Abschiebehaft ist in den meisten Fällen rechtswidrig
Dies neue BGH-Urteil hat weitreichende Folgen für Asylsuchende und für die verbreitete Praxis der Ausländerbehörden.
Zur Sicherung der Überstellung in den Einreisestaat Abschiebehaft beantragt
Der Entscheidung lag ein Fall zu Grunde, in dem ein Asylsuchender über den Drittstaat Ungarn eingereist war. Zur Sicherung der Überstellung des Asylsuchenden in den Einreisestaat Ungarn hatte die Ausländerbehörde die Anordnung der Abschiebehaft für den Asylsuchenden beantragt.
Die Haftanordnung ist antragsgemäß ergangen und auf die Beschwerde des Betroffenen vom zuständigen LG bestätigt worden. Der BGH hat die Haftanordnung nun für rechtswidrig erklärt.
Deutsche Abschiebepraxis durch EU-Recht überholt
Hintergrund der Entscheidung des BGH ist eine seit dem 1.1.2014 veränderte Rechtslage infolge einer Änderung des EU Rechtes. Bis zu diesem Zeitpunkt galt die so genannte Dublin II VO. Diese EU-Verordnung enthielt keine gemeinschaftlichen Vorschriften über die Zulässigkeit der Inhaftierung eines Asylsuchenden zur Sicherung seiner Überstellung. In der Praxis der Bundesrepublik Deutschland wurde die Abschiebehaft in der Regel nach den Vorschriften zur Durchsetzung einer aufgrund unerlaubter Einreise des Ausländers vollziehbaren Ausreisepflicht nach §§ 57 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3, 62 Abs. 3 AufenthG angeordnet. Diese Praxis hatte der BGH bisher für zulässig erachtet (BGH, Beschluss v. 4.7.2013, V ZB 75/12)
Haftgründe zu schwammig
Seit dem 1.1.2014 gilt die so genannte Dublin III VO (EU-VO Nr. 604/2013). Die grundlegende Rechtsänderung besteht darin, dass die Verordnung selbst die Voraussetzungen für die Inhaftnahme zum Zwecke Überstellung regelt. Die wesentlichen Merkmale des neuen Haftrechts sind:
- Gemäß Art. 28 Abs. 1 Dublin III Verordnung wird die Inhaftierung alleine aufgrund der Einleitung eines Verfahrens zur Aufnahme/Wiederaufnahme des Ausländers durch einen anderen Mitgliedstaat (Rücküberstellung) ausgeschlossen.
- Gemäß Art. 28 Abs. 2 ist die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung nur noch zulässig wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht
- und die Haftanordnung verhältnismäßig ist
und weniger einschneidende Maßnahme nicht wirksam werden können.
Anforderungen der Dublin III Verordnung
Im vorliegenden Fall hatten die Vordergerichte die Auffassung vertreten, dass die Anordnung einer Haft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG den Anforderungen der Dublin III Verordnung entspricht.
Danach reichte es für die Anordnung der Abschiebehaft aus, dass der begründete Verdacht bestand, dass der Ausländer sich der Rückführung entziehen will. Nach der Rechtsauslegung des BGH genügt die so umrissene Fluchtgefahr nicht der Definition der Dublin III VO, wonach die Fluchtgründe konkret belegt sein müssen.
Generalklausel im AufenthG reicht nicht
In § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG ldie Fluchtgefahr aber lediglich generalklauselartig formuliert. Exakte Gründe für die Annahme eine Entziehungswillens des Ausländers seien aus dem Gesetzestext nicht ersichtlich. Ausdrücklich wies das Gericht allerdings darauf hin, dass die Haftgründe in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4 AufenthG (Wechsel des Aufenthaltsort ohne Angabe einer neuen Anschrift, vom Ausländer zu vertretendes Nichtantreffen an dem von der Behörde angegebenen Ort) mit der Dublin III VO vereinbar sind.
BMI weist auf Neuregelung hin
Die Sprecherin der Bundestagsfraktion „Die Linke“, Ulla Jelpke, weißt darauf hin, dass seit dem 1.1.2014 wahrscheinlich Tausende Flüchtlinge zu Unrecht eingesperrt worden seien. Sie plädiert dafür, die Praxis der Abschiebehaft in Deutschland zunächst ganz auszusetzen.
Einreise durch Drittländer ist der Regelfall
In den der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle gehe es bei der Abschiebehaft um die Rücküberstellung in das Durchreiseland, da eine direkte Einreise von Asylbewerbern in Deutschland in der Praxis nur per Flugzeug möglich und daher selten sei.
Das Bundesinnenministerium hat bereits reagiert und weist darauf hin, dass das Gesetz zur Neuregelung des Bleiberechts bereits eine Neudefinition der Fluchtgefahr im Sinne der Dublin III VO vorsehe.
(BGH, Beschluss v. 26.6.2014, 7 XIV 2/14).
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