Hinterbliebenengeld als Schadensersatzanspruch für die Trauer Angehöriger
Eine Reform des Deliktrechts, die zum 22.7. in Kraft trat, füllt eine oft bemängelte Lücke im Schadensersatz- und Deliktsrecht. Seit Längerem wurde kritisiert, dass dem Leid der Angehörigen von Getöteten nicht Rechnung getragen wird. Dies wurde insbesondere wieder durch den Germanwings-Unfall deutlich.
Bisher nur Schadensersatz bei eigener Schädigung
Bisher stand bei einem fremdverursachten Tod nahen Angehörigen nach ständiger Rechtsprechung nur dann ein Schmerzensgeldanspruch gegen den Verantwortlichen zu, wenn sie durch den Todesfall eine eigene Gesundheitsbeschädigung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB erltten.
Seelische Erschütterung durch Todesfall zählte bisher im Deliktsrecht nicht
- Die seelischen Erschütterungen wie Trauer und seelischer Schmerz,
- denen Hinterbliebene beim gewaltsamen oder Unfalltod eines Angehörigen ausgesetzt sind,
- wurden von der deliktischen Haftung weitgehend vernachlässigt und selten entschädigt,
- auch nicht als Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB dar.
Die normale Trauer über den Tod eines nahen Angehörigen löste keine Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld aus.
Bisher kaum Schadensersatz für Leid von Hinterbliebenen
Deutsche Recht hat sich, auf Grund der starken Ausrichtung an materiellen Werten, traditionell schwer getan mit dem Ersatz von Schäden, die keine Vermögensschäden sind.
Für immaterielle Schäden das Entschädigungsbeträge im internationalen Vergleich in Deutschland immer noch eher gering aus.
Die Zahlung einer Geldsumme für Schmerz, insbesondere über den Tod eines Verwandten, erschien nach deutscher Rechtslage als eher unwürdig. Den Hinterbliebenen stand gem. §§ 844, 845 BGB ein eigener Schadenersatzanspruch nur im Falle des durch den Tod einer Person verursachten Entzugs eigener Ansprüche (Haushaltsführungsschaden, Ausfall von Unterhaltsansprüchen) zu.
Bisher Schmerzensgeld für Angehörige nur bei schweren Schockschäden
In der Rechtsprechung wurden diese Regeln entsprechend der Intention des Gesetzgebers überwiegend restriktiv angewandt.
- Hinterbliebenen gewährten die Gerichte nur ganz ausnahmsweise einen eigenen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld.
- Voraussetzung war, dass der Anspruchsteller durch die Tötung einer Person deutlich über das normale Maß hinaus in seinem gesundheitlichen Befinden beeinträchtigt war.
Für die mit dem Tod eines Menschen in der Regel verbundene "normale" Trauer der Eltern, des Kindes oder des Ehegatten gab es keine Entschädigung.
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Lediglich im Falle eines durch den Tod einer Person verursachten schweren Schockschadens, der einen aufgrund medizinischer Diagnostik festgestellten eigenen Krankheitswert hatte, wurde den Betroffenen ein eigener Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld zuerkannt (BGH, Urteil v. 10.2.2015, VI ZR 8/14).
Rechtliche Schwelle für Anspruch ist nun gesenkt worden
Diese Situation wurde zum 22.7.2017 mit Einführung eines neuen § 844 Abs. 3 BGB grundlegend geändert. Die neue Vorschrift gewährt dem Hinterbliebenen,
- der zurzeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand
- für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid
- eine angemessene Entschädigung in Geld
Wann liegt ein persönliches Näheverhältnis vor?
Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.
Die Bedeutung der Neuegelung liegt darin, dass für einen eigenen Schadensersatzanspruch des Hinterbliebenen nicht mehr die hohe Hürde eines Schockschadens bestehen soll, sondern deutlich unterhalb dieser Schwelle bereits eine Entschädigung für das mit dem Tod einer nahestehenden Person regelmäßig verbundene seelische Leid gewährt wird.
Wichtig: Nach der Intention des Gesetzgebers soll die bisher nach der Rechsprechung gewährte Entschädigung im Falle eines Schockschadens nicht berührt werden, d.h. der Anspruch auf Ersatz des Schockschadens wird durch die Neuregelung nicht ausgeschlossen.
Anspruch auch durch intensive soziale Bindung
Anspruchsberechtigt sind diejenigen Hinterbliebenen, die zurzeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen.
Neben den im Gesetz in § 844 Abs. § BGB aufgezählten Personen kann dies jede andere Person sein, die eine besonders intensive soziale Bindung zu dem Getöteten hatte. Gehört diese Person nicht zu den im Gesetz aufgezählten engen Verwandten, muss sie dieses Näheverhältnis allerdings darlegen und beweisen
Wichtig: Hinsichtlich der im Gesetz aufgezählten Angehörigen wird das persönliche Näheverhältnis vermutet. Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn beispielsweise Ehegatten sich entfremdet haben, voneinander getrennt leben und keinerlei persönliche Bindung mehr unterhalten haben.
Hinterbliebenengeld grundsätzlich nur bei Tötung eines Menschen
Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld setzt die Tötung eines Menschen voraus, eine sehr schwere Verletzung mit schwerwiegenden Folgen - Querschnittslähmung, Gehirnsschaden - reicht nicht aus. Der Grund besteht darin, dass in diesem Fall der Verletzte selbst Ansprüche gegenüber dem Schädiger geltend machen kann.
Keine Besonderheiten bei der Kausalitätsprüfung
Hinsichtlich der Kausalität gelten die gleichen Grundsätze wie auch sonst im Deliktsrecht. Insbesondere in den Fällen, in denen der Tod nicht sofort, sondern mit zeitlicher Verzögerung als mittelbare Folge einer Verletzungshandlung eintritt, gelten die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Kausalität, zur sozialen Adäquanz sowie zum Schutzzweck der Norm.
Rechtliche Anerkennung seelischen Leids
Ist das persönliche Näheverhältnis belegt, so indiziert dies in der Regel, dass der Betroffene infolge der Tötung seelisches Leid erlitten hat. Die Rechtsfolge ist ein Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld. In der Entwurfsbegründung legt das BMJV Wert auf die Feststellung, dass es hierbei nicht um eine Bewertung für den Verlust des Lebens gehen kann.
Durch den Anspruch auf Hinterbliebenengeld solle vielmehr die eigenständige Bedeutung seelischen Leids rechtlich anerkannt werden, wohlwissend, dass es eine angemessene Entschädigung in Geld für den Tod eines Menschen niemals geben kann.
Umfangreiche Gesetzesergänzungen
Eine entsprechende Ergänzung des Entschädigungsrechts wurde neben dem BGB in einer ganzen Reihe weiterer Gesetze eingeführt so
- im Arzneimittelrecht,
- im GentechnikG,
- im ProdukthaftungsG,
- im Umwelthaftungsgesetz,
- im Atomgesetz,
- im Straßenverkehrsrecht,
- im HaftpflichtG
- sowie im LuftverkehrsG.
Bemessung der Entschädigung bleibt den Gerichten überlassen
Mit der Neuregelung kommt auf die Gerichte eine nicht leichte Aufgabe zu.
Trotz des Bewusstseins, dass der Wert menschlichen Lebens nicht in Geld zu messen ist, wird die Rechtsprechung nicht umhin kommen, zukünftig seelisches Leid mit Geldbeträgen zu bewerten.
Mögen diese Geldbeträge letztlich nur symbolischen Charakter haben, so ist doch bereits jetzt absehbar, dass Angehörige die festzusetzenden Geldbeträge als zu niedrig empfinden werden. Für die Gerichte wird das keine leichte Aufgabe werden.
Deliktsrecht war lange immun gegen Trauer
Das Deliktsrecht des am 1.1.1900 in Kraft getretenen BGB war vom damaligen Gesetzgeber so gut formuliert, dass es mehr als 100 Jahre nahezu unverändert galt. Allerdings wurde die äußerst restriktive Regelung des deliktischen Schadensersatzes immer wieder kritisiert, so dass der Gesetzgeber mit der Änderung des BGB im Jahr 2002 einen allgemeinen Anspruch auf Schmerzensgeld im Rahmen der Vertrags- und Gefährdungshaftung einführte, § 253 Abs. 2 BGB. Voraussetzung für die Geltendmachung ist allerdings immer, dass der Anspruchsteller an eigenen Rechtsgütern wie Gesundheit, Leben oder Freiheit verletzt wurde.
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