Familien- und Erbrecht: Ausländische Sorgerechtsentscheidungen

Nicht immer stehen Gründe des Kindeswohls bei Sorgerechtsentscheidungen im Ausland im Vordergrund. Sind solche Entscheidungen ausländischer Gerichte, wenn z.B. offensichtlich ökonomische Interessen leitend für den Entscheidungstenor waren, hier dennoch zu beachten?

Über einige solcher Fälle hatte das BVerwG zu entscheiden. Zwei 1994 und 1996 geborene türkische Kläger lebten bei ihrer Großmutter in der Türkei. Ihr Vater - ebenfalls türkischer Staatsangehöriger -, lebt in Berlin, ist mit einer Deutschen verheiratet und besitzt eine ordnungsgemäße Aufenthaltserlaubnis. Im Jahre  2006 übertrug ein türkisches Amtsgericht die alleinige elterliche Sorge von der Mutter der Kinder auf den Vater. Die deutsche Botschaft in Ankara lehnte den Antrag der Kinder auf Erteilung eines Visums zum Nachzug nach Berlin zum Zwecke der Familienzusammenführung ab. Nach Auffassung der Botschaft waren für die Sorgerechtsübertragung auf den Vater durch das türkische Amtsgericht offensichtlich ökonomische Gründe maßgebend. Den Klägern sollte es in Deutschland wirtschaftlich besser  gehen. Ob dies auch insgesamt dem Wohl der Kinder entspreche, habe das Gericht nicht geprüft. Immerhin hatte das türkische Gericht die Kinder vor seiner Entscheidung angehört. In einem weiteren, ähnlich gelagerten Fall eines mongolischen Familiengerichts war  die Anhörung des betroffenen Kindes unterblieben. 

Grundsatz: Nachzug nur bei alleinigem Sorgerecht

Die rechtliche Grundlage für  die Entscheidung über den Nachzug von Kindern findet sich in § 32 Abs. 3  AufenthG. Danach ist das alleinige Sorgerecht des in Deutschland lebenden Elternteils Voraussetzung für den Nachzug eines Kindes. Nicht selten spielen wirtschaftliche Gesichtspunkte für die Eltern eine entscheidende Rolle, wenn sie den Nachzug des Kindes zu einem in Deutschland lebenden Elternteil wünschen. Sie lassen dann zu diesem Zweck von dem zuständigen ausländischen Gericht das alleinige Sorgerecht auf den in Deutschland lebenden Elternteil übertragen.

Ausländische Sorgerechtsentscheidungen sind anzuerkennen

Nach Auffassung des BverwG ist es nach dem Gesetz dennoch nicht zulässig, dass deutsche Behörden die Entscheidungen ausländischer Gerichte im Hinblick auf solche Motive hinterfragen. Das Ausländerrecht sehe eine solche Überprüfung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen nicht vor. Grundsätzlich seien die Sorgerechtsentscheidungen ausländischer Gerichte daher auch von den deutschen Ausländerbehörden zu beachten.

Ordre – Public - Vorbehalt

Eine Ausnahme ließen die Bundesrichter allerdings zu. Der hier maßgebliche Art 16 des Haager Minderjährigenschutz- Übereinkommens beinhalte nämlich einen sog. „Ordre – Public – Vorbehalt“. Hiernach  sei eine ausländische Sorgerechtsentscheidung dann nicht anzuerkennen, wenn diese gegen rechtsstaatliche Grundsätze in einer Weise verstoße, dass eine Anerkennung der Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung im Aufnahmestaat schlechterdings nicht zu vereinbaren sei. Dies sei dann der Fall, wenn die konkrete Sorgerechtsentscheidung  in einem unerträglichen Missverhältnis zu dem in Deutschland maßgeblichen  Kriterium des Kindeswohls stehe. Dies  sei bei den türkischen Entscheidungen jedenfalls nicht zu erkennen. Die Kinder seien angehört worden, die aus den Anhörungen gewonnenen Erkenntnisse hätten die Gerichte in ihren Entscheidungen auch berücksichtigt. In allen Fällen  hätte die Mutter  der Sorgerechtsübertragung auf den Vater zugestimmt.

Rechtsstaatliches Verfahren ist unabdingbar

Anders sah das BVerwG allerdings die Sachlage in der mongolischen Fallvariante. Hier  sei zumindest  ein  zwingender  rechtsstaatlicher Grundsatz im Rahmen nicht beachtet worden. Das Gericht habe dem betroffenen Kind nämlich keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Anhörung des betroffenen Kindes vor Gericht oder vor einer sonst zur Anhörung geeigneten Stelle – z.B. dem Jugendamt – sei aber eine unabdingbare rechtsstaatliche Voraussetzung dafür, dass eine Sorgerechtsentscheidung anerkannt werden könne. Gegen diesen rechtsstaatlichen Grundsatz habe  das mongolische Gericht in  fundamentaler Weise verstoßen. Die Anerkennung der Entscheidung sei daher zu versagen. Dennoch hat das BverwG das Verfahren zur weiteren Entscheidung an die Vorinstanz zurück verwiesen. Diese muss  prüfen, ob  möglicherweise ein anderer Rechtsgrund das Nachzugsverlangen rechtfertigt.

(BVerwG, Urteile  v. 29.11.2012, 10 C 4.12; 10 C 5.12 u. 10 C 14.12).


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