Sitzungsgebühr steigt bei deutlicher Verspätung der Gerichtsverhandlung
Verhandlungstermin verschob sich um anderthalb Stunden
Der Anwalt war zu dem Termin um 11.15 Uhr geladen worden. Die mündliche Verhandlung begann aber erst anderthalb Stunden später um 12.46 Uhr und wurde um 13.25 Uhr geschlossen.
Das Verfahren endete durch Rücknahme der Klage nach erfolgter Beweisaufnahme, bei der zwei medizinische Sachverständige und ein berufskundiger Sachverständiger vernommen wurden.
Kostenbeamtin stutzt Terminsgebühr
In seiner Kostenrechnung hat der Anwalt die Verspätung des Gerichts bei der Höhe der Teminsgebühr berücksichtigt und 380 Euro geltend gemacht.
Der zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle kürzte diese Gebühr um 214,20 Euro auf nur 165,80 Euro. Begründung: Die Terminsgebühr sei überhöht.
- Die Terminsgebühr decke nach der amtlichen Vorbemerkung Nr. 3 Abs. 3 zu Teil 3 Vergütungsverzeichnis nur die Vertretung in einem Termin ab.
- Wartezeiten zählten nicht dazu.
- Bei einer Terminsdauer von 30 bis 70 Minuten sei der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit durchschnittlich.
- Hier sei die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zwar als überdurchschnittlich zu bewerten, weil eine Beweisaufnahme mit mehreren Sachverständigen stattgefunden habe.
- Auch die Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten sei überdurchschnittlich gewesen.
- Demgegenüber seien die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten beim Bezug von Alg II jedoch deutlich unterdurchschnittlich, so dass es sich insgesamt um einen durchschnittlichen Termin handele, für den die Mittelgebühr festzusetzen sei.
LSG nimmt Verhandlungs-Verspätung ernster
Das Landessozialgericht gab der Beschwerde statt, soweit der Beschwerdeführer begehrt, die Wartezeit von 1 ½ Stunden bei der Bestimmung der Terminsgebühr gebührenerhöhend zu berücksichtigen.
Wartezeiten eines Rechtsanwalts vor einem Termin zur mündlichen Verhandlung, die die in der Ladung mitgeteilte Uhrzeit um mehr als 15 Minuten überschreiten und die allein der Sphäre des Gerichts zuzurechnen sind, wirken sich bei der Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit aus.
Allerdings führt die hier zu berücksichtigende Wartezeit laut Richterspruch nicht dazu, dass der vom Anwalt gewählte Ansatz der Höchstgebühr von 380 Euro angemessen ist. Vielmehr sei nach billigem Ermessen die Mittelgebühr um 1/3 zu erhöhen, was einem Betrag von 266,67 Euro entspricht.
Akademische Viertelstunde ist entschädigungslos hinzunehmen
Das Landessozialgericht teilte damit im Ergebnis die Rechtsauffassung des Sozialgerichts, dass die Verhandlungsdauer von 39 Minuten, die Schwierigkeit und die Bedeutung der Sache sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten, die im Rahmen von § 14 RVG als maßgebliche Kriterien bei der Bewertung der Terminsgebühr eine Rolle spielen, lediglich den Ansatz der Mittelgebühr rechtfertigten.
Allerdings sei hier auch die Dauer der Wartezeit vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung gebührenerhöhend zu berücksichtigen. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Verhandlung nicht nur geringfügig später als zu dem terminierten Zeitpunkt beginnt.
Die Geringfügigkeitsgrenze wird bei einem Zeitraum bis zu 15 Minuten Wartezeit nicht überschritten. Eine Wartezeit von dieser Dauer ist noch als üblich und entschädigungsfrei hinnehmbar anzusehen.
Anwalt kann während der Wartezeit nicht arbeiten
Hier lag jedoch eine Wartezeit von 1 ½ Stunden vor, die vom Anwalt nicht verschuldet worden war und in den Verantwortungsbereich des Gerichts fiel.
Liegt eine dem Rechtsanwalt nicht zurechenbare und maßgebliche Verzögerung des Verhandlungsbeginns vor, darf diese bei der Taxierung der Gebührenhöhe nach Ansicht des Gerichts dann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn sich eine mündliche Verhandlung, ein Erörterungs- oder ein Beweisaufnahmetermin anschließt.
Wartezeit kein Termin, aber enger Zusammenhang mit der Verhandlung
Zwar handele es sich bei der Wartezeit – auch ab der in der Ladung mitgeteilten Uhrzeit – noch nicht um einen Termin im Sinne des Gebührentatbestands. Es bestehe jedoch ein enger zeitlicher, örtlicher und verfahrenstechnischer Zusammenhang mit der Verhandlung, der es nicht opportun erscheinen lasse, die zeitliche Inanspruchnahme des Rechtsanwalts bei der Vergütung gänzlich unberücksichtigt zu lassen.
- Berücksichtigt würden bei der Ermittlung des Umfangs im Sinne von § 14 RVG grundsätzlich alle Tätigkeiten, für die der Rechtsanwalt Zeit aufwenden muss.
- Dies trifft laut Gericht ohne Weiteres auch auf das Warten auf den Beginn der Verhandlung zu, zumal sich ein Rechtsanwalt bei einer derartigen Verzögerung in der Regel auch ständig bereit zu halten hat, um einem Aufruf der Sache folgen zu können.
Keine Arbeitsmöglichkeit bei Anwesenheit des Mandanten
Dass in dieser Zeit andere berufsbezogene Tätigkeiten effizient ausgeübt werden können, dürfte die Ausnahme sein, zumal dann, wenn – wie hier – die Mandantin persönlich anwesend sei und eine umfangreiche Beweisaufnahme durch die Vernehmung von zwei medizinischen Sachverständigen und einem berufskundigen Sachverständigen bevorstehe. In dieser Situation wird sich ein Rechtsanwalt dem Gespräch mit der Mandantin kaum entziehen können, betonten die Richter, und in der Regel die Wartezeit nutzen, um den unmittelbar bevorstehenden Termin nochmals im Hinblick auf die streitentscheidenden Weichenstellungen intensiver vorzubereiten.
(Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss v. 22.11.2016, L 5 SF 91/15 B E).
Hintergrund: Überdurchschnittliche Schwierigkeit
Von einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit kann die Rede sein, wenn z. B. bei einem Verkehrsunfall Verletzungen mit Dauerfolgen/Verdienstausfall reguliert werden sollen, oder der Mandant unter Schwerhörigkeit leidet, Sprachschwierigkeiten hat oder besondere Umstände in der Persönlichkeit des Auftraggebers liegen oder der Anwalt sich mit Sachverständigengutachten medizinischer/psychologischer Art auseinandersetzen muss. Dergleichen gibt Hinweise für die Gebührenrechnung bzw. Rechtfertigung einer über 1,3 liegenden Geschäftsgebühr gegeben werden.
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