Zu Unrecht in Abschiebehaft in der JVA, trotzdem keine Haftentschädigung
Sechs Jahre ist es her, dass ein afghanischer Mann mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter nach Deutschland einreisten.
Dublin-II: Der erste Asylantrag zählt
Die Familie hatte kurz zuvor schon in der Slowakei Asyl beantragt, war dann aber mit dem Zug nach Deutschland weiter gefahren, um zu bleiben.
- Nach der Dublin-II-Verordnung müssen
- sich Flüchtlinge in dem Land des erstmalig gestellten Asylantrags aufhalten.
Amtsgericht Passau ordnet Abschiebehaft an
Bei der Grenzkontrolle in Passau fragte die Bundespolizei das EURODAC-System ab und erfuhr so von dem in der Slowakei gestellten Asylantrag. Nach einem entsprechenden Beschluss des Amtsgerichts Passau wurde der Mann in der Abteilung für Abschiebehäftlinge einer Münchener JVA untergebracht, Frau und Kind in einer Gemeinschaftsunterkunft in Passau.
Landgericht München hebt Haftentscheidung auf
Die Beschwerde des Mannes führte zur
- Aufhebung der Haftentscheidung.
- Das LG München stellte fest, dass die Freiheitsentziehung von Anfang an rechtswidrig war,
- weil es zum Zeitpunkt der Entscheidung keinerlei Anzeichen gab, dass sich der Mann aus Afghanistan seiner Zurückschiebung entziehen wollte.
Die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft zusammen mit Frau und Kind mit der Auflage, tagsüber ständig dort erreichbar zu sein, fand es völlig ausreichend.
Als anerkannter Flüchtling lebt der Afghane heute in Deutschland
Der Abschiebung in die Slowakei entzogen hat sich der Afghane dann aber doch. Er nutzte dazu das Kirchenasyl und betrieb ein Asylverfahren, am dessen Ende ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Das berechtigt ihn zum Aufenthalt in Deutschland.
BGH verneint Entschädigungsansprüche
Für die 27 Tage, die er zu Unrecht in Haft verbracht hat, wollte der Mann mit 100 EUR pro Tag haben. Er verklagte die Bundesrepublik Deutschland und den Freistaat Bayern.
- Das LG München sprach ihm 30 EUR pro Tag zu,
- der BGH revidierte und wies die Ansprüche komplett ab.
Die Urteilsbegründung wird teilweise heftig kritisiert. Dem BGH wird vorgeworfen, die Rechtsprechung des Europäischen Menschengerichtshofs zu missachten.
Entscheidung des LG München ausnahmsweise nicht verbindlich für Entschädigung
Der BGH verneint in diesem speziellen Fall die Bindungswirkung der Entscheidung des Landgerichts München. Dies aus dem formellen Grund,
- dass das Land Bayern in dem Vorprozess kein Beteiligter war und
- ihm dementsprechend kein rechtliches Gehör gegeben wurde.
- Die Bindungswirkung konnte sich daher nur auf die Bundespolizei, eine Behörde der Bundesrepublik beziehen.
BGH stützt Amtsgerichtsentscheidung für Haft und verwischt Grenzen
Aufgrund der fehlenden Bindungswirkung entschied der BGH selbst, ob die Freiheitsentziehung konventionswidrig war oder nicht (Art. 5 Abs. 5 EMRK). Ist sie nicht, meint er mit gewöhnungsbedürftiger Begründung:
- Es gebe nicht die eine richtige Entscheidung mit der Folge, dass alle anderen rechtswidrig seien.
- Sie beruhe jeweils auf Prognosen mit Bewertungsspielräumen, sodass
- unterschiedliche Würdigungen gleichermaßen nachvollziehbar, tragwürdig und rechtmäßig i.S.d. Art. 5 Abs. 5 EMRK sein könnten.
Die Entscheidung des Amtsgerichts, Haft zur Sicherung der Zurückschiebung anzuordnen, fanden die BGH-Richter in Ordnung. In ihr sahen sie keinen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention.
Unterbringung in einer JVA ist falsch, führt aber nicht zu einer Entschädigung
Auch dass der Afghane in einem normalen Gefängnis anstatt einer speziellen Abschiebehaftanstalt untergebracht war, führte nicht zu einer Entschädigung. Es sei damit zwar gegen das Trennungsgebot verstoßen worden. Bei Entschädigungen nach der Menschenrechtskonvention gehe es aber
- allein um die Rechtmäßigkeit der Haft,
- nicht um die Haftbedingungen.
Damit dürfte der BGH konträr zum EGMR entschieden haben, der Anfang des Jahres klargestellt hat, dass die Modalitäten der Haft sehr wohl eine Verletzung des Art. 5 Abs. 5 EMRK darstellen können (Urteil v. 31.01.2019, 18052/11)
(BGH, Urteil v. 18.04.2019, III ZR 67/18)
Kritik:
Nach Art. 5 Abs. 5 EMRK haben Betroffene einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger Freiheitsbeschränkungen durch die öffentliche Hand. Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden der handelnden Amtsträger, sondern allein auf einen objektiven Konventionsverstoß an.
Barbara Seeling auf dem Verfassungsblog zeigt sich irritiert, dass der BGH meint, einen Anspruch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention prüfen zu können, ohne die Auslegung dieser Norm durch den EGMR zu berücksichtigen. Daher kann das Ergebnis sie nicht überzeugen.
Hintergrund:
EURODAC:
Zur verbesserten Anwendung des Dubliner Übereinkommens werden für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellten Asylantrages mit dem europäischen daktyloskopischen System EURODAC (European
Dactyloscopy). Fingerabdrücke von Asylbewerbern und illegalen Einwanderern europaweit abgeglichen. Rechtsgrundlage ist die EURODAC-Verordnung, die als EG-Verordnung in allen Mitgliedstaaten unmittelbar gilt (Amtsblatt Nr. L 316 vom 15/12/2000 S.0001 - 0010).
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