BGH betont die Amtspflicht der Lehrer, Schülern fachgerecht Erste Hilfe zu leisten
Der damals 18-jährige Kläger brach während des Sportunterrichts an seiner Schule zusammen und erlitt einen irreversiblen Hirnschaden, dessen Ursache unbekannt geblieben ist.
Sportlehrerin rief Notrufzentrale
Nachdem der Schüler während des Aufwärmens über Kopfschmerzen klagte, rutschte er an einer Wand entlang in eine Sitzposition.
- Die Sportlehrerin rief bei der Notrufzentrale an.
- Von dort aus erhielt sie weitere Anweisungen, eine Reanimation führten die anwesenden Lehrkräfte jedoch nicht durch.
- Die 5 Minuten später eingetroffenen Rettungssanitäter begannen sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen, welche ca. 45 Minuten andauerten.
Im Aufnahmebericht wurde vermerkt, dass bis zum Eintreffen des Notarztes bereits eine 8-minütige Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation bestanden habe.
Amtspflichtverletzung ja – aber Anspruch auf Schadenersatz?
Der Kläger, welcher seitdem schwerstbehindert ist, machte gegenüber dem beklagten Land Schadenersatzansprüche geltend,
- da die Lehrer die notwendige Reanimation unterlassen
- und dadurch den Hirnschaden herbeigeführt hätten.
Das Landgericht Wiesbaden wies die Klage ab
Nach der Urteilsbegründung sei im Rahmen der Beweisaufnahme nicht feststellbar gewesen, ob es bereits vor dem Erscheinen der Rettungskräfte zu einem Aussetzen der Atmung des Jungen gekommen sei und deshalb für die Lehrer Anlass für Wiederbelebungsmaßnahmen bestünden hätte. Auch die Berufung des Klägers vor dem Oberlandesgericht Frankfurt a. M. blieb erfolglos.
Keine Beweislastumkehr - Kausalität nicht nachweisbar
Zwar hätten Lehrer im Rahmen ihrer Amtspflicht
- die Pflicht, die ihnen anvertrauten Schüler im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren vor Schäden zu bewahren.
- Hierzu gehöre auch die Pflicht, erforderliche und zumutbare Erste Hilfe
- rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Weise zu leisten.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne jedoch nicht festgestellt werden, dass „sich ein Unterlassen einer ausreichenden Kontrolle der Vitalfunktion und etwa bis zum Eintreffen der Rettungskräfte gebotener Reanimationsmaßnahmen kausal auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt haben“, so das Gericht in seiner Begründung.
Es war also nach Ansicht der Richter nicht sicher auszuschließen, dass die Atmung des Jungen erst kurz vor dem Eintreffen der Rettungskräfte ausgesetzt hatte.
Beweislast des Kläger für Ursächlichkeit unterlassener Reanimation
Für die Kausalität der unterlassenen Wiederbelebungsmaßnahmen für seine Schädigung trage der Kläger die Beweislast. Eine Beweislastumkehr finde vorliegend nicht statt.
- Die im Zuge des Arzthaftungsrechtes entwickelten Grundsätze zur Beweislastverteilung waren vorliegend nicht anwendbar.
- Lehrer seien hier nicht mit Ärzten und mit deren medizinischem Wissen vergleichbar, argumentierten die Richter.
Darüber hinaus finde im vorliegenden Fall auch nicht die Beweislastregel des § 832 BGB Anwendung, da hier Schäden des Aufsichtsbedürftigen selbst nicht von der Vorschrift erfasst würden.
Den Antrag des Schülers,
- einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der Kausalität der unterlassenen Reanimationsmaßnahmen für die entstandene irreversible Hirnschädigung zu beauftragen,
- lehnten die OLG-Richter ab mit der Begründung,
- für die Erstellung eines solchen Gutachtens biete der Sachverhalt nicht genügend Anhaltspunkte (OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 25.01.2018, 1 U 7/17).
BGH rügt Ablehnung des Beweisantrags als rechtsfehlerhaft
In der Ablehnung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Kausalitätsfrage sah der BGH einen groben Verfahrensfehler der Vorinstanz.
- Nach Auffassung des BGH kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Sachverständiger die ungeklärten Fragen zur Kausalität der nicht ergriffenen Reanimationsmaßnahmen für die erlittene Gehirnschädigung klären kann.
- Der entsprechende Beweisantrag sei damit verfahrensrelevant
- und hätte wegen seiner Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits unter keinen Umständen abgelehnt werden dürfen.
Erste Hilfe ist Nebenamtspflicht des Lehrers
Die Karlsruher Richter stellten darüber hinaus klar, dass Sportlehrer verpflichtet sind, in Notfällen die ihnen zumutbaren Maßnahmen zur Ersten Hilfe zu ergreifen, dies rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Weise. Diese Verpflichtung gehöre zwar nicht zu den Hauptaufgaben eines Sportlehrers, nämlich die Schüler zu unterrichten und zu erziehen, jedoch treffe den Lehrer die Nebenpflicht, bei Unfällen das ihm Mögliche zu tun, um schädliche Folgen zu vermeiden.
BGH betont Haftung auch bei einfacher Fahrlässigkeit
Der BGH stellte darüber hinaus klar, dass das gemäß § 680 BGB geltende Haftungsprivileg für Nothelfer, das eine Haftung nur bei grober Fahrlässigkeit vorsieht, für Sportlehrer nicht gilt.
- Das Haftungsprivileg habe den Sinn, unbeteiligte Dritte im Fall einer spontanen Nothilfe davor zu schützen, für die nach ihren Kenntnissen notwendigen aber möglicherweise falschen Hilfemaßnahmen haftbar gemacht zu werden.
- Ein Lehrer sei im Verhältnis zu seinen Schülern aber grundsätzlich kein unbeteiligter Dritter.
- Außerdem würden Sportlehrer als Ersthelfer für Notfälle im Sportunterricht ausgebildet.
- Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Staat die Schüler zur Teilnahme am Sportunterricht verpflichtet.
- Deshalb hafte der Lehrer bzw. sein Dienstherr grundsätzlich auch bei einfacher Fahrlässigkeit.
Kläger möchte lebenslange Versorgung sichern
Die Vorinstanz muss nun erneut mit Hilfe eines Sachverständigen die Frage einer möglichen Amtspflichtverletzung der beteiligten Lehrer sowie der Kausalität der unterlassenen Hilfsmaßnahmen für die eingetretene Hirnschädigung überprüfen. Für den Kläger geht es um viel. Er forderte vom Land Hessen mindestens 500.000 Euro Schmerzensgeld, ca. 100.000 Euro für den Ersatz materieller Schäden sowie eine monatliche Mehrbedarfsrente in Höhe von 3.000 Euro.
Hintergrund:
Personenschäden der Schüler sind grundsätzlich über die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) abgedeckt. Diese umfasst alle Personenschäden und deren Folgen.
- Hat ein Lehrer jedoch seine Aufsichtspflicht grob fahrlässig verletzt, kann eine persönliche Haftung in Betracht kommen.
- Soweit es sich um Personen- oder Sachschäden Dritter (siehe Beispiel unter 2) handelt, sind bei öffentlichen Schulen Schadenersatzansprüche wegen einer Aufsichtspflichtverletzung gegen den Dienstherrn (das Land) gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu richten.
Des Weiteren kann die Verletzung der Aufsichtspflicht sowohl disziplinar- als auch strafrechtliche Folgen haben.
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