Potenzialanalyse in der Personalentwicklung

Während Kompetenzanalysen die bereits vorhandenen Fähigkeiten von Mitarbeitenden ermitteln, sollen Potenzialanalysen die zukünftigen, noch unentdeckten Talente identifizieren. Dafür braucht es aussagekräftige Instrumente und Methoden.

Potenzial ist ein schwer greifbares Konzept; der Begriff kommt von dem lateinischen Wort "potentia", was nicht nur "Macht" oder "Kraft", sondern auch "Möglichkeit" bedeutet. Im deutschen Sprachgebrauch beschreibt Potenzial meist Möglichkeiten, die noch nicht vollständig ausgeschöpft oder realisiert sind – und das gilt auch in Bezug auf die Fähigkeiten von Mitarbeitenden.

So gibt es im Unternehmen vielleicht Personen, die gute Führungskräfte wären, aber dafür bisher noch nicht in Erwägung gezogen wurden. Andere Personen leisten in ihrer aktuellen Position eher durchschnittliche Arbeit, könnten aber in einer anderen Abteilung geradezu über sich hinauswachsen. Dieses Potenzial überhaupt zu sehen, ist herausfordernd, eben weil die Szenarien noch nicht Realität geworden sind. Potenzialanalysen können dabei helfen, die Talente der Mitarbeitenden zu erkennen und gezielt zu fördern.

Was ist eine Potenzialanalyse und warum ist sie für die Personalentwicklung wichtig?

Die Potenzialanalyse ist ein systematisches Verfahren, das dazu dient, die individuellen Stärken, Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten von Mitarbeitenden zu identifizieren, mit künftigen Anforderungen abzugleichen und darüber hinausgehend die Entwicklungsmöglichkeiten zu bestimmen. Ziel ist es, nicht nur die aktuelle Leistung, sondern die künftigen Fähigkeiten zu progonstizieren.

Die Analyse liefert eine Grundlage für strategische Entscheidungen in der Personalentwicklung, beispielsweise, um Weiterbildungsmaßnahmen zu planen oder Nachwuchskräfte für Schlüsselpositionen zu finden. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels sind gut durchgeführte Potenzialanalysen ein wirkungsvolles Instrument, um wichtige Rollen zu besetzen; denn häufig befinden sich dafür geeignete Personen bereits in den eigenen Reihen.

Effektive Methoden und Instrumente der Potenzialanalyse

Damit die Potenzialanalyse nicht zum spekulativen Glaskugel-Lesen wird, ist es wichtig, transparente Methoden und Instrumente einzusetzen. Welche sich eignen, hängt von den Zielen der Analyse, der Unternehmenskultur und den verfügbaren Ressourcen ab. Zu beachten ist hier, dass man einerseits die bisherige und aktuell gezeigte Leistung erheben und mit den künftigen Anforderungen abgleichen kann, und andererseits die Motivation sowie die kognitiven Fähigkeiten und Veränderungskompetenzen erfassen kann, um daraus Rückschlüsse auf das Entwicklungspotenzial zu ziehen.

Hier ein Überblick der gängigsten Ansätze:

  1. Kompetenzmodelle sind strukturierte Rahmenwerke, welche die Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Kenntnisse definieren, die für den Erfolg in einer bestimmten Rolle, Organisation oder Branche erforderlich sind. Sie bieten eine Grundlage dafür, die Anforderungen an Mitarbeitende in einer bestimmten Rolle oder Position zu identifizieren und daraus die nötigen Fähigkeiten abzuleiten. Auf diese Weise lassen sich die Eignung von Mitarbeitenden bewerten sowie ihre Stärken und Entwicklungsfelder identifizieren.
  2. 360-Grad-Feedback: Bei dieser Methode geben Vorgesetzte, Teammitglieder und manchmal sogar Kundinnen und Kunden Feedback über die Leistung und das Verhalten einer Person. Dies liefert ein umfassendes Bild über deren Stärken und Schwächen.
  3. Assessment-Center: In einem Einzel- oder Gruppen-Assessment durchlaufen die Teilnehmenden eine Reihe von Aufgaben und Simulationen, die typische Herausforderungen des angestrebten Arbeitsumfelds abbilden. Dabei werden Kompetenzen wie Problemlösungsfähigkeit, Kommunikationsstärke und Teamarbeit bewertet.
  4. Psychometrische Tests messen Eigenschaften wie kognitive Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale oder Motivation und Werte. Gerade Intelligenztests gelten als besonders hilfreich, um potenzielle Führungskräfte zu identifizieren, da ihre prognostische Validität (die Vorhersagekraft auf künftigen Berufserfolg) als hoch eingeschätzt wird.
  5. Mitarbeitergespräche: Gezielte Gespräche zwischen Mitarbeitenden und ihren Vorgesetzten bieten die Möglichkeit, individuelle Karriereziele, Stärken und Entwicklungspotenziale zu diskutieren. Auf die Erkenntnisse aufbauend können die Führungskräfte dann Weiterbildungen oder Versetzungen ihrer Mitarbeitenden planen oder deren Aufgaben- und Verantwortungsbereich anpassen.

Die entscheidende Rolle der Potenzialanalyse für die Personalentwicklung

Eine gut durchgeführte Potenzialanalyse ist eine Win-win-Situation. Unternehmen finden dadurch häufig versteckte Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden und können sie dort einsetzen, wo sie am meisten gebraucht werden. So sparen sie sich den hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand für das Recruiting von Fachkräften für kritische Positionen. Durch die Identifikation des Entwicklungspotenzials der Mitarbeitenden können zudem Trainings- und Entwicklungsressourcen gezielter eingesetzt werden. Die Potenzialanalyse hilft vor allem dabei, herauszufinden, welche Mitarbeitenden das Potenzial haben, künftig Führungsrollen zu übernehmen. Damit ist sie ein wichtiger Baustein für die Nachfolgeplanung und kann so die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft des Unternehmens langfristig stabilisieren.

Die Mitarbeitenden bekommen wiederum die Möglichkeit, ihre individuellen Interessen und Karriereziele verfolgen und mit dem Unternehmenszielen in Übereinstimmung zu bringen. Sie erfahren dadurch ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, was sich positiv auf ihre Zufriedenheit und mentale Gesundheit auswirkt. Mitarbeitende, die sehen, dass ihre individuellen Stärken erkannt und gefördert werden, sind auch meist motivierter und loyaler gegenüber ihrem Arbeitgeber.

Erfolgreiche Implementierung der Potenzialanalyse in Ihrem Unternehmen

Um eine Potenzialanalyse erfolgreich im Unternehmen zu implementieren, braucht es eine strategische Planung und ein systematisches Vorgehen. Dazu gehört zunächst eine klare Zielsetzung. Personalabteilungen und Führungskräfte sollten festlegen, ob es etwa um Nachfolgeplanung, die Identifikation von Entwicklungspotenzialen oder die Optimierung von Trainingsprogrammen geht.

Im nächsten Schritt kann ein Kompetenzmodell entwickelt werden, das die Schlüsselkompetenzen für verschiedene Rollen innerhalb des Unternehmens abbildet. Es dient als Grundlage für die Bewertung. Anschließend geht es darum, die Methoden und Instrumente auszuwählen, die am besten zu den eigenen Zielen und zur Unternehmenskultur passen. Eine Kombination aus verschiedenen Methoden liefert meist die besten Ergebnisse.

Dabei ist darauf zu achten, dass alle Beteiligten, insbesondere Führungskräfte und Personalverantwortliche, in den gewählten Methoden geschult sein. Das stellt sicher, dass sie die Analyse objektiv und konsistent durchführen. Um Vertrauen und Akzeptanz auf Seite der Mitarbeitenden zu schaffen, ist Kommunikation und Transparenz essenziell: Die Belegschaft sollte unbedingt über den Zweck und den Ablauf der Potenzialanalyse informiert sein.

Anschließend geht es an die Integration in die Personalentwicklungsstrategie. Die Potenzialanalyse ist nur dann effektiv, wenn sie die Ergebnisse der Potenzialanalyse mit konkreten Entwicklungsmaßnahmen verknüpft. Das können Weiterbildungen, Mentoring-Programme oder Job-Rotationen sein. Unternehmen sollten zudem regelmäßig die Wirksamkeit der Potenzialanalyse überprüfen und bei Bedarf die Methoden anpassen. Eine kontinuierliche Verbesserung stellt sicher, dass die Analyse auch langfristig einen Mehrwert bietet.

Kritik an der Potenzialanalyse

Obwohl Potenzialanalysen die Personalentwicklungsstrategie enorm verbessern können, stehen sie teilweise auch in der Kritik. So sind beispielsweise nicht alle eingesetzten Instrumente, insbesondere intern entwickelte Methoden, wissenschaftlich validiert, was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränken kann. Methoden wie Mitarbeitergespräche oder das 360-Grad-Feedback sind zudem anfällig für subjektive Wahrnehmungen und Vorurteile.

Außerdem basieren Kompetenzmodelle teilweise auf kulturellen Annahmen, die nicht universell gelten. Dies kann zu unfairen Bewertungen in multikulturellen Teams führen. Nicht alle in der Praxis eingesetzten psychometrischen Testverfahren entsprechen den wissenschaftlichen Kriterien von Validität und Reliabilität; zudem wird ihre prognostische Aussage oft überschätzt. Auch ethische Fragestellungen sind zu beachten: Wenn Mitarbeitende ihre Ergebnisse nicht transparent einsehen können, kann das zu Misstrauen führen. Negative Ergebnisse können Personen auch stigmatisieren oder demotivieren.

Werden die möglichen Schwächen der Potenzialanalyse aber reflektiert und Methoden gegebenenfalls angepasst, dann besteht die Chance, die Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden in ungeahntem Ausmaß zu steigern. Potenzial steckt schließlich in jeder Person; sie braucht nur das richtige Umfeld zur Entfaltung.


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