Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch den Betreuer
Die Zahl der Personen, die durch eine Vorsorgevollmacht regeln, welche Vertrauensperson im Falle ihrer Pflegebedürftigkeit über die zu treffenden Maßnahmen in medizinischer und vermögensrechtlicher Hinsicht zu entscheiden hat, wächst ständig. Was häufig nicht bedacht wird, ist die grundsätzliche Möglichkeit des Widerrufs einer solchen Vollmacht durch einen gerichtlich eingesetzten Betreuer. Ein solcher Widerruf dürfte im Regelfall das Gegenteil dessen sein, was der Vollmachtgeber bei Erteilung der Vollmacht im Sinn hatte. Der Widerruf der Vorsorgevollmacht durch einen Betreuer ist daher nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Die Voraussetzungen hierfür hat der BGH in einer wegweisenden Entscheidung konkretisiert.
Notarielle Vorsorgevollmacht
Im entschiedenen Fall litt die 84 -jährige Betroffene an Demenz nach hirnorganischer Veränderung durch einen Hirninfarkt. Im Juli 2004 hatte die Betroffene einer Vertrauensperson notariell Vorsorgevollmacht erteilt. Nach Eintritt der hirnorganischen Veränderung kümmerte sich zunächst der Bevollmächtigte um die Angelegenheiten der Betroffenen. Im Laufe des Jahres 2010 schöpfte die Betroffene selbst den Verdacht, dass der Bevollmächtigte sie hintergeht. Im November 2010 bestellte das Amtsgericht daher einen ehrenamtlichen Betreuer für die Aufgabenkreise „Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten und Vertretung bei Behörden und Ämtern“.
Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Widerruf der Vorsorgevollmacht“ ausgestattet
Der gerichtlich eingesetzte Betreuer widerrief die dem Bevollmächtigten erteilte Vorsorgevollmacht, worauf die Betroffene gegenüber der Betreuungsbehörde den Wunsch äußerte, die Vollmacht solle doch weiter Bestand haben. In der Folgezeit wurde die Lage durch weitere unterschiedliche Beschlüsse zur Betreuung etwas unübersichtlich. Mit Beschluss vom Januar 2014 hat das AG den Aufgabenkreis eines eingesetzten Vermögensbetreuers um den Aufgabenkreis „Widerruf der durch den Notar beurkundeten Vorsorgevollmacht“ erweitert. Hiergegen hat die Betroffene vertreten durch ihren mit ihrer Vorsorgevollmacht eingesetzten Bevollmächtigten sowie der Bevollmächtigten im eigenen Namen Beschwerde eingelegt, die bis zum BGH ging.
Widerruf bedeutet schweren Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht
Der BGH nahm die Beschwerde zum Anlass, grundsätzliche Feststellungen zur Zulässigkeit des Widerrufs einer Vorsorgevollmacht zu treffen. Ein Betreuer, der einen solchen Widerruf erklärt, trifft nach dem Diktum des Senats seine Entscheidung in öffentlicher Funktion aufgrund eines ihm staatlich übertragenen Amtes. Der Widerruf einer Vorsorgevollmacht stelle einen gewichtigen staatlichen Eingriff in das von Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen dar. Vorsorgevollmachten seien grundsätzlich Ausfluss dieses Selbstbestimmungsrechts. Ein staatlicher Eingriff in dieses Selbstbestimmungsrecht sei besonders weitreichend, weil nach Ausübung des Widerrufs die Auswirkungen irreversibel seien. Der Widerruf führe nämlich zum endgültigen Erlöschen der Vollmacht desjenigen, dem der Betroffene sein besonderes Vertrauen geschenkt habe.
Der Regelbetreuer ist nicht zum Widerruf ermächtigt
Die Schwere des in der Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf liegenden Grundrechtseingriffs erfordert nach Auffassung des BGH eine gesonderte gerichtliche Feststellung der Notwendigkeit der Maßnahme. Die Ermächtigung zum Widerruf der Vollmacht ist daher nach dem Diktum des BGH weder in der Anordnung einer Regelbetreuung noch in dem allgemeinen Aufgabenkreis eines Kontrollbetreuers nach § 1896 Abs. 3 BGB enthalten. Vielmehr müsse eine Zuweisung dieses Aufgabenkreises gesondert erfolgen. Dies folge aus dem Grundsatz, dass das Gericht einem Betreuer nicht allgemein die Rechtsmacht an die Hand geben dürfe, anstelle des Vollmachtgebers nach eigenem Belieben Vorsorgedispositionen aus dem persönlichen Gestaltungsbereich des Vollmachtgebers zu treffen
Ermächtigung zum Widerruf der Vorsorgevollmacht bleibt absolute Ausnahme
Hieraus folgert der BGH, dass eine gerichtliche Ermächtigung zum Widerruf einer Vorsorgevollmacht allein zu dem Zweck gerechtfertigt sein kann, eine schwere Gefährdungslage für den Betroffenen abzuwenden. Der Aufgabenkreis Vollmachtwiderruf dürfe einem Betreuer nur dann übertragen werden, wenn das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lasse.
Strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab
Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folge weiter, dass die Ermächtigung zum Vollmachtswiderruf nur dann zulässig sei, wenn mildere Mittel zur Abwehr eines Schadens nicht zur Verfügung stünden.
Offenbarten sich Mängel bei der Vollmachtsausübung, so erfordere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darüber hinaus, dass zunächst der Versuch unternommen werde, durch einen Kontrollbetreuer auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, beispielsweise durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB).
Die Ausübung von Kontrolle und die Anwendung von Steuerungsmöglichkeiten seien als mildere Grundrechtseingriffe grundsätzlich vorrangig vor einer Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf.
Widerruf der Betreuungsvollmacht ist Ultima Ratio
Erst wenn alle anderen in Betracht kommenden Maßnahmen fehlschlügen oder diese aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit ungeeignet erschienen, drohende Schäden für den Betroffenen abzuwenden, sei die Ermächtigung zum Vollmachtswiderruf als Ultima Ratio verhältnismäßig. Da im konkreten Fall die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen der Ausstattung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis des Widerrufs der Betreuungsvollmacht fehlten, hat der BGH das Verfahren zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
(BGH, Beschluss v. 28.7.2015, XII ZB 674/14)
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