Anwälte müssen bei komplexen Fallgestaltungen viel mehr „am Rande des Geschehens“ erkennen. Auch zu rein wirtschaftlichen Fragen müssen sie ihren Mandanten Rede und Antwort stehen. Damit verlagert der Auftraggeber in letzter Konsequenz auch an und für sich originär bei ihm anzusiedelnde Risiken qua Haftung auf Rechts-, Steuer- und Wirtschaftsberater, wenn das Projekt schief laufen sollte. Keine Frage: Das Anspruchsdenken auf Seiten der Mandanten steigt. Es ist natürlich das gute Recht des Mandanten, die Beratung des Rechtsanwalts zu hinterfragen und begründete Haftpflichtansprüche notfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Zuweilen entsteht jedoch der Eindruck, dass jede Prozessniederlage zum Anlass genommen wird, den Rechtsanwalt zumindest wegen vermeidbarer Kosten in Anspruch zu nehmen.
Komplexe Haftungsfälle in interprofessionell tätigen Gesellschaften
Eine besondere Komplexität besitzen häufig Haftungsfälle, die in interprofessionell tätigen Berufsausübungsgesellschaften entstehen. Eine solche berufliche Zusammenarbeit führt zu einer gegenseitigen akzessorischen Haftung der einzelnen Gesellschafter für Pflichtverletzungen sowohl berufsangehöriger als auch fremder Gesellschafter. Zur Absicherung dieser Haftungsszenarien hat der DAV eine unverbindliche Musterklausel für interprofessionelle Berufsausübungsgesellschaften entwickelt, wonach die Berufsausübungsgesellschaft und nicht der einzelne Gesellschafter Versicherungsnehmer ist. Grundsätzlich können in einer solchen Berufsausübungsgesellschaft aber separate Versicherungsverträge für die verschiedenen Berufsträger (z.B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten) abgeschlossen werden.
Wirtschaftliche Tätigkeit des Rechtsanwalts
Nicht selten erfordern komplexe Mandate auch Tätigkeiten außerhalb der klassischen Rechtsanwaltstätigkeit. Anwälte sollten daher grundsätzlich ein Auge darauf haben, ob ihre Tätigkeit aus der klassischen Rechtsberatung herausführt und beispielsweise rein wirtschaftlicher Natur ist. Dies kann sowohl bei der Wahrnehmung von Kontrollfunktionen in Gesellschaften, der Beratung bei bestimmten Investitionsentscheidungen, dem Verkauf von Immobilien, der Wahrnehmung einer Aufgabe als Treuhandkommanditist oder als Mittelverwendungskontrolleur in einem Investmentfonds der Fall sein. Solche Tätigkeiten können unter bestimmten Voraussetzungen vom Versicherungsschutz ausgenommen sein (BGH, Beschluss v. 23.9.2015, IV ZR 484/14).
Junge Anwälte extrem gefährdet
Junge Anwälte und Berufseinsteiger haben wenig Berufserfahrung, können es sich aber andererseits nicht leisten, ein lukratives aber zu komplexes und schwieriges Mandat abzulehnen. Doch auch diejenigen jungen Anwälte, die in eine bestehende Sozietät eintreten, unterschätzen oft die sich ergebenden Haftungsrisiken aus bereits bestehenden Verbindlichkeiten der Kanzlei. Knallhart ist hier einmal mehr der Bundesgerichtshof. Sozien, die neu in eine Sozietät eintreten, haften danach in analoger Anwendung des § 130 HGB auch für bereits bestehende Verbindlichkeiten der Gesellschaft mit ihrem Privatvermögen. Um die Haftung für Altschulden der Sozietät zu vermeiden, sollten sich Junganwälte bzw. neu in eine Sozietät eintretende Anwälte die nachfolgenden vier Fragen stellen:
- Welche Deckungssummen stehen aktuell und für die Vergangenheit zur Verfügung?
- Bieten die beteiligten Versicherer die Möglichkeit einer Rückwärtsdeckung? Um sämtliche Deckungslücken zu schließen, ist eine Rückwärtsdeckung für die gesamte Dauer des Bestehens der Sozietät erforderlich. Derartiger Versicherungsschutz wird jedoch nur im Einzelfall und gegen entsprechende Mehrprämie zu erhalten sein.
- Ist der Versicherer bereit, für die Vergangenheit auf die Anwendung des §12 AVB (Durchschnittsbildung) zu verzichten?
- Ist es möglich eine Haftungsfreistellung im Innenverhältnis zu vereinbaren?