Gerichte zu Schulabschlüssen und Prüfungen unter Corona-Einschränkungen
Die Corona-Krise führte zu längerem Schulunterricht und zum Lernen auf Distanz. In manchen Fällen wandten sich Schüler bzw. deren Eltern deshalb an Gerichte, um Nachteile für die Bildungslaufbahn zu vermeiden.
Wegen schlechter Noten während der Pandemie erweiterte Sekundarabschluss verpasst
Eine Realschülerin aus dem Landkreis Peine hatte in ihrer Abschlussprüfung in Mathematik lediglich eine 3, in den anderen Fächern eine 4 erzielt, so dass ihr nur der Realabschluss und nicht der Erweiterte Sekundarabschluss zuerkannt wurde. Für diesen hätte sie jn den Pflichtfächer Deutsch, Englisch und Mathe eine Durchschnittsnote von mindestens 3 erreichen müssen. Sie kritisierte, dass sie aufgrund des Unterrichtsausfalls während der Corona-Pandemie nicht genügend auf die Abschlussprüfungen vorbereitet gewesen sei. Zudem hätten die Lehrkräfte eine pädagogische Bewertung, d.h. eine Anhebung der Noten, vornehmen müssen.
Prüfungsvorbereitungen während der Corona-Krise mangelhaft? – Rüge zu spät erhoben
Der vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig eingelegte Eilantrag blieb für die Schülerin erfolglos. Zum einen war ihre Rüge verspätet, da sie diese erst nach Erhalt des Zeugnisses erhoben hatte. Um die Chancengleichheit aller Prüflinge zu wahren, hätte sie die unzureichenden Prüfungsvorbereitungen jedoch bereits zu Beginn der Prüfungen rügen müssen.
Unabhängig davon seien aber auch bei den Prüfungsvorbereitungen keine Rechtsfehler erkennbar. Die sich aus der Pandemie ergebenden Beeinträchtigungen seien von den Schüler*Innen grundsätzlich hinzunehmen. Eine Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidungen sei nach dem Beschluss des Gerichts nur dann anzunehmen, wenn eine „angemessene, dem Gebot der Chancengleichheit entsprechende Vorbereitung auf die Prüfungen schlechterdings nicht möglich war.“ Dies sei vorliegend aber nicht der Fall gewesen.
Mehr Selbstdisziplin und Eigeninitiative bei Abschlussklasse zumutbar
Vor und nach den Schulschließungen im März und April habe Präsenzunterricht stattgefunden. Während der Schulschließung wurde an der Schule Online-Unterricht durchgeführt, wobei die Schüler*Innen umfangreich Kontakt mit den Lehrern aufnehmen konnten. Darüber hinaus könne von Schüler*Innen der Abschlussklasse ein gesteigertes Maß an Selbstdisziplin und Eigeninitiative bei der Erarbeitung des Lernstoffs erwartet werden, argumentierte die Kammer in dem Beschluss. Zudem wollte das Kultusministerium den Schüler*Innen trotz der schwierigen Umstände in der Corona-Krise einen regulären Abschluss ermöglichen und diese nicht durch „Not-Abschlüsse“ oder einer Verschiebung der Prüfungen langfristig in ihrer Bildungsbiographie und bei Bewerbungen benachteiligen. Gegen diese Entscheidung ist noch die Beschwerde beim OVG Lüneburg möglich.
Fazit: Pandemiebedingten Beeinträchtigungen müssen grundsätzlich hingenommen und durch Selbstdisziplin und Eigenverantwortung bei den Prüfungsvorbereitungen ausgeglichen werden und führen nicht dazu, dass die Noten bei Abschlussprüfungen angehoben werden dürfen (VG Braunschweig, Beschluss v. 12.10.2020, 6 B 160/20).
Abiprüfung mit individuell schwierigen Vorbereitungsbedingung
Doch auch wer sich früher meldet, weil er sich durch die Pandemie nicht in der Lage sieht , hinreichend vorbereitet zu sein, erhält vor Gericht wenig Unterstützung bzw. Verständnis. Das zeigt der Eilantrag einer mit ihrer Familie sehr beengt lebenden Schülerin auf Verschiebung ihrer Abiturprüfung wegen erschwerter häuslicher Lernbedingungen infolge der Corona-Beschränkungen wurde vom VG Berlin abgewiesen. Hauptargument: Die Corona-Zeit ist für alle Schüler schwierig!
Mit vierköpfige Familie in einer Zweieinhalbzimmerwohnung ohne eigenen PC
Eine Zweieinhalbzimmerwohnung für die coronabedingt ständig anwesende, vierköpfige Familie, keine Möglichkeit des Rückzugs aus der lauten und unruhigen häuslichen Situation in eine ruhige Bibliothek, kein eigener Computer - unter diesen ungünstigen Bedingungen muss eine Berliner Abiturientin ihre Prüfungsvorbereitungen für das Abitur absolvieren.
Eilantrag zwecks Verschiebung der Klausurtermine scheitert
Mit einem beim Berliner VG eingereichten Eilantrag wollte die Schülerin eine Verschiebung ihrer Klausurtermine erreichen. Die Abiturientin schilderte nachvollziehbar, dass ihre Eltern und ihr Bruder sich seit dem 21.3.2020 überwiegend in der Zweieinhalbzimmerwohnung aufhalten. An Ruhe und eine der Konzentration zuträgliche Lernatmosphäre sei da nicht zu denken. Eine sinnvolle Abiturvorbereitung erschien der Abiturientin unter diesen Bedingungen als unmöglich.
Beengt wohnende Schülerin rügt Verletzung der Chancengleichheit im Abitur
Die Abiturientin machte geltend,
- die mangelnden Rückzugsmöglichkeiten in eine ruhige Lernumgebung
- und nicht zuletzt das Fehlen elektronischer Hilfsmittel zur Abiturvorbereitung
sei für sie eine deutliche Erschwerung der Prüfungsvorbereitungen gegenüber anderen Schülern, denen zu Hause eine ruhige räumliche Lernumgebung geboten wird und denen sämtliche Möglichkeiten zur Nutzung elektronischer Hilfsmittel zur Verfügung stünden.
Kein Zugriff auf Abitur-Lehrmaterial in Bibliotheken
Darüber hinaus monierte die Abiturientin das Fehlen jeglicher Gelegenheiten zum Austausch mit Mitschülern sowie erhebliche Defizite bei den ihr zur Verfügung stehenden Lernmitteln. Da sie nicht ausreichend über Lehrbücher verfüge, sei sie auf den Besuch einer Bibliothek angewiesen, um sich auf die Prüfung vorzubereiten. Durch die Gesamtsituation seien ihre Chancen gegenüber anderen Mitschülern erheblich reduziert.
VG Berlin: Stress und Ängste gehören zum persönlichen Risikobereich jedes Schülers
Das VG ließ sich von den Argumenten der Schülerin nicht überzeugen. Mit ihrem Vorbringen verweise sie im Grunde auf die allgemeine „pandemiebedingte Stresssituation“, die - in möglicherweise unterschiedlichem Ausmaß - auch ihre Mitschüler treffe. Das Gericht gestand der Schülerin zwar zu, sich in einer psychischen Ausnahmesituation infolge von Stress und allgemeiner Ängste zu befinden.
Für eine Verschiebung der Klausurtermine reiche dies aber nicht aus, solange der psychisch empfundene Druck nicht den Grad einer psychischen Erkrankung erreiche. Das Vorliegen einer stressbedingten psychischen Erkrankung habe die Schülerin aber nicht behauptet. Außerhalb einer psychischen Erkrankung liegen Stress und Ängste nach dem der Entscheidung des VG im Risikobereich jedes einzelnen Schülers.
Coronakrise trifft alle
Darüber hinaus wies die Kammer darauf hin, dass auch andere Schüler vor erheblichen Herausforderungen im Zusammenhang mit Prüfungen während der Coronakrise stünden. Dabei sei die Chancengleichheit infolge unterschiedlicher familiärer Verhältnisse zwar nicht immer gewährleistet, dies gelte aber auch in normalen Zeiten. Schüler, denen ein eigenes Zimmer und umfangreiche elektronische Hilfsmittel zur Verfügung stehen, hätten auch in Zeiten, die nicht von einer Krise geprägt sind, die von der Schülerin angeführten Vorteile gegenüber Schülern, die in finanziell schwächeren Familien leben.
Kein Individualanspruch auf möglichst gute Prüfungsbedingungen
Nach Auffassung der Kammer folgt eine andere Beurteilung auch nicht aus dem Berliner Schulgesetz, wonach die Verantwortung für möglichst gleiche Chancen der Schüler im Hinblick auf anstehende Prüfungen jeweils bei der betreffenden Schule liegen. Individualansprüche von Schülern auf eine Sonderbehandlung bei Prüfungen seien aus dem Berliner Schulgesetz nicht ableitbar(VG Berlin, Beschluss v. 20.4.2020, VG 3 L 155.20).
OVG bestätigt: Nur der Gestzgeber könnte hier Abhilfe schaffen
Auch das OVG Berlin-Brandenburg wies ihre anschließende Beschwerde und die eines anderen Schülers, der ebenfalls geltend gemacht hatte, aufgrund ihrer familiären Situation nicht möglich gewesen, sich zu Hause ordnungsgemäß auf die Abiturprüfungen vorbereiten zu können, zurück (Beschluss v. 21.04.2020, OVG 3 S 30/20, OVG 3 S 31/20). Diese Benachteiligung verstoße nicht gegen das prüfungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit. Nach Auffassung des Gerichts besteht die Gefahr, dass die von den Antragstellern für sie selbst geforderte Verschiebung erst recht zu einer Ungleichbehandlung von Abiturientinnen und Abiturienten führt.
Zwar könnten unterschiedliche Lernbedingungen aufgrund sozialer oder familiärer Umstände pandemiebedingt weiter verschärft werden. Eine individuelle Vorbereitungszeit, die jeweils die konkrete Lebenssituation eines Schülers in den Blick nehme, lasse sich indes durch die Prüfungsbehörden nicht verlässlich ermitteln.
Individuelle Umstände dürften ohne gesetzliche Grundlage im Prüfungsrecht nicht berücksichtigt werden, wenn sie der Prüfungsbehörde nicht zuzurechnen seien. Nur der Gesetzgeber könne hier Abhilfe schaffen.
Hintergrund: Chancengleichheit bei Prüfungen
Das Gebot der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG soll sicherstellen, dass alle Prüflinge möglichst gleiche Chancen haben, die Leistungsanforderungen zu erfüllen. Zu diesem Zweck sollen die Bedingungen, unter denen die Prüfung abgelegt wird, für alle Prüflinge möglichst gleich sein.
Es müssen grundsätzlich einheitliche Regeln für Form und Verlauf der Prüfungen gelten; die tatsächlichen Verhältnisse während der Prüfung müssen gleichartig sein (st. Rspr. vgl. nur BVerwG, Urteil v. 14. Dezember 1990, 7 C 17.90 – BVerwGE 87, 258).
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