Flüchtlingsanerkennung trotz Rechtskraft nach 10 Jahren kassiert
Eine Mutter und ihre beiden Söhne stellten im Jahre 1998 unter falschem Namen Asylanträge in Deutschland. Zur Begründung behaupteten sie, sie seien syrisch-orthodoxe Christen aus der Türkei und dort verfolgt worden. Nachdem das Bundesamt die Asylanträge abgelehnt hatte, verpflichtete das Verwaltungsgericht durch rechtskräftiges Urteil die Behörde zur Anerkennung der Kläger als Flüchtlinge.
Nie in der Türkei gelebt
Zehn Jahre später erfuhr die Behörde, dass es sich bei den Klägern tatsächlich um armenische Staatsangehörige handelte, die nie in der Türkei gelebt und die auch in Armenien selbst kein Verfolgungsschicksal erlitten hatten. Nachdem diese Kenntnis gesichert war, hob das Bundesamt die Anerkennung als Flüchtlinge nachträglich wieder auf.
OVG betont die Rechtskraft der Verwaltungsgerichtsentscheidung
Nachdem das Verwaltungsgericht die gegen die Entscheidung des Bundesamtes gerichteten Klagen der Betroffenen abgewiesen hatte, hob das OVG die Aufhebungsentscheidung des Bundesamtes wieder auf.
Zur Begründung wies das OVG auf die rechtskräftige Entscheidung des VG hin, wonach die Behörde den Flüchtlingsstatus der Kläger habe anerkennen müssen. Auch wenn dieses Urteil möglicherweise auf falschen Angaben der Kläger beruhte, so sei durch diesen Umstand die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht aufgehoben. Dies könne nur im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens unter den hierfür geltenden engen Voraussetzungen erfolgen.
Täuschung über Verfolgungsschicksal wiegt schwer
Das Bundesverwaltungsgericht widersprach dem OVG und betonte, dass die Flüchtlingsanerkennung zwar auf dem rechtskräftigen Urteil des VG beruhe, die Anerkennung sei aber nicht durch das Gericht selbst ausgesprochen worden. Gemäß § 73 Abs. 2 AsylVfG bestehe für die Behörde die Möglichkeit, eine bestandskräftige Anerkennung als Flüchtling dann zurückzunehmen, wenn die Anerkennung auf bewusst unrichtige Angaben des Betroffenen zurück zu führen sei. Eine solche Täuschung über den Verfolgungsstatus durch den Antragsteller werde vom Gesetz als schwerwiegend bewertet und führe zur Durchbrechung der Bestandskraft hierauf beruhender Verwaltungsakte. Diese Rechtsfolge finde auch ihre Parallele im Flüchtlingsrecht der EU, das im Falle bewusster Täuschung ebenfalls die Aufhebung bestandskräftige Entscheidungen vorsehe.
Urteilsmissbrauch durchbricht die Rechtskraft
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgericht ist dieser Rechtsgedanke auch auf die Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils anwendbar. Sei ein Urteil deshalb sachlich unrichtig, weil der Betroffene durch bewusste Täuschung die unrichtige Entscheidung herbeigeführt habe und missbrauche er das Urteil auf diese Weise zur Erreichung seiner Zwecke, so stelle sich die Verwendung des Urteils als unzulässige Rechtsausübung und Urteilsmissbrauch in analoger Anwendung des Rechtsgedankens von § 826 BGB dar. Die Durchbrechung der Rechtskraft im Verwaltungsprozessrecht sei für solche Fälle anerkannt.
Verfolgungsschicksal vorgetäuscht
Die sittenwidrige Ausnutzung eines durch Täuschung erschlichenen Urteils werde vom Rechtsstaat nicht gefördert. Wer über den Kern seines Verfolgungsschicksals sowie über seine Identität gezielt täusche, der könne nicht auf den Schutz der Rechtsordnung hoffen. Das BVerwG hielt daher die Rücknahme der Anerkennung als Flüchtlinge für rechtmäßig und bestätigte die Rücknahmeentscheidungen.
(BVerwG, Urteil v. 19.11.2013, 10 C 27.12)
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