BVerfG billigt den Deal im Strafprozess

Seit ca. 3 Jahren ist die strafprozessuale Absprache im Gesetz geregelt. Die schon zuvor gängige Praxis, den Ausgang eines Strafverfahrens durch Absprache zwischen Angeklagten, Verteidiger, Staatsanwalt und Gericht zu „regeln“, wurde damit an klare gesetzliche Voraussetzungen geknüpft. Nur: die Praxis sieht anders aus.

Wie eine Untersuchung ergab, werden die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Deal in der Praxis häufiger umgangen als eingehalten. Dies zeigt sich besonders evident an einer der drei vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfassungsbeschwerden:

Viel Wildwuchs?

Zwei Berliner Polizeibeamte waren angeklagt, im Rahmen ihrer Ermittlungen einem Schwarzhändler Zigaretten abgenommen zu haben, um diese für sich zu behalten. Verhandelt wurde vor dem LG Berlin. In der Verhandlungspause soll der Vorsitzende Richter den Polizeibeamten auf den Gerichtsflur erklärt haben, sie hätten mit einer Verurteilung zu vier Jahren Haft wegen schweren Raubes zu rechnen. Immerhin hätten sie bei der Tat ihre Dienstwaffe bei sich geführt. Bei einem sofortigem Geständnis könne er eine zweijährige Haftstrafe in Aussicht stellen, die zur Bewährung ausgesetzt würde.

Nach 10 Minuten gestanden

Nach 10 Minuten gestanden beide Beamten und erhielten die avisierte 2-jährige Bewährungsstrafe – und verloren ihren Job. Später distanzierten sie sich von ihren Geständnissen. Der 34 -jährige Ex-Polizist Jens Rohde erklärte, das Geständnis nur unter dem Augenblicksdruck der erheblichen Sanktionsschere abgegeben zu haben. Er habe eine Tat gestanden, die nie begangen habe. Auch in den anderen Verfahren ging es um Geständnisse, die ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt nur im Hinblick auf den in Aussicht gestellten Deal abgegeben wurden.

Der Schuldgrundsatz hat Verfassungsrang

Das Verfassungsgericht machte deutlich, dass der im Strafrecht herrschende Schuldgrundsatz auf der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen nach Art. 1 Abs. 1 GG beruhe und im Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG verankert sei. Im Mittelpunkt des Strafprozesses stehe immer die Ermittlung eines wahren Sachverhalts, diese könne nicht durch eine Absprache der Beteiligten ersetzt werden.

  • Die strafprozessuale Unschuldsvermutung sowie die im Rechtsstaatsprinzip verankerte Selbstbelastungsfreiheit dürften durch einen strafprozessualen Deal nicht in Frage gestellt werden.

  • Die Verständigung allein könne daher niemals Grundlage eines Urteils sein, vielmehr sei ein verständigungsbasiertes Geständnis zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen.

Sowohl das Tatgeschehen selbst als auch dessen rechtliche Würdigung seien der Disposition der Verfahrensbeteiligten entzogen. Dies gelte auch für eine gesetzliche Strafrahmenverschiebung, z. B.l bei besonders schweren oder minder schweren Fällen.

Gesetzliche Regelung

Die vom Verfassungsgericht gestellten Anforderungen sah das Verfassungsgericht in der rechtlichen Regelung des Paragraph 257 c StPO als grundsätzlich gewahrt an. Diese Vorschrift sieht die Zulässigkeit der strafprozessualen Verständigung vor hinsichtlich

  • zu erwartendender Rechtsfolgen,
  • verfahrensbezogener Maßnahmen und
  • des Prozessverhaltens der Verfahrensbeteiligten.

Verfahrenstechnisch knüpft das Gesetz den Deal an folgende Voraussetzungen:

  • Die Verständigung mündet in einen Vorschlag des Gerichts, der Höchst- und Untergrenzen der Strafe vorsehen kann.
  • Das Gericht hat den Betroffenen über die Voraussetzungen zu belehren, unter denen das Gericht von dem in Aussicht gestellten Ergebnis abweichen kann und muss.
  • Die Verständigung kommt zustande, wenn die Beteiligten dem Vorschlag zustimmen.
  • Die Verständigung selbst ist im Verhandlungsprotokoll festzuhalten.

Informelle Absprachen sind immer unzulässig

Die Richter betonten, dass bei Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere bei Erstellung einer vollständigen Dokumentation über das Entstehen und den Vorgang der verfahrensrechtlichen Absprache die nach dem Grundgesetz erforderliche Transparenz des gerichtlichen Verfahrens gewahrt würde.

Insoweit komme besonders der Staatsanwaltschaft eine herausragende Aufgabe, nämlich die Überwachung und Überprüfung der Einhaltung der rechtlichen Vorschriften zu. Die Staatsanwaltschaft sei verpflichtet, im Fall der Nichtbeachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben gegen eine gerichtliche Entscheidung Rechtsmittel einzulegen. So genannte informelle Absprachen, die nicht protokollarisch erfasst würden, seien immer unzulässig, da sie das Transparenzgebot verletzten.

Erhebliche Defizite im Vollzug 

Heftig kritisierte das Gericht die seitens der Sachverständigen aufgedeckten Mängel im Vollzug der rechtlichen Regelungen. Der Düsseldorfer Strafrechtsprofessor Karsten Altenhain hatte 334 Richter, Staatsanwälte und Verteidiger befragt. Hiernach finden 60% der Absprachen zwischen den Beteiligten auf „informellem“ Wege statt, sprich außerhalb der Gerichtsverhandlungen, außerhalb jeglichen Protokolls, nicht selten telefonisch. Häufig wird auch ein Rechtsmittelverzicht vereinbart, obwohl dieser nach dem Gesetz nicht zulässig ist.

Dennoch sah das Gericht diese Vollzugsmängel nicht als Folge struktureller Mängel des gesetzlichen Regelungskonzepts an. Die Gründe für die Nichtbeachtung der gesetzlichen Voraussetzungen seien vielschichtig. Deshalb müsse der Gesetzgeber die Entwicklung sorgfältig im Auge behalten. Für den Fall, dass die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblicher Weise von den gesetzlichen Regelungen abweiche, müsse der Gesetzgeber Fehlentwicklungen durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken.

Verstöße führen regelmäßig zur Anfechtbarkeit der Entscheidungen

Ausdrücklich wiesen die Richter darauf hin, dass beispielsweise ein Verstoß gegen die gesetzliche Belehrungspflicht zur Rechtsfehlerhaftigkeit eines hierauf basierenden Urteils führe. Grundsätzlich sei in solchen Fällen anzunehmen, dass das Urteil auf einer solchen Grundrechtsverletzung beruhe, sei denn, die Ursächlichkeit des Verstoßes gegen die Belehrungspflicht für das Geständnis könne ausgeschlossen werden. Auf dieser Grundlage stellte das Verfassungsgericht fest, dass in zwei der anhängigen Verfahren die angegriffenen Entscheidungen auf einem Verstoß gegen die gesetzliche Selbstbelastungsfreiheit beruhten.

In dem Verfahren der Berliner Polizisten beruhte die angegriffene landgerichtliche Entscheidung nach Auffassung der Verfassungsrichter auf tatrichterlich ungeprüften Formalgeständnissen. Auch hier sei gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstoßen worden. Sämtliche Verfahren müssen daher von den Vorinstanzen neu verhandelt und entschieden werden.

(BverfG, Urteil v 19.3.2013, 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10 u. 2 BvR 2155/11). 


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