Angehörigen-Entlastungsgesetz schränkt seit 2020 den Sozialhilferegress ein
Diese Erleichterung folgt aus dem "Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe" (Angehörigen-Entlastungsgesetz, BGBl I. S. 2135).
Unterhaltsansprüche von Leistungsempfängern werden künftig seltener berücksichtigt
Reichen die Mittel und Versicherungsleistungen von Pflegebedürftigen nicht zur Deckung der Pflegeheimkosten aus, kommt ein Sozialhilfeträger für die Differenz auf. Damit die Pflegekosten nicht von der Allgemeinheit getragen werden, obwohl Unterhaltspflichtige leistungsfähig wären, wird versucht, die so geleisteten Kosten im Wege des Sozialhilferegresses (Unterhaltsregress) bei Unterhaltspflichtigen wieder einzutreiben. Damit müssen seit 2020 deutlich weniger Kinder bzw. Eltern erwachsener pflegebedürftiger Kinder rechnen.
Zum Regress für Leistungen gegenüber Angehörigen regelt § 94 Abs. 1a SGB XII seit dem 01.01.2020:
Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen i. S. d. § 16 SGB IV beträgt jeweils mehr als 100.000 EUR Jahreseinkommensgrenze (brutto) je unterhaltsverpflichteter Person.
Vermutung spricht gegen mögliche Regressnahme durch Leistungsträger
Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten auf den Sozialhilfeträger ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach § 93 Abs. 1a S. 1 SGB XII nicht zu berücksichtigen sind. Da das Einkommen, das nicht zu berücksichtigen ist, sehr hoch ist, wird zunächst einmal seitens der hilfeleistenden Behörden vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach § 93 Abs. 1a S. 1 SGB XII die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet.
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Nur bei Anhaltspunkten für Überschreitung der 100.000 EUR-Grenze wird Regresspflicht geprüft
Durch die Vermutungsregelung werden also nicht mehr die Unterhaltspflichten aller in Betracht kommenden Angehörigen geprüft, sondern nur dort, wo im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Einkommensgrenze von 100.000 EUR vorliegen. Auch der (bisher) Unterhaltsverpflichtete muss keine weiteren Schritte einleiten, um dies durchzusetzen.
Was fällt bei der 100.000 EUR-Grenze unter Einkommen?
Die 100.000 Euro-Grenze umfasst das gesamte Jahresbruttoeinkommen. Das bedeutet, dass auch sonstige Einnahmen wie aus Vermietung, Verpachtung oder Wertpapierhandel als Einkommen i.S.d. 100.000 Euro-Grenze zu berücksichtigen sind. Vorhandenes Vermögen wird dabei nicht berücksichtigt.
Widerlegung der Vermutung nach § 94 Abs. 1a Satz 3 SGB XII
Zur Widerlegung der Vermutung nach § 94 Abs. 1a Satz 3 SGB XII kann der jeweils für die Ausführung des Gesetzes zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen zulassen. Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so ist § 117 SGB XII anzuwenden und es besteht ein entsprechende Auskunftsanspruch.
Norm: § 94 Abs. 1a SGB XII
1 Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches beträgt jeweils mehr als 100 000 Euro (Jahreseinkommensgrenze).
2 Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen sind.
3 Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach Satz 1 die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet.
4 Zur Widerlegung der Vermutung nach Satz 3 kann der jeweils für die Ausführung des Gesetzes zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 zulassen.
5 Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so ist § 117 anzuwenden.
6 Die Sätze 1 bis 5 gelten nicht bei Leistungen nach dem Dritten Kapitel an minderjährige Kinder.
Hintergrund: Nachranggrundsatz
Soweit eine Person aufgrund einer besonderen Lebenssituation, aufgrund des Alters oder Erwerbsunfähigkeit auf öffentliche Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts angewiesen ist, ist grundsätzlich den jeweiligen Hilfearten gemeinsam, dass der Leistungsberechtigte zunächst in gewissem Umfang eigenes Einkommen sowie Vermögen einzusetzen hat. Dieser gesetzlich normierte Nachranggrundsatz bildet die Grundlage dafür, dass überhaupt seitens der verschiedenen Sozialleistungsträger Hilfeleistungen gewährt werden.
Dies bedeutet, dass derartige Hilfeleistungen nachrangig gegenüber dem Einsatz der Arbeitskraft sowie dem Einsatz des Einkommens oder des Vermögens des Leistungsberechtigten sind.
Auch bei Ansprüchen des Leistungsberechtigten gegen andere – also z.B. Unterhaltsverpflichtete oder Sozialversicherungsträger – scheiden Ansprüche gegen die Sozialleistungsträger ganz oder zumindest teilweise aufgrund des Nachranggrundsatzes aus.
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