BGH stellt klar: Cum-Ex-Geschäfte sind kriminell

In einem Grundsatzurteil bewertet der BGH die Cum-Ex-Deals als vorsätzliche Steuerhinterziehung und damit als illegal. Nicht nur die Täter persönlich, auch die beteiligten Banken kann der Staat nun in die Haftung nehmen.

Mit einem richtungsweisenden Urteil hat der BGH den Weg für eine Vielzahl von Anklagen und Verurteilungen in den von Staatsanwaltschaften bundesweit beabsichtigten und teilweise schon eingeleiteten Ermittlungs- und Strafverfahren geöffnet. Der BGH hat mit seiner Entscheidung Rechtssicherheit für die strafrechtliche Bewertung der Cum-Ex-Deals für Staatsanwaltschaften und Gerichte geschaffen.

Die Angeklagten trugen entscheidend zur Aufklärung der Cum-Ex-Geschäfte bei

Der jetzt vom BGH entschiedene Fall betrifft zwei britische Aktienhändler, die vom LG Bonn in dem ersten gerichtlich entschiedenen Cum-Ex-Verfahren mit eher milden Bewährungsstrafen belegt worden waren. Das LG Bonn hatte die von den Angeklagten organisierten Cum-Ex-Deals zwar eindeutig als strafbare Steuerhinterziehung bewertet, den beiden britischen Angeklagten jedoch deren entschiedene Bereitschaft zugute gehalten, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Die Mitwirkung der Angeklagten hatte entscheidend dazu beigetragen, eine ganze Reihe weiterer Cum-Ex-Geschäfte aufzuklären sowie die Namen der Akteure und der beteiligten Banken aufzudecken.

BGH: Es gab keine Gesetzeslücke

Die Argumentation der Angeklagten und deren Verteidiger stellte das Verhalten der Angeklagten bisher stets als listiges Ausnutzen einer Gesetzeslücke dar, das in seinem Kern nicht strafbar gewesen sei. Hierzu stellte der Vorsitzende Richter des ersten Strafsenats des BGH klar:

Es handelt sich bei den praktizierten Geschäften weder um legale Gestaltungsmodelle noch um das bloße Ausnutzen einer Gesetzeslücke, weil die gesetzliche Regelung eindeutig war. Eine Lücke gab es hier nicht.

Cum-Ex ist ein direkter Griff in die Steuerkasse

Nach der Entscheidung des BGH haben sich die Akteure der Cum-Ex-Deals durch Steuerhinterziehung auf Kosten der Allgemeinheit bereichert. Gegenstand der Deals sei ein ganz ordinärer Steuerbetrug gewesen, ein unmittelbarer „Griff in die Kasse, in die alle Steuerzahler normalerweise einzahlen“.

Vielzahl von Cum-Ex-Leerverkäufen zur Verwirrung des Fiskus

Nach den Feststellungen des LG Bonn hatten die Angeklagten in den Jahren 2007-2011 die deutschen Finanzbehörden durch wahrheitswidrige Erklärungen zur Erstattung angeblich gezahlter Kapitalertragsteuer in Millionenhöhe veranlasst, obwohl diese Kapitalertragssteuerbeträge tatsächlich nicht gezahlt worden waren. Hierfür habe einer der Angeklagten eine Vielzahl von Cum-Ex-Leerverkäufen unter Beteiligung der Hamburger Privatbank „M.M. Warburg“ geplant und organisiert. Hierbei habe die Bank jeweils kurz vor den Hauptversammlungsterminen Aktien mit Dividendenanspruch (Cum-Aktien) von Leerverkäufern (Verkäufer, die noch nicht im Besitz der Aktien sind) erworben. Tatsächlich hätten die Leerverkäufer – wie geplant - Aktien ohne Dividendenanspruch (Ex-Aktien) geliefert und zur Kompensation für die nicht gelieferten Cum-Aktien eine Ausgleichszahlung erbracht.

Den Fiskus zur Erstattung nicht gezahlter Kapitalertragsteuer veranlasst

Für die erbrachten Ausgleichszahlungen war seit dem Jahr 2007 Kapitalertragsteuer zu entrichten, die aber tatsächlich von keinem der am Geschäft Beteiligten einbehalten wurde. Dennoch hatte das Bankhaus sich selbst Steuerbescheinigungen ausgestellt, die die Steuereinbehalte bestätigten. Unter Vorlage dieser Bescheinigungen hatten die Finanzbehörden der Bank und weiteren Beteiligten insgesamt mehr als 166 Millionen Euro „erstattet“. Einer der Angeklagten war nach den Feststellungen des LG an weiteren Deals beteiligt. In einem dieser Fälle habe die Finanzverwaltung nach Vorlage in ähnlicher Weise ausgestellter Cum-Ex Steuerbescheinigungen über angeblich gezahlte Kapitalertragsteuer an einen Fonds mehr als 226 Millionen Euro „erstattet“.

Revisionen vom BGH verworfen

Gegen die Verurteilung der Angeklagten zu Bewährungsstrafen hatten sowohl die Angeklagten selbst als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Sämtliche Revisionen hat der BGH nun verworfen.

Gesetzliche Regelung laut BGH eindeutig

Nach der Entscheidung des BGH hatten die Angeklagten um den jeweiligen Dividendenstichtag bewusst arbeitsteilig auf die Auszahlung nicht abgeführter Kapitalertragssteuer durch den Fiskus hingewirkt. Die gesetzliche Regelung hierzu sei zum Zeitpunkt der Begehung der Taten entgegen der Darstellung der Angeklagten eindeutig gewesen. Hierzu habe das LG rechtsfehlerfrei festgestellt, dass aufgrund der gesetzlichen Regelung nur tatsächlich einbehaltene Kapitalertragsteuer zur Anrechnung und Auszahlung bei den Finanzbehörden angemeldet werden darf.

Leerverkaufsabreden begründen kein wirtschaftliches Eigentum

Der von den Angeklagten vorgebrachte „Argumentationstrick“, bereits durch die Leerverkaufsabreden sei wirtschaftliches Eigentum im Sinne des Steuerrechts begründet worden, somit habe es mehrere wirtschaftliche Eigentümer gegeben, die einen rechtlichen Anspruch auf Erstattung der Kapitalertragsteuer gegen die Finanzbehörden gehabt hätten, ist nach der Entscheidung des BGH unsinnig. Eine bloße Abrede mit einem Leerverkäufer kann nach der Entscheidung des BGH grundsätzlich kein wirtschaftliches Eigentum des Käufers begründen. Im Ergebnis bewertete das BGH die Geschäfte als vorsätzliche Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.

BGH bestätigt auch Einziehungsentscheidung des LG

Von großer Bedeutung ist das Urteil des BGH auch für sämtliche an Cum-Ex-Geschäften beteiligte Banken. Insoweit hat der BGH klargestellt, dass die vom LG Bonn gemäß §§ 73, 73b StGB angeordnete Einziehung der Taterträge gegenüber der M.M. Warburg-Bank in Höhe von ca. 176 Millionen Euro zu Recht erfolgt ist. Gemäß §§ 73e Abs. 1 Satz 2 StGB sei die Einziehung auch nicht wegen Verjährung ausgeschlossen.

Straftaten waren nicht verjährt

Zu Recht sei das LG auch davon ausgegangen, dass die zehnjährige Verjährungsfrist für die Strafverfolgung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB frühestens im Jahr 2009 begonnen habe, da keine Tat zu einem früheren Zeitpunkt beendet gewesen sei. Bereits in den Jahren 2015/2016 seien verjährungsunterbrechende Maßnahmen gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 StGB eingeleitet worden. Damit bestätigte der BGH das erstinstanzliche Urteil des LG Bonn in vollem Umfang.

(BGH, Urteil v. 28.7.2021, 1 StR 519/20)

Hintergrund

Wegen der Cum-Ex-Geschäfte ermitteln Staatsanwaltschaften bundesweit gegen ca. 200 beteiligte Banker und Börsenakteure. Allein bei der Deutschen Bank sind ca. 70 ehemalige Beschäftigte von möglichen Ermittlungen betroffen, darunter die ehemaligen Deutsche Bank Chefs Josef Ackermann und Anshu Jain. Finanzexperten schätzen den Gesamtschaden, der dem Fiskus und damit der Allgemeinheit durch die Cum-Ex-Deals entstanden ist auf ca. 10 Milliarden Euro.

Cum-Ex-Geschäfte in unterschiedlichen Varianten

Die Deals sind mit Varianten sämtlich in ähnlicher Weise abgelaufen. In einigen Fällen wurden die Leerverkäufe in zeitlich kurzen Abständen rund um den Dividendenstichtag mehrfach wiederholt und auch Aktien zwischen verschiedenen Akteuren (Banken, Investoren, Investmentfonds) mehrfach hin und her geschoben. Auch eine sogenannte Cum/Cum-Variante ist später noch hinzugetreten.

Späte Reaktion der Politik

Obwohl diese Art der Geschäfte in der Politik frühzeitig bekannt geworden ist, wurden die Geschäfte erst im Jahr 2012 endgültig gestoppt. Nur in einigen Fällen wurden - auch aufgrund der bisher bestehenden Rechtsunsicherheit - bisher gerichtliche Strafverfahren eröffnet. Am weitesten hat sich das LG Bonn hervorgewagt. Im Juni hat das LG einen ehemaligen Banker wegen der Cum-Ex-Geschäfte zu einer Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt (LG Bonn, Urteil v. 1.6.2021, 62 KLs 1/20).

Die Strafen könnten in Zukunft härter ausfallen

Auch gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision beim BGH eingelegt. Nach der jetzigen Entscheidung dürften sich seine Chancen nicht verbessert haben. Auch auf eine Strafmilderung wegen Förderung der Aufklärung durch eine hohe Aussagebereitschaft dürften künftige Angeklagte nicht mehr in dem Maße hoffen können, wie dies noch für die Angeklagten in dem jetzt vom BGH entschiedenen ersten Cum-Ex-Verfahren gegolten hat, denn inzwischen liegt die Vorgehensweise der Beteiligten weitgehend offen.