Karriere in modernem Outfit
Janina Kugel versteht es, die großen Bühnen zu bespielen: Fünf Jahre lang arbeitete sie als Personalvorständin von Siemens, gewann Auszeichnungen für ihre Arbeit, schaffte es auf die Titelblätter von Wirtschaftsmagazinen und wurde als "Popstar" der deutschen Wirtschaft gefeiert. In der Diversity-Szene und unter vielen jungen Leuten wird Kugel als Role Model gehypt, die es geschafft hat, in der Männerwelt der Wirtschaft ganz nach oben zu kommen. Mit über 60.000 Followern hat sie in den sozialen Medien inzwischen eine große Fangemeinde um sich versammelt.
Erfahrungen einer HR-Managerin
Das Buch erscheint ein Jahr nach ihrem Ausstieg aus dem Top-Management bei Siemens – ihr Vorstandsvertrag wurde nicht verlängert – und erlaubt Einblicke in den Aufstieg einer der bekanntesten Managerinnen der Republik. Das sind die spannenden Einsichten, die dieses Buch bietet, obwohl es nicht als Autobiografie verfasst ist. Vielmehr behandelt Kugel in zehn Kapiteln und auf über 260 Seiten die Themen, zu denen sie auch in den letzten Jahren in Vorträgen, Interviews oder Diskussionen Stellung genommen hat: Es geht um Mut, Veränderung, künstliche Intelligenz, Corona, Lernen, Generationen, Diversity und Management. Ihre Haltung zu diesen HR-Themen ist bekannt, jetzt stellt sie diese einem breiten Publikum vor.
Autobiografische Texte (oder Textpassagen) sind ein schwieriges Genre. Menschen neigen dazu, sich selbst als Mittelpunkt der Ereignisse zu sehen. Das gilt insbesondere für Darstellungen von Managern, die ihre Heldentaten im Geschäftsleben auflisten und sich für unersetzbar halten. Kugels Rückblicke auf ihre Berufskarriere unterscheiden sich davon wohltuend in zwei Punkten: Erstens ist Kugel nicht weniger ehrgeizig und selbstbewusst als Managerkollegen, sie verpackt das aber anders und spricht viel von ihrer Arbeit in Teams, von der sie sehr oft profitiert habe. Das entspricht ihrer Haltung, wirkt realistisch und sympathisch zugleich. Auch Vorgesetzte werden erwähnt - weniger als Förderer, sondern als diejenigen, die ihr Freiräume zur Gestaltung ermöglicht haben. Namen werden allerdings nicht genannt, alles bleibt anonym – worunter die Authentizität leidet. Das hat vermutlich rechtliche Gründe, Authentizität wäre ohne mühevolle Abstimmungen mit dem Unternehmen und den handelnden Personen nicht möglich gewesen.
Leben und arbeiten
Viele Selbstbeschreibungen von Managern – das ist der zweite Punkt - leiden darunter, dass darin allein von der Arbeit die Rede ist und die privaten Lebensumstände, die das Arbeiten erst möglich machen, ausgeblendet werden. Das will Kugel anders machen und hat das programmatisch im Untertitel ihres Buches – bitte auf die Reihenfolge achten – formuliert: "Leben, führen, arbeiten". In den meisten Kapiteln des Buches werden deshalb auch private Dinge eingestreut, etwa ihre Leidenschaft für Snowboarding oder Backpacking in jungen Jahren. Auch die familiären Verhältnisse, in denen sie aufgewachsen ist, macht sie transparent. Ihre Eltern, beide Akademiker, bezeichnet sie als Alt-68er, die ihr als Mädchen mit anderer Hautfarbe das Selbstbewusstsein vermittelt haben, um den Alltag zu bestehen und später Karriere zu machen. Doch die familiären Verhältnisse sind auf kleine Hinweise beschränkt, eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema findet nicht wirklich statt.
Muttersein und Karriere
Kugel will mit ihrem Buch zeigen, dass Muttersein und Karriere zugleich möglich sind. Das ist ihre Mission. Ihr beruflicher Ehrgeiz war schon im Studium und beim Berufseinstieg ausgeprägt: "Ich machte Dinge, die gut im Lebenslauf aussahen", schreibt sie an einer Stelle. Zum Berufseinstieg wählte sie eine internationale Unternehmensberatung. "Ich fand es klasse unterwegs zu sein, mit dem Rollkoffer zu Flieger, Business-Outfit, Übernachtungen in Hotels." Auch der Wechsel zu Siemens und der weitere Aufstieg bis zur Vorstandsetage ist von diesem unbändigen Willen zur Macht und zum Aufstieg geprägt, der sie offenbar in Besitz genommen hat. Darauf deutet die Beschreibung der Zeit hin, als sie aus dem Siemens-Vorstand ausschied. "Als ich im Februar 2020 die Hoheit über meinen Terminkalender bekam, war das ein wahnsinnig befreiender Moment", formuliert sie und entdeckt, welche Lebensfreude mit der Gestaltung von freien Stunden verbunden sein kann: "Das hatte ich vergessen."
Kugel weiß, dass sie auch als Role Model für die Vereinbarkeit von Beruf und Karriere gesehen wird. Sie hat dazu ein eigenes Kapitel verfasst, das sie an den Anfang des Buches gestellt und mit einer programmatischen Überschrift versehen hat: "Kinder und Karriere – das geht schon, ist halt sauanstrengend." Sie schildert in dem Buch, wie sie sich in der von Männern geprägten Managementwelt Freiräume erkämpfen musste. Als sie Mitte 30 war, bekam sie Zwillinge und kehrte nach dem Mutterschutz Vollzeit in den Beruf zurück. "Einige Stunden am Tag verbrachte ich im Büro, die meisten zu Hause. Ja, auch oft in Business-Calls und dabei die Babys wippend", schildert sie die Zeit, in der ihr Ex-Mann als Unternehmensberater viel unterwegs war. Auch später wird es nicht einfacher, die Bedürfnisse der Kinder und die Anforderungen des Unternehmens in Einklang zu bringen. Die Familienkernzeit - sie versuchte sich zwischen 17 und 20 Uhr um ihre Kinder zu kümmern - war für Kugel ein Instrument, das eine Brücke zur Vereinbarkeit darstellte, wie sie mehrfach herausstreicht. Das erinnert an die alte Rolle der Väter, die sich nach dem Büro noch ein paar Stunden um die Kinder kümmerten. Ohne Konflikte ging das aber nicht, wie Kugel offen einräumt – was bemerkenswert ist. Doch sie formuliert auch ihre klare Botschaft an die jungen Frauen: Wer Karriere machen will, sollte nicht in Teilzeit gehen.
Das Unterstützungssystem
Die Vereinbarkeit von Karriere und Familie bezeichnet Kugel, die zweifellos über große Energie und eine robuste Gesundheit verfügt, als "sauanstrengend". Gleichwohl baute sie sich auch ein Unterstützungssystem auf, wie das nur manche Eltern haben: Zeitweise zog ihre Mutter zur Familie, was die Grundlage für ihren beruflichen Wechsel nach Italien, ihre nächste Karrierestation, darstellte. Später unterstützten eine Kinderfrau und eine Reinigungskraft die Familie. Sie erwähnt diese Dinge, was ehrlich ist, ohne diese allerdings als unabdingbare Voraussetzungen für die Vereinbarkeit zu benennen. Vielleicht empfindet sie das auch als Schmälerung der selbst erbrachten Energieleistung. Doch diese Privilegien dürften der Grund sein, warum ihr Leben eher nicht als Role Model für die Mehrzahl der Frauen und Männer taugt - was Kugel an manchen Stellen durchaus reflektiert.
Aufsichtsrat statt Executive
Während ihrer Vorstandszeit wurde Kugel vom "Manager Magazin" als mögliche Kandidatin für einen CEO-Job gehandelt. Doch nach dem Austritt bei Siemens wurde schnell sichtbar, dass sie die "neue Freiheit" außerhalb des Hamsterrades eines Managementjobs genießt, und ihren Lebensweg anders plant: Sie hat einen Beraterjob bei der Bosten Consulting Group angetreten, drei Aufsichtsratsmandate an Land gezogen, zuletzt bei Tui. Auch in die Politik mischt sie sich ein: Sie war eine der Aktivistinnen der Kampagne #Ichwill, die zur Einführung der Frauenquote in Vorstandspositionen der großen Unternehmen geführt hat. Doch eine Empfehlung für einen politischen Job – das Schreiben von Büchern wird ja häufig dazu genutzt, den nächsten Karriereschritt vorzubereiten – ist das Buch nicht. Kugel äußert zwar viel Kritik an der Coronapolitik oder an den Rahmenbedingungen für Gleichberechtigung und Kindererziehung, doch eigene Gestaltungskonzepte für Politik oder Personalmanagement enthält das Buch nur wenige. Bei den Geschichten aus dem Managementleben einer Frau geht es häufig um Haltungsfragen - ich hätte mir eine kritischere Reflexion über das eigene Handeln gewünscht.
Janina Kugel: It's now: Leben, führen, arbeiten – Wir kennen die Regeln, jetzt ändern wir sie; gebundene Ausgabe 2021, 22 Euro
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