Die frustrierende Idealismusfalle


1
Kolumne Praxisschock: Die frustrierende Idealismusfalle

Scheitern Sie regelmäßig an ihren Zielen? An den Idealen, die Sie für erstrebenswert halten: viel Sport, gesundes Essen, wenig Autofahren, ohne Plastik einkaufen? Vielleicht sind Sie dann schon gefangen in der Idealismusfalle, die mehr Frust als Motivation bringt, meint Kolumnist Boris Grundl – und bietet einen erleichternden Lösungsansatz.

Das Streben nach Idealen scheint auf den ersten Blick etwas sehr Schönes. Die ideale Schulbildung, am besten bei idealen Lehrern. Den idealen, immer gesunden Körper, am besten mit der Tendenz zur Unsterblichkeit. Die ideale Partnerschaft. Die ideale Familie. Den idealen Arbeitgeber. Nur ideale Produkte vermarkten.

Das ist die persönliche Ebene. Doch auch gesellschaftlich wirkt diese Kraft. Eine ideale Energieversorgung. Eine ideale Welt ohne Krieg. Ein ideales Wirtschaftssystem. Eine ideale Transportlogistik. Ein ideales Gesundheitssystem. Eine ideale Verteilung von Geld und Macht. Liest sich doch alles wunderbar, oder nicht? Doch was macht das mit uns?

Die persönlichen Ergebnisse dieses Denkens

Wie immer haben tiefe innere Überzeugungen Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung. Und im Falle des Idealismus sind es deren zwei:

Erstens, der Blick von innen nach draußen in die Welt. Wir sehen die Lehrer, den Partner, die Vorgesetzten, die Politiker und nehmen zuerst wahr, wie weit diese von unserem inneren Ideal entfernt sind. Das endet dann in Vorwürfen und Beschwerden gegenüber anderen.

Zweitens, der Blick nach innen in unsere Seele. Wir sehen den Mangel an Motivation, den zu wenig empfundenen Sinn, den nicht perfekten Körper (egal, wie viel wir trainieren oder uns ernähren). Oder ungewünschte Zustände wie Neid, Hass oder Eifersucht. In Summe fühlen wir uns nicht gut genug, weil wir auch hier sehen, wie weit wir vom Ideal entfernt sind.

Die kollektiven Ergebnisse dieses Denkens

Auf der kollektiven Ebene sind die Ergebnisse dieses Strebens nach dem Ideal deutlich sichtbar: Wir schaffen die dreckige Energie ab, ohne Klarheit darüber, wie uns die saubere Energie wirklich versorgen kann. Das führt dann zu solchen Kuriositäten, dass wir umweltschädliche Energie importieren müssen, um zu überleben. Damit drängen die Energiekosten unsere Wirtschaft an und über den Rand der Belastbarkeit. Wir denken, wir schaffen unsere Armee ab, in der Hoffnung, dass es dann schon keinen Krieg geben würde. Wir befördern eine weltweit anerkannte Antriebstechnik ins Jenseits, ohne Klarheit darüber, wie dieses Vakuum tatsächlich aufgefangen werden könnte. Wir urteilen klugscheißermäßig über andere Nationen, in der Überzeugung zu wissen, was vermeintlich richtig für sie wäre.

Die Jagd nach dem Besseren

In Summe führt dieses Denken zu einer Art Kampf gegen Windmühlen. Da es nie genug ist oder besser sein muss, brennen wir innerlich aus, wir ermüden und werden depressiv. An sich ist das Streben nach Verbesserung etwas sehr Wünschenswertes – wenn es klug gemacht wird. Doch was läuft da falsch?

Idealismus lenkt unsere Wahrnehmung immer auf das, was noch fehlt, was besser sein muss. Es lässt uns vergleichen, urteilen. Es geht nicht mehr um gutes Essen, sondern um das beste Essen. Es geht nicht mehr um einen guten Arbeitsplatz, sondern um den besten Arbeitsplatz. Es geht nicht mehr um eine gute Partnerschaft und erfüllenden Sex, sondern um einen besseren Partner und besseren Sex. Nicht um einen entspannenden Urlaub, sondern um beneidenswerten Traumurlaub.

Das permanente Vergleichen hinterlässt nur einen Sieger und viele Verlierer. Die Jagd um wenige, beste Momente, welche alles andere überstrahlen. Diese ständige Jagd nach dem Besseren führt zum berüchtigten Perfektionismus – und dieser zu empfundener Sinnlosigkeit und innerer Leere. Das sollte inzwischen bekannt sein.  

Ersetze Idealität durch Realität

Das Hilfreiche daran ist, dass wir uns ständig strecken – durch eben dieses Getrieben sein hin zum Ideal. Und das ist das Gewünschte daran. Also entsteht eine entscheidende Frage für die Zukunft: Wie können wir uns ständig verbessern, nach einem Ideal streben, ohne darunter zu leiden und immer frustrierter sowie kränker zu werden?

Die Antwort ist so verblüffend wie einfach: Indem wir Idealismus durch Realismus ersetzen. Das heißt konkret, dass wir die Realität anerkennen, so wie sie jetzt ist, und nicht innerlich dagegen ankämpfen. Es bedeutet keineswegs, dass wir die Dinge nicht voranbringen. Doch wir anerkennen die Realität, das Leben, so wie es jetzt ist. Und leiden darunter nicht. Und aus dieser tiefen Anerkennung erschaffen wir eine neue Realität. Setzen große Ziele, haben große Ideen oder Ideale. Doch wir befinden uns in der Gegenwart und genießen diese. Einfach so. Weil wir am Leben sind. Deswegen sind wir glücklich ohne Grund. Und von dort aus strecken wir uns in Richtung Ideal. So wird die Sache rund. Das Faszinierende daran ist, dass wir so noch wesentlich größere Ziele setzen und erreichen können. Weil uns viel mehr Energie zur Verfügung steht. Und diese wünsche ich Ihnen von Herzen in allen Ihren Lebensbereichen im Jahr 2025.


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis.