Interview Alnatura: Unternehmensphilosophie und Wandel

Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation – im Jahr 2022 war es plötzlich vorbei mit dem steilen Wachstumskurs der erfolgsgewöhnten Bio-Handelskette Alnatura. Das Unternehmen musste die Kosten in den Griff bekommen und effizienter werden, etwa im Personalbereich. Wie geht das mit dem Anspruch zusammen, nachhaltig, menschenzentriert und sinngeführt zu sein? Ein Gespräch mit Geschäftsführer Mitarbeiterservice und -entwicklung Alexander Hüge und der Abteilungsverantwortlichen aus seinem Bereich, Astrid Paefgen.

Warum arbeiten Menschen bei Alnatura?

Astrid Paefgen: Viele kommen über die Bekanntheit der Marke zu Alnatura. Und über die Qualität der Produkte, weil sie wissen, dass sie zu 100 Prozent Bio sind. Wer sich näher mit der Vision von Alnatura beschäftigt, findet noch mehr Gründe, für das Unternehmen zu arbeiten. Unser Nachhaltigkeitsverständnis umfasst die Dimensionen Umwelt, Soziales, Wirtschaft und Kultur. Damit ergänzen wir das übliche Nachhaltigkeitsmodell um eine geistig-kulturelle Dimension. Wir wollen Sinnvolles für Mensch und Erde schaffen. Das hat große Anziehungskraft.

Möchten manche nicht einfach als Einzelhandelskaufmann oder -frau arbeiten?

Alexander Hüge: Natürlich sind nicht alle Mitarbeitenden sinngetrieben. Bei mehr als 3.000 Beschäftigten ist die Motivation unterschiedlich. Manche waren vorher im Laden nebenan und da unzufrieden. Andere, vor allem Auszubildende und junge Leute, kommen bewusst deswegen, weil sie eine Beschäftigung mit Sinn suchen.

Inwiefern unterschiedet sich ein sinnorientiertes Unternehmen wie Alnatura überhaupt in der Personalarbeit – ist diese wirklich besser als in anderen Unternehmen?

Astrid Paefgen: Es kommt darauf an, wie man gute Personalarbeit definiert. Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Das ist Ausgangspunkt und Ziel unseres Handelns. 

Menschenzentriert zu sein – das behaupten viele Unternehmen von sich...

Astrid Paefgen: Wir verfolgen seit 40 Jahren ein positives Menschenbild. Wir gehen zum Beispiel davon aus, dass alle Menschen sich entwickeln wollen und können – und nicht grundsätzlich träge sind, außer wenn wir sie durch Personalinstrumente dazu anspornen.

Alexander Hüge: Deshalb sind wir darauf bedacht, dass Kolleginnen und Kollegen sich entwickeln können. Unser Lernangebot ist relativ breit. Und die Beschäftigten haben Raum und Zeit, sich weiterzubilden – fachlich oder in Bezug auf Führung. Und das nehmen die Mitarbeitenden auch sehr gut an. Wir können uns als Unternehmen nur weiterentwickeln, wenn auch die Menschen, die bei uns arbeiten, sich weiterentwickeln.

Anthroposophie als persönliche Entscheidung

Haben denn alle die gleiche Vorstellung davon, was der Sinn des Unternehmens ist?

Alexander Hüge: Wir machen verschiedene Angebote, um sich mit dem Sinn zu verbinden. Zum Beispiel veranstalten wir einmal im Monat einen Beratungstag. Zu Beginn findet dabei ein Kulturimpuls unserer Gründers Götz Rehn statt. Jede Geschäftsführungssitzung beginnt ebenfalls mit Kulturarbeit. Oder es gibt Angebote für Arbeitsgruppen, in denen wir verschiedene Texte lesen und darüber sprechen. Das kann von Texten Rudolph Steiners bis hin zu Reinhard Sprenger reichen – ganz unterschiedliche Sichtweisen, die wir in unseren Arbeitskontext zu übersetzen versuchen.

Was geschieht, wenn Menschen daran nicht teilnehmen wollen oder nichts mit Anthroposophie bzw. Rudolph Steiner am Hut haben?

Alexander Hüge: Natürlich zwingen wir niemanden dazu, sich mit den Texten zu beschäftigen. Wir halten aber die Anknüpfungsmöglichkeiten bereit, wenn die Mitarbeitenden das selbst möchten.

Welche Rolle spielt die Anthroposophie heute noch im Unternehmensalltag von Alnatura?

Astrid Paefgen: Für Alnatura gilt wie gesagt der Leitgedanke, dass unser Handeln „sinnvoll für Mensch und Erde“ sein soll. An dieser Maxime orientieren wir uns in allen Unternehmensbereichen. Aufgrund dieser nachhaltigen Sinn-Orientierung unserer Unternehmenskultur haben sich viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Alnatura entschieden. Ob Alnatura-Mitarbeitende sich für die Anthroposophie interessieren, ist jedoch ihre persönliche Entscheidung – im direkten Arbeitskontext hat dies keine Relevanz.

Der Umgang mit neuen wirtschaftlichen Zwängen

Bei Alnatura gab es eine lange Wachstumsphase, selbst während der Coronapandemie. Dann kam der Ukraine-Krieg, begleitet von einer Energiekrise, hoher Inflation und Kaufzurückhaltung…

Alexander Hüge: Ja, das war eine sehr ungewohnte Situation für das Unternehmen. 2015 hat sich Alnatura von dm getrennt. Das haben wir gut bewältigt: Wir konnten 50 Prozent des Umsatzes auffangen. Ab 2019 haben wir den Bereich Mitarbeiterservice und -entwicklung aufgebaut und viel an unserer Unternehmenskultur gearbeitet. Während Corona hatten wir plötzlich ganz andere Fragestellungen. Da gab es beispielsweise so große Umsatzzuwächse, dass wir schauen mussten, wo wir die hohen Absatzmengen herbekommen. Wir dachten, jetzt haben alle Menschen verstanden, wie wichtig Bio ist. Dann kam der Ukraine-Krieg und damit die wirtschaftlich schwierige Situation. Die Entwicklung ging in die andere Richtung. Darauf waren wir nicht gut vorbereitet und das ist uns auf die Füße gefallen. Wir mussten dringend die Kosten in den Griff bekommen und effizienter werden.

Wie sind Sie vorgegangen?

Alexander Hüge: Wir dachten, jetzt zeigen wir der Organisation, wie prozessorientiertes Arbeiten funktioniert. Wir haben in meinem Bereich ein klassisches Change-Projekt aufgesetzt und alle Soll-Prozesse durchdekliniert. In der Theorie passte alles. Aber die Menschen sind nicht mitgegangen.

Astrid Paefgen: Wir waren in dem Glauben, transparent und ausreichend kommuniziert zu haben. Es war aber zu wenig – und zu spät. Auch haben wir unseren Unternehmensgrundsatz des ganzheitlichen Denkens vernachlässigt. Wir haben – getrieben durch die wirtschaftliche Situation – den Fokus sehr stark auf der Wertschöpfungs- und Leistungsseite gelegt. Die sinngebende Identitätsseite hatten wir aus den Augen verloren. Daher fühlte es sich für die Menschen so an, als würden wir unsere Werte nicht mehr leben.

Im Jahr 2021 hatte Alnatura noch mehr als 3.700 Mitarbeitende, ein Jahr später waren es rund 200 weniger. Sie mussten also Personal abbauen. Wie kann man das menschenzentriert gestalten?

Alexander Hüge: Personal abbauen – das macht keiner gerne. Wir haben trotzdem versucht, das entsprechend offen und ehrlich miteinander zu lösen. Viele haben aber gerade wegen der starken Fokussierung auf das Wirtschaftliche zu der Zeit auch gesagt, sie möchten den Kurs des Unternehmens nicht mehr mitgehen und haben sich selbst entschieden Alnatura zu verlassen.

Astrid Paefgen: Wir haben einen großen Teil über natürliche Fluktuation abgebaut. Es gab keinen Personalabbauplan, der vorschrieb, wie viele Leute gehen müssen. Wir haben uns Zeit genommen dafür. Es gehörte zum Umbau der Organisation, die Stellen, die frei wurden, nach Möglichkeit intern zu besetzen. 

Dass einige das Unternehmen freiwillig verlassen haben, heißt das, dass eine starke Sinnorientierung Unternehmen unflexibler macht?

Astrid Paefgen: Eher im Gegenteil. Das hat uns gezeigt, dass wir die Transformation ganzheitlich denken müssen.

Sie haben also diese Reaktion als Korrektiv verstanden. Sie hätten ja auch sagen können, zu viel Sinn schadet unserer Wirtschaftlichkeit – wir müssen an unserem Purpose arbeiten...

Alexander Hüge: Unsere Unternehmensphilosophie ist nicht verhandelbar. Trotzdem hatten wir den Fokus zu stark auf der wirtschaftlichen Dimension und darunter litten die soziale und die geistig kulturelle Dimension. Unternehmensgrundsätze gibt es nicht umsonst. Ganzheitliches Denken ist entscheidend für unseren Erfolg und daran wollten wir anknüpfen. Im September 2023 haben wir dann einen neuen Anlauf gestartet, der alle Dimensionen gleichermaßen berücksichtigen soll.

Wie sah dieser Veränderungsprozess dann konkret aus?

Alexander Hüge: Wir sind das Zukunftsbild unseres Bereichs partizipativ angegangen. Und wir haben mit einer agilen Arbeitsweise in fünf Phasen den Bereich Mitarbeiterservice und -entwicklung neu aufgestellt: die Stellenbesetzung für neue Teams in der Aufbauorganisation, Teaminitialisierung, Pilotprozesse, strategischer Prozess und schließlich die Teamentwicklung des Führungsteams. Dabei waren die Pilotteams jeweils Vorreiter. Alle wollten mitmachen und das hat einen Sog erzeugt.

Astrid Paefgen: Die Stellen in unserem Bereich neu zu besetzen, hat uns viel Zeit gekostet. Wir haben die Jobs nicht top-down den Menschen zugeordnet, sondern sie gefragt, wo sie sich sehen. Da gab es schon eine ziemliche Beunruhigung, ob das wohl aufgeht. Aber 90 Prozent hat gepasst. Letztlich konnten wir für alle ihre erste oder zweite Präferenz verwirklichen. Manches hätten wir stringenter machen können. Aber der Mut und das Vertrauen in den Prozess haben sich für das Team ausgezahlt.

Kommunikation, Partizipation und Selbstverantwortung

Was hat sich nun in der Arbeitsweise und Organisation konkret verändert?

Alexander Hüge: Wir hatten eine hyperindividualisierte Serviceorientierung und wollten es immer allen recht machen. Aber man muss auch mal „Nein“ sagen – oder, „Du bist noch nicht dran“. Es ist wichtig, sich mit sich selbst zu beschäftigen, aber man muss sich gut überlegen, wann man welches Thema angeht. Früher haben wir zu viel angefangen und zu wenig zu Ende gebracht. Jetzt zwingen wir uns stark zu fokussieren. Das Bereichsmeeting haben wir umorganisiert zu einem Public Review, bei dem jeder Fragen zur aktuellen Entwicklung stellen kann. Neu ist auch eine „Ask-me-anything-Session“. Das ist ein Termin, in den ich als Geschäftsführer ganz offen reingehe und jede und jeder mich fragen kann, was sie oder er fragen möchte.

Astrid Paefgen: Heute haben wir deutlich mehr Kommunikationsmaßnahmen. Wir machen regelmäßig Pulsbefragungen bei uns im Bereich und sind laufend am Kommunizieren – selbst wenn wir denken, wir haben es doch schon häufig gesagt. Und dadurch trauen sich die Mitarbeitenden auch öfter mal nachzufragen.

Wie kam das bei den anderen Geschäftsführern an, dass es nach dem gescheiterten Change-Projekt schon wieder eine neue Veränderungsinitiative anstand?

Alexander Hüge: Als ich mit dem neuen Organisationkonzept zur Geschäftsführung bin, habe ich schon Widerstand gespürt. Aber ich konnte erklären: Wir müssen die Organisation so aufstellen, dass sie eine gewisse Robustheit und Stabilität mitbringt, um beim nächsten Sturm von außen nicht gleich wieder angezählt zu sein.

In Ihrem Bereich sind aktuell etwa 50 Mitarbeitende beschäftigt. Reicht es, um die erhoffte Robustheit zu erlangen?

Alexander Hüge: Auch die anderen Bereiche stellen sich Stück für Stück neu auf. So geht etwa der Finanzbereich einen ähnlichen Weg wie wir. Wir haben nun einen Bereich, der sich Prozessmanagement nennt und sich um Prozessorientierung und -gestaltung kümmert. An den großen wertschöpfenden Themen sind wir alle dran, bereichsübergreifend.

Astrid Paefgen: Unsere IT arbeitet schon länger agil und geht jetzt die nächsten Schritte. Wir möchten nicht top-down sagen, alle müssen das so und so machen. Das soll sich aus der Organisation organisch entwickeln. Wenn die Menschen sagen, wir wollen das, dann ist das viel stärker als ihnen zu sagen, ihr müsst das jetzt tun.

Wie wichtig sind denn Partizipation und Selbstverantwortung jenseits des Zentralbereichs, auch in den einzelnen Märkten?

Alexander Hüge: Wir haben drei Unternehmensgrundsätze.: 1. ganzheitlich denken, 2. kundenorientiert handeln und 3. selbstverantwortlich bzw. verantwortlich sein. Das ist quasi die DNA von Alnatura. Wir fragen die Marktleitungen danach, was man besser machen könnte. Sie kommen zum Beispiel alle an einem Tag an den Campus und können mit den Fachbereichen ins Gespräch kommen über die Dinge, die gut laufen oder nicht so gut.

Astrid Paefgen: Natürlich ist das mit zunehmender Größe schwieriger. Früher gab es die Marktleitungstreffen einmal im Monat, jetzt sind sie jährlich. Aber wir schaffen weiterhin die Möglichkeit dafür.

Welche Strukturen geben Sie vor und was können die Marktleitenden selbst entscheiden?

Alexander Hüge: Sie haben eine große händlerische Eigenverantwortung. Sie können mitentscheiden, wie sie den Laden herrichten und welche Artikel sie bereitstellen. Sie haben keine komplette händlerische Freiheit wie zum Beispiel eine oder ein Edeka-Kauffrau oder -Kaufmann, aber dennoch großen Freiraum, sich einzubringen.

Astrid Paefgen: Die Märkte entscheiden auch selbst über die Einstellungen. Auch bei Ausbildungsthemen bestimmen sie mit.

In den Medien wurde immer wieder berichtet, Alnatura habe versucht, einen Betriebsrat in Bremen zu verhindern. Inzwischen gibt es in Freiburg, Kaiserslautern und Wiesbaden einen Betriebsrat. Wie stehen Sie zur Mitbestimmung?

Alexander Hüge: Es ist das Recht der Mitarbeitenden einen Betriebsrat zu initiieren. Das haben wir nie zu verhindern versucht. Es hat sich jetzt auch ein Gesamtbetriebsrat konstituiert und mit ihm besprechen wir aktuell, wie wir für das Unternehmen bestmöglich zusammenarbeiten können.

„Mit diesen ganzen Gesetzen wird an Symptomen herumgedoktert“

Nachhaltigkeit heißt, die verschiedenen Dimensionen – Sie haben ja sogar vier definiert, Umwelt, Soziales, Wirtschaft und Kultur – in Balance zu halten. Wo erleben Sie Dilemmata, die sich nicht so leicht auflösen lassen?

Astrid Paefgen: Für uns stellt sich diese Zwickmühle nicht so dar wie für andere. Unsere vierte Dimension, die geistig-kulturelle, sieht wie gesagt vor, dass wir Sinnvolles für Mensch und Erde leisten wollen. Das steht immer über den anderen Dimensionen. Preis versus Qualität – so eine Frage stellt sich bei uns nicht. Qualität kommt bei uns immer zuerst.

Alexander Hüge: Zu sagen, das geht aus wirtschaftlichen Gründen nicht, ist für uns kein Argument. Unser Gründer Götz Rehn ist von Anfang an angetreten, um zu zeigen, dass man mit einer menschenzentrierten Philosophie auch wirtschaftlich erfolgreich ist.

Dann müssten Sie es ja begrüßen, dass die EU nun diverse Regelungen vorschreibt, die Unternehmen zwingt, Klimaschutz und Menschenrechte zu achten – wie etwa die Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) oder das Lieferkettengesetz (CSDDD). Oder?

Astrid Paefgen: Wir erstellen schon seit einigen Jahren einen freiwilligen Nachhaltigkeitsbericht und setzen uns im Unternehmen jährliche Nachhaltigkeitsziele. Die neuen Richtlinien sind aber ein zusätzlicher Aufwand, weil wir da teilweise ganz andere Daten zusammentragen müssen. Die haben wir auch nicht auf Knopfdruck.

Alexander Hüge: Also per se ist das sicher eine gute Sache. Die Frage ist aber, wie man das umsetzt. Und da erleben auch wir in der Summe der Regelungen eine überbordende Bürokratie. Das ist für den Mittelstand nicht so leicht zu stemmen und das müsste man erleichtern.

Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass die Unternehmen eben mehrheitlich nicht freiwillig ambitionierte ökologische Ziele umsetzen und Menschenrechte bis in die Lieferketten als ihre Verantwortung betrachten.

Astrid Paefgen: Das ist bei uns nicht der Fall. Wir haben schon sehr lange eigene Sozialstandards und schauen darauf, wo die Produkte herkommen und welche Arbeitsbedingungen dort gelten. Das ist für uns ein Herzensanliegen. So ist Alnatura seit 2021 nach dem „We Care“-Standard zertifiziert, einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitszertifizierung des FiBL Deutschland e. V. (Forschungsinstitut für Biologischen Landbau, Anm. d. Red.). Im Rahmen dieser Zertifizierung wird jährlich durch einen externen Auditor geprüft, ob unser Reden mit dem Handeln übereinstimmt. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Lieferkettenmanagement und dem fairen und nachhaltigen Umgang entlang der Lieferketten, vom Landwirt bis in unsere Märkte.

Das müsste dann doch zu Ihrem Vorteil und in Ihrem Sinne sein, wenn das jetzt alle tun müssen?

Alexander Hüge: Der Unterschied ist: Alnatura hat das aus Überzeugung getan. Mit diesen ganzen Gesetzen wird an Symptomen herumgedoktert. Es bräuchte hier prinzipiell einen Paradigmenwechsel in der Grundhaltung von Unternehmen.

Auch bei Alnatura gibt es Handlungsbedarf, etwa beim Gender Pay Gap

Eine weitere Regelung ist die EU-Transparenzrichtlinie, die unter anderem vorschreibt, dass Unternehmen über ihren Gender Pay Gap berichten müssen. Haben Sie denn hier kein Problem?

Alexander Hüge: Ein gutes Einkommen gehört für uns zur Menschenzentrierung dazu. In den Zentralbereichen haben wir ein eigenes Gehaltssystem, in den Märkten lehnen wir uns an den Tarif an. Wir haben einen Gender Pay Gap, aber dieser ist im Vergleich zu anderen Unternehmen nicht sehr groß. Wichtig ist an der Stelle die Einsicht: Wir haben das erkannt und uns ist klar, dass wir hier ein Defizit haben. Deshalb möchten wir das korrigieren und besser werden. Wenn alle so denken würden, bräuchten wir die Richtlinie nicht.

Welchen Verbesserungsbedarf haben Sie beim Thema Equal Pay identifiziert?

Alexander Hüge: Der besteht vor allem darin, dass wir in den höchsten Hierarchiestufen noch zu wenig Frauen haben. Bis zu den Abteilungsverantwortlichen ist das recht ausgeglichen, bei den Bereichsverantwortlichen wird es schon schwierig. Ein ähnliches Bild sehen wir auch in den Märkten. Bei den Marktleitungen überwiegen die Männer.

Astrid Paefgen: Das ändern wir so gut, wie wir können. Zum Beispiel hatten wir bis vor Kurzem keine Frau in der Geschäftsführung, mittlerweile sind es sogar zwei Frauen (bei sechs Mitgliedern der Geschäftsführung, Anm. d. Red.). Wir haben keine Frauenquote, weil auch die Haltung und Kompetenz passen müssen. Aber wenn eine Stelle im Top-Management neu zu besetzen ist, machen wir uns das Thema immer wieder bewusst.

Wenn sie angesichts all der eingeleiteten Maßnahmen in die Zukunft schauen: Was wäre, wenn Sie nochmal in eine akute Krise kämen – wären Sie dann wirklich agiler und flexibler aufgestellt?

Astrid Paefgen: Ob wir jedem Sturm standhalten können, wird sich zeigen. Aber wir sind beweglicher geworden. Wichtige Kennzahlen sind für uns, dass wir unsere „Time to Hire“ und Blindleistungen – also Aktivitäten, die keinen Mehrwert stiften – reduzieren und die Überbelastung der Beschäftigten vermeiden. Dafür müssen wir an unseren Methoden festhalten, auch wenn das Alltagsgeschäft drückt. Dann dürfen wir nicht sagen, heute machen wir mal keine „Retro“.

Alexander Hüge: Natürlich haben wir noch einiges zu tun. Wir müssen dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden in unserem Bereich gut in ihren neuen Teams ankommen. Das Wichtigste ist, dass wir geduldig bei der neuen Arbeitsweise bleiben und nicht wieder in alte Routinen verfallen. In solchen Veränderungsprozessen ist es normal, auch mal eine Niederlage einzustecken. Dann sollten wir nicht gleich die Grundsatzfrage stellen und denken, das taugt alles nichts. Wir müssen eine gewisse Beharrlichkeit an den Tag legen bis das Ganze selbstverständlich geworden ist.

Wenn es nun wirtschaftlich wieder besser läuft: Besteht da nicht die Gefahr, dass sich erneut eine gewisse finanzielle Lockerheit breit macht?

Alexander Hüge: Das passiert nicht mehr – da habe ich ein Auge drauf. Aus der Krise habe ich gelernt, dass wir als vorsichtige Kaufleute agieren müssen. Ohne Wirtschaftlichkeit geht es auch nicht.

Schlagworte zum Thema:  Organisationsentwicklung, Unternehmenskultur