammenfinden muss. Lerntransfer ist vom Grundsatz schon anspruchsvoll, da es ja darum geht, Gelerntes im Alltag umzusetzen, also am Ende auch seine Denk- und Arbeitsweisen zu verändern. Bei flankierenden Schulungen zu Change-Maßnahmen steht obendrein bewusst im Fokus, sich zu verändern und die Erkenntnis zum Change in den Alltag zu transferieren.

Anpassungsfähigkeit ist das Thema der Zeit

Eines der großen Themen in den Unternehmen betrifft die Anforderung der steten Anpassung an sich verändernde Bedingungen. Die Erwartung von Firmenleitungen an die Mitarbeitenden ist, dass sie mit Engagement und Verständnis jeden Wandel mitgehen. Denn es sollte ja jedem klar sein, dass es um nicht weniger geht als die Existenz des Unternehmens und den Job.

Wer Ohren hat, der höre. Alle Welt redet davon: Wir müssen uns verändern, der Wandel ist da. Wenn wir uns nicht verändern, dann bleiben wir stehen und das bedeutet wirtschaftlichen Schaden. Der einzige Haken ist, dass etwa gefühlte zwei Drittel der Mitarbeitenden genauso eben nicht zu denken scheinen – gerade auch bei tradierten Unternehmen, wie ich verschiedentlich mitbekomme. Und das ist aus der Perspektive des Lerntransfers und eben auch aus Sicht der Veränderungspsychologie der Supergau. Da ist ein massiver Block von Menschen, mit dem das Unternehmen nicht zukunftsfähig zu sein scheint.

Sind alle lerntransfer-resistent?

"Was? Meine Leute wollen sich nicht verändern?" Personalentwickler und Personalentwicklerinnen wissen nur zu gut, dass viele Führungskräfte im Unternehmen Schnappatmung bekommen, wenn der Change in ihrem Bereich hakt. Sie wissen aber auch, dass es bisweilen hakt, weil die Chefs sich selbst schwertun mit dem Wandel. An der Oberfläche der Beschäftigten prallen Change-Erfordernisse ab wie Haselnüsse auf einer Teflonpfanne. Mitarbeitende sagen: "Warum müssen wir das überhaupt machen?", "Das bringt überhaupt keine Verbesserung", "Das ist doch alles sinnlos", "Wir machen das doch schon so. Das ist doch jetzt auch nichts Neues", "Die ganze Zeit hat es doch auch gut funktioniert", "Lief doch bisher auch gut", "Soll bisher alles schlecht gewesen sein?". Angesichts dieser und ähnlicher Stimmen, kann man im Grunde einpacken. Lerntransfer und Veränderung liegen in weiter Ferne. Die Frage ist nun: Sind die Menschen wirklich anpassungs- und lerntransfer-resistent?

Das Prinzip der drei Affen

Vielleicht kennen Sie das Sinnbild der drei Affen: der eine hält sich die Augen zu, der andere die Ohren und der dritte den Mund. Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. Das Prinzip regiert in Unternehmen vielfach bei Change - und deshalb klappt auch der Lerntransfer beim Wandel so schlecht. Ja, nicht nur das: Die grundsätzliche Anpassungsfähigkeit der Mitarbeitenden kommt dadurch unter die Räder.  

Der psychologische Blick darauf besteht darin, sich den einzelnen Menschen genauer anzuschauen, zuzuhören und passend zu den gesammelten Erkenntnissen die richtigen Worte zu sprechen. Das ist den meisten L&D- sowie Change-Verantwortlichen klar. Doch worüber ich hier spreche, geht noch eine Ebene tiefer und das habe ich so noch nicht in der gängigen Praxis erlebt. Der Blick richtet sich nämlich darauf, wie anpassungsfähig die Menschen im Unternehmen wirklich sind beziehungsweise welchem "Veränderungs-Typus" sie entsprechen. Kurzum: Es geht darum, das konkret zu messen. Denn: Die gute Nachricht ist, die Wissenschaft hat hier schon geforscht und konkrete valide Instrumente zutage gefördert, die nur auf Nutzung warten.

Mehr Anpassungsfähigkeit drin, als man denkt?

Stellen wir uns den folgenden Fall vor: Wir haben Mitarbeitende eines Teams vor uns. Wir hören Sätze wie die oben genannten. Schon ist die Schublade auf und der Gedanke im Raum: die sind nicht anpassungsbereit. Aber das wissen wir bei Licht betrachtet gar nicht genau. Nun gibt es zwei Instrumente: Die "Resistance-to-Change-Scale" (Oreg, 2003) und die "Adaptability Scale" (Van Dam, & Meulders, 2020).

Die Resistance-to-Change Scale erfasst, inwiefern Menschen Routine bevorzugen, wie sie emotional auf Change reagieren, ob sie eher langfristig den Nutzen von Change sehen und inwiefern es ihnen leichtfällt, sich in ihrer Sicht zu verändern. Die Adaptility Scale erhebt, wie lern- und anpassungsfreudig jemand ist, ob er das Selbstvertrauen hat, sich an neue Umstände anpassen zu können und sich auch leichttut und gelassen bleibt, wenn sich Dinge unerwartet verändern. Für den Einsatz in der Praxis würde ich den Namen der Instrumente natürlich nicht nutzen, aber beide machen mit wenig Aufwand messbar, wie gut Menschen von ihrer Art her für Anpassung und Veränderung aufgestellt sind. Sicherlich braucht es hier eine "gute Story", um die Instrumente einzusetzen. Aber daran wird es sicher nicht scheitern, wenn ich bedenke, was alles in Unternehmen gemessen und erhoben wird.

Jetzt könnte natürlich ein Argument um die Ecke kommen, welches das Kartenhaus dieser Perspektive zum Einsturz bringen kann. Nämlich der Einwand: Wenn ich mir Mitarbeitende in dieser Weise genauer anschaue, kommen vielleicht Dinge ans Licht, die ich gar nicht wissen will. Dann ist die Büchse der Pandora geöffnet und ich muss mich damit auseinandersetzen. Aber ganz ehrlich: Nur weil wir über solche Themen nicht sprechen, heißt es ja nicht, dass sie nicht da sind. Psychologisch gesehen geht es darum, Dinge besprechbar und bearbeitbar zu machen – sie aus der Tiefe des Dunkels zu holen, wo sie aus dem Untergrund wirken. Deshalb möchte ich Sie heute ermutigen, genau hinzusehen und nicht das Prinzip der drei Affen zu pflegen.


Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 30 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.