Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess
Dies hat das LG Köln in folgendem Fall entschieden: In einem Schadenersatzprozess hatte ein Fahrzeughalter einen fünfzehnjährigen Jugendlichen (vertreten durch seine Eltern) auf Schadensersatz verklagt, weil dieser über eine Straße gelaufen sei, als die für die Fußgänger geltende Lichtzeichenanlage Rotlicht zeigte. In der Folge kam es zum Zusammenprall des Fahrzeugs mit dem Jugendlichen. Nach Auffassung des Fahrzeughalters hatte der Jugendliche durch den von diesem begangenen Rotlichtverstoß schuldhaft sein Fahrzeug beschädigt. Dieser sei daher zum Schadenersatz verpflichtet.
AG stützt Verurteilung des Jugendlichen allein auf seine Ersteinlassung
Vor dem AG hatte der Fahrzeughalter mit seiner Klage Erfolg. Bei seiner polizeilichen Vernehmung unmittelbar nach dem Unfallgeschehen hatte der Jugendliche gegenüber den Polizeibeamten zugegeben, bei Rotlicht die Ampel passiert zu haben. Die Polizeibeamten hatten den Jugendlichen allerdings nicht darüber belehrt, dass ihm nach § 67 JGG das Recht zusteht, vor einer Einlassung seine gesetzlichen Vertreter zu konsultieren. Im Prozess hatte er später den Rotlichtverstoß bestritten. Dem AG reichte die unmittelbar nach dem Unfallgeschehen getätigte Aussage des Beklagten zu einer Verurteilung des Jugendlichen zur Zahlung aus. Wesentliche weitere Beweise waren nicht vorhanden.
Belehrung über das Konsultationsrecht ist unabdingbar
In 2. Instanz hob das LG das stattgebende Urteil des AG auf und wies die Klage in vollem Umfang ab. Das AG hatte nach Auffassung der Kammer die Beweise in fehlerhafter Weise gewürdigt. Das LG stellte unmissverständlich klar, dass die Polizeibeamten unmittelbar nach dem Verkehrsunfall vor einer Vernehmung des Jugendlichen verpflichtet gewesen seien, diesen über sein Recht, die Eltern zu konsultieren, zu belehren. Dies folge daraus, dass der Jugendliche als Beschuldigter einer Ordnungswidrigkeit vernommen worden sei.
Jugendliche weisen eine höhere Geständnisfreudigkeit auf
Das in § 67 JGG postulierte Konsultationsrecht beruhe auf der kriminologisch gesicherten Erkenntnis, dass jugendliche Beschuldigte im Vergleich zu Erwachsenen
- eine deutlich höhere Geständnisfreudigkeit aufweisen,
- dass Jugendliche nachgewiesenermaßen eine psychische Hemmung hätten, von ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen und Angaben zur Sache zu verweigern.
- Dies beruhe darauf, dass die Entschließungsfreiheit eines jugendlichen Beschuldigten im Zusammenhang mit einer Vernehmung aus entwicklungspsychologischen Gründen eingeschränkt sei (LG Saarbrücken, Urteil v. 31.7.2009, 3 Ns 20 Js 26/08).
Bedeutung für den Zivilprozess ist einzelfallabhängig zu prüfen
Das LG bewertete die Belehrungspflicht der Polizei als eine wesentliche strafprozessuale Regel von überragender Bedeutung, die den beschuldigten Jugendlichen davor bewahren soll, aktiv zu seiner strafrechtlichen Verfolgung beizutragen. Dieser zunächst rein strafrechtliche Zusammenhang könne zwar nicht ohne weiteres auf den Zivilprozess übertragen werden, jedoch sei im Einzelfall eine Interessen- und Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung der Verletzung der Beweiserhebungsregeln vorzunehmen (BGH, Urteil v. 10.12.2002, VI ZR 378/01).
LG gibt Minderjährigenschutz den Vorrang
Die Kammer stellte in der Folge die widerstreitenden Interessen gegenüber:
- Einerseits das hoch einzuschätzende Interesse des Fahrzeuginhabers an der Wahrheitsfindung
- Und andererseits das Interesse eines Minderjährigen an einer verantwortlichen Belehrung über seine Rechte.
Das LG gab dem Schutz des Minderjährigen den Vorrang und verwies auf § 455 ZPO, wonach eine parteiverantwortliche Vernehmung von Minderjährigen bis zum vollendeten 16. Lebensjahr zu unterbleiben hat und ausschließlich die gesetzlichen Vertreter zu vernehmen sind. Im Zivilprozess komme also eine verantwortliche Aussage Minderjähriger überhaupt erst ab dem 16. Lebensjahr in Betracht. Darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass
- der 15jährige zum Zeitpunkt der Vernehmung noch unter dem Schock des Verkehrsunfalls gestanden habe
- und er die Tragweite seiner damaligen Aussage möglicherweise nicht habe überblicken können.
Beweiserhebungsverbot führt ausnahmsweise zu Beweisverwertungsverbot
Das LG kam damit zu dem Ergebnis, dass im Fall der Verletzung der Beweiserhebungsregeln gegenüber einem Minderjährigen den Interessen des Minderjährigen an einer ordnungsgemäßen Beweiserhebung in der Regel der Vorrang zu geben sei, so dass in einem solchen Fall ein strafprozessuales Beweiserhebungsverbot ausnahmsweise ein zivilprozessuales Beweisverwertungsverbot nach sich ziehe. Daraus folge, dass die aus der Vernehmung der Polizeibeamten gewonnenen Erkenntnisse bei der Beweiswürdigung wegzudenken seien. Wende man diese Regel konsequent an, so habe der Fahrzeuginhaber den Beweis für ein Verschulden des Minderjährigen nicht erbracht. Er sei damit beweisfällig geblieben, so dass die Klage im Ergebnis ohne Erfolg bleiben müsse.
(LG Köln, Urteil v. 13.1.2016, 13 S 129/15)
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