Samenraub: Kind als Schaden
Diese Fragen beschäftigten nun auch das OLG Hamm. Der 41jährige Kläger aus Hattingen hatte im Januar 2004 eine Spermaprobe abgegeben. Nach seinen eigenen Angaben hatte er den Ärzten die Zustimmung zur Aufbewahrung der Probe für die Dauer eines Jahres erteilt, damit die Probe im Falle einer Erkrankung zur Verfügung stehe. Im Jahre 2007 wurde die Spermaprobe auf Wunsch der ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers für eine künstliche Befruchtung verwendet. Im November 2007 brachte die ehemalige Lebensgefährtin Zwillinge zur Welt. Der Kläger zahlt seither Unterhalt für die Kinder, ohne diese jemals gesehen zu haben. Der unfreiwillige Vater verklagte daraufhin die Ärzte auf Freistellung von seinen Unterhaltsverpflichtungen.
LG verpflichtet die Ärzte zur Zahlung
Das zuständige LG hatte ein Einsehen in die missliche Lage des Kindesvaters. Grundlage seiner Entscheidung war ein „Lagervertrag“ zwischen den Ärzten und dem Kläger. Die Ärzte hatten sich nämlich vertraglich verpflichtet, die Lagerung der Spermaprobe verantwortlich zu überwachen. Gegen diese Verpflichtungen hatten die Ärzte nach Auffassung des LG verstoßen, indem sie im Jahre 2007 die Spermaprobe auf Wunsch der ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers zu einer künstlichen Befruchtung im Kinderwunschzentrum in Dortmund verwendet hätten. Hierdurch sei dem Kläger ein Schaden in Form der entstandenen Unterhaltsverpflichtungen entstanden. In der Urteilsbegründung wiesen die Richter ausdrücklich darauf hin, dass vom rechtlichen Ergebnis her die Bejahung eines Schadens zwingend erforderlich sei. Die gegenteilige Auffassung würde nach Meinung der Kammer zu dem nicht akzeptablen Ergebnis führen, dass „jede Verfehlung der Reproduktionsmedizin (rechtlich) akzeptiert“ würde. Reproduktionsmediziner müssten aber – wie jede andere Berufsgruppe auch – für die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen einstehen.
Exkurs
Die Entscheidung des LG ist nicht selbstverständlich. Noch im Jahre 1993 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts es als mit der Würde des Menschen unvereinbar angesehen, die ungewollte Geburt eines Kindes als ein Schadensersatzansprüche auslösendes Ereignis anzusehen. Dem hat allerdings der Erste Senat in einer späteren Entscheidung widersprochen (BVerfG, Urteil vom 22. 10. 1997,1 BVR 479/92) und die höchstrichterliche Rechtsprechung der Zivilgerichte als mit der Verfassung vereinbar angesehen, wonach zwar nicht die Geburt eines Kindes als solche, jedoch die durch die Geburt ausgelösten Unterhaltsbelastungen als Schaden anzuerkennen seien (BGH, Urteil vom 18.3.1980, VI ZR 105/78).
OLG: Kläger hat wirksames Einverständnis erteilt.
Das zweitinstanzlich mit der Sache befasste OLG bewertete den Fall anders als das LG. Bereits in der Vorinstanz hatten die Ärzte Dokumente vorgelegt, in denen der Kläger sein Einverständnis mit der künstlichen Befruchtung seiner ehemaligen Lebensgefährtin erteilt hatte. Der Kläger hatte allerdings bestritten, dass die auf den Dokumenten befindlichen Unterschriften von ihm stammten. Ein hierzu eingeholtes graphologisches Sachverständigengutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger selbst die Unterschriften mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit (99 %) geleistet hatte. Die Behauptung des Klägers, die Unterschriften seien gefälscht, war nach Ansicht des Senats in sich widersprüchlich und daher nicht glaubhaft.
Kein rechtswidriges Verhalten der Ärzte.
Nach Auffassung des OLG Senats hatten die beweisbelasteten Ärzte damit den Beweis für das Vorliegen eines wirksamen Einverständnisses erfolgreich geführt. Ein schuldhaft rechtswidriges Verhalten der Ärzte könne darüber hinaus nicht festgestellt werden. Damit musste das OLG zur Frage, ob die Geburt eines Kindes Ansprüche auf Schadenersatz auslösen kann, keine grundsätzliche Stellung nehmen, da - unabhängig von der Beantwortung dieser Frage - ein Schadensersatzanspruch aufgrund des Beweisergebnisses nicht gegeben war.
(OLG Hamm, Urteil v. 04.02.2013, I – 22 U 108-12)
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