Orte der "grünen" Transformation: Alnatura in Darmstadt

Darmstadt, 3. März 2023. Im Jahr 2024 feiert der Öko-Pionier Alnatura sein 40-jähriges Bestehen. Inzwischen bringt es die Bio-Supermarktkette auf 150 Filialen bundesweit. Das Unternehmen, das sich als "Arbeitsgemeinschaft" bezeichnet, möchte die Grenzen dessen, was gesellschaftliche Norm ist, ausloten und verschieben. Dabei setzt Alnatura seit Langem auf befähigte Mitarbeitende - ein Konzept, das inzwischen in vielen Unternehmen auf der Agenda steht.

Auf dem ehemaligen amerikanischen Kasernengelände der "Kelleys Barracks" im Südwesten von Darmstadt steht ein moderner Bürokomplex, der sich trotz seiner Ausmaße erstaunlich gut in die Landschaft einfügt. Das Lehmgelb der Außenfassade wirkt an diesem kalten Februarmorgen wie ein Camouflage zwischen den Gelb-, Braun- und Ockertönen der Umgebung. Zwischen sandigem Untergrund, winterdürren Bäumen und verdorrtem Gras steht eines der klimafreundlichsten Bürogebäude Europas. Die Außenwände aus Stampflehm, der für eine natürliche Klimatisierung sorgt, im Winter beheizt durch Geothermie, im Boden eine Zisterne für die Bewässerung des umliegenden Parks und der Toiletten. Fassungsvermögen: eine Million Liter.

Baumpatenschaften gegen die Sommerhitze

"Der letzte Sommer war so trocken, dass wir am Ende leider auch mit Trinkwasser gießen mussten", erzählt Alexander Hüge, Geschäftsführer für Mitarbeiterservice und -entwicklung bei Alnatura. Auch hier spüren sie die Folgen des Klimawandels. Die Flächenversiegelung des angrenzenden, ehemaligen Kasernenareals tut ihr Übriges. Die Mitarbeitenden hätten deshalb Baumpatenschaften übernommen und nach Feierabend mit Gießkannen die jungen Bäumchen gewässert. Geschafft haben es trotzdem nicht alle. Doch das Firmenmotto "Sinnvoll für Mensch und Natur", scheint hier nicht nur eine Phrase der Marketingabteilung zu sein. Man könnte es idealistisch nennen. Oder konsequent.

Im kommenden Jahr 2024 feiert der Bio-Pionier Alnatura sein 40-jähriges Bestehen. "Der Weg, den wir zurückgelegt haben, ist beachtlich", findet Hüge. Als Gründer Götz Rehn in Mitte der 1980er-Jahre mit seiner Idee antrat, gab es für Bioprodukte noch kaum einen Markt. Dass heute immerhin rund sieben Prozent des jährlichen Umsatzvolumens von rund 200 Milliarden Euro im Lebensmittelmarkt auf Bio-Produkte entfallen, ist ein stückweit auch sein Verdienst. Die Biomarktkette kommt inzwischen auf 150 Filialen bundesweit. Im Vergleich: Aldi Nord und Süd liegen gemeinsam bei über 4.000. Von 3.600 Beschäftigten bei Alnatura arbeiten mehr als dreiviertel in den Märkten. Nach jahrelangem Wachstum musste das Unternehmen im Geschäftsjahr 2021/22 erstmals eine "Umsatzdelle" von zweieinhalb Prozent verzeichnen. Doch den Bio-Fachhandel hätte die Folgen der Wirtschaftskrise noch deutlich stärker getroffen, behauptet Hüge. 

Gesellschaftliche Normen ausloten

Trotzdem will der Personalchef von Kostenprogrammen, also Entlassungen, nichts wissen. "Natürlich müssen wir sehen, wo wir Prozesse optimieren können", sagt Hüge. Allein die Stromkosten seien auf das Anderthalbfache gestiegen. Darüber könne man klagen oder planen, wie man sich künftig unabhängiger mache. Das ist der Geist des Unternehmens: Nicht jammern, sondern schauen, wie es besser geht. "Im Verhältnis zu den großen Lebensmittelhändlern, sind wir ja nur eine kleine grüne Ameise", sagt Hüge. Veränderungen bräuchten Zeit. Viele positive Impulse gingen von den Beschäftigten aus. Darauf baut das Unternehmen, das sich als "Arbeitsgemeinschaft" bezeichnet. Was nach Öko-Kommune klingt, ist im Grunde das, was manche Konzerne erst jetzt für sich entdecken: Empowerment. Also Mitarbeitende zu befähigen, eigenverantwortlich zu arbeiten. Bei Alnatura ist das Teil der Unternehmenskultur. 

"Wir wollen mit der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten und wirtschaften, der Gesellschaft zeigen, was möglich ist." – Alexander Hüge, Alnatura

"Wir wollen mit der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten und wirtschaften, der Gesellschaft zeigen, was möglich ist", sagt Hüge. Dazu zählt beispielsweise die Initiative "Bruderküken", mit der das Unternehmen sich dafür einsetzte, dass männliche Küken als Masthähnchen aufgezogen werden, anstatt sie nach der Geburt zu töten. Inzwischen ist das Branchenstandard. Seit Januar 2022 ist das Kükentöten in Deutschland gesetzlich verboten. So versuche das Unternehmen immer wieder die Grenzen dessen, was gesellschaftliche Norm sei, auszuloten und in Richtung Nachhaltigkeit zu verschieben.

Alnatura, so der Eindruck, das ist auch ein Stück Idealismus. Dieser sei allerdings kein Einstellungskriterium, sagt Hüge und lacht. Auch so kämen 80 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber, weil sie sich eine sinnvolle Tätigkeit wünschten. Der Prozentsatz an Initiativbewerbungen sei überdurchschnittlich hoch, sagt Hüge, der die Branche kennt. Er selbst arbeitete für Aldi, DM-Drogeriemarkt und die Dohle Gruppe, zu der die Hit-Supermärkte gehören. Das allein genüge allerdings nicht, um die benötigten Fachkräfte zu gewinnen. "Die sogenannten Hygienefaktoren wie Gehalt, Benefits und Arbeitsbedingungen müssen schon stimmen", sagt Hüge. Wer an den Produkten arbeite, hätte tendenziell einen stärkeren Bezug zur Sinndimension des Unternehmens. "Wenn ich aber einen Informatiker einstellen möchte, zählen eigentlich nur zwei Dinge: Gehalt und Homeoffice."

Letzteres hat die Arbeitsweisen bei Alnatura verändert. Der Campus ist an diesem Freitag nur spärlich besucht. Eigentlich könnten hier rund 500 Beschäftigte arbeiten. "Wir hatten ein, zwei Monate Vollauslastung, dann kam die Pandemie." Wir verstehen unser Büro als Begegnungsort, sagt Hüge. Als solcher sei es ohnehin konzipiert worden. Doch künftig könnten noch weitere Schreibtische Meetingräumen weichen. Es gibt keine generellen Vorgaben, wie oft die Mitarbeitenden auf dem Campus sein sollten. Für Alnatura gilt auch hier das Prinzip der Eigenverantwortung. Die Beschäftigten entscheiden in Abstimmung mit ihren Bereichen und Teams selbst.

Das funktioniere auch deshalb, weil der Biohändler auf dezentrale Strukturen setze. Auch wenn der 55.000 Quadratmeter große Campus mit Waldorf-Kindergarten, Bio-Restaurant, Parkanlage und Bio-Mietgärten das Herzstück sei, entstünde Veränderung in der Fläche. Viele Ideen, von LED-Beleuchtung in den Filialen bis hin zu Leihlastenrädern für Kunden seien Ideen von Mitarbeitenden in den Märkten. "Wer eine Idee hat, soll sie ausprobieren dürfen", sagt Hüge. Anschließend würde bewertet, ob diese auch in größerem Maßstab realisierbar sei. Im Foyer laufen die Abfahrtzeiten der Busse, S-Bahnen und Regionalzüge über ein Display. Eine subtile Botschaft an die Beschäftigten, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. In den Details zeigt sich, wer es ernst meint mit der Nachhaltigkeit. 


Dieses Kapitel ist Teil der Titelgeschichte aus Personalmagazin Ausgabe 5/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.