Klagen gegen Betriebsuntersagung und Kontaktverbote in Corona-Verordnungen scheitern
Der zur Bekämpfung der Corona-Pandemie bundesweit eingeleitete Shutdown des gesellschaftlichen, geschäftlichen und öffentlichen Lebens wird von den Gerichten grundsätzlich als rechtlich zulässig gewertet. Dies scheint sich nach ersten Urteilen der Verwaltungsgerichte und auch der höherrangigen Gerichtsbarkeit abzuzeichnen.
Verfassungsbeschwerde gegen Corona-Kontaktverbot
Der VerfGH des Landes Nordrhein-Westfalen hat zwei Verfassungsbeschwerden von Bürgern gegen die Coronaschutzverordnung des Landes NRW zurückgewiesen. Die beiden Beschwerdeführer hatten sich insbesondere gegen die §§ 11 und 12 CorSchVO-NRW gewandt, die Versammlungen, Zusammenkünfte, Ansammlungen und den Aufenthalt im öffentlichen Raum stark einschränken und lediglich Kontakte von maximal zwei Personen zulassen.
Normenkontrollverfahren gegen CorSchVO wäre richtiges Verfahren gewesen
Der VerfGH hat die Verfassungsbeschwerden in erster Linie mit einem formalen Argument zurückgewiesen. Nach der Entscheidung des VerfGH hätte die CorSchVO-NRW zunächst im Wege des Normenkontrollverfahrens dem OVG zur Prüfung vorgelegt werden müssen. In diesem Verfahren werde den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern ein zeitnaher und effektiver Rechtsschutz gewährt.
Die Verfassungsbeschwerde vor dem VerfGH sei erst zulässig, wenn der fachgerichtliche Rechtsweg erschöpft sei. Dieser Grundsatz erfahre zwar Ausnahmen, wenn wegen der allgemeinen oder rechtlichen Bedeutung der Angelegenheit eine sofortige Entscheidung durch den VerfGH angezeigt sei. Diese Ausnahme sei aber nicht gegeben, weil keinerlei Gesichtspunkte ersichtlich seien, aus denen heraus eine primäre Klärung der tatsächlichen und rechtlichen Aspekte durch das OVG nicht sachgerecht oder weniger effektiv sei (VerfGH-NRW, Beschlüsse v. 6.4.2020, 32/20.VB-1 und 33/20.VB-2)
OVG hält Coronaschutzverordnung-NRW für rechtmäßig
Begründete Hoffnungen, in einem Normenkontrollverfahren vor dem OVG ein günstigeres Ergebnis zu erzielen, können sich die beiden Beschwerdeführer aber kaum machen. Aktuell hat das OVG-NRW den Antrag einer GmbH aus Dortmund gegen die CorSchVO-NRW zurückgewiesen. Die GmbH, die ein Ladengeschäft zum Verkauf von Haushaltswaren und Geschenkartikeln betreibt, wollte im Wege der einstweiligen Anordnung erreichen, dass die in der CorSchVO enthaltene Schließungsanordnung für Einzelhandelsgeschäfte für rechtswidrig erklärt wird.
Einzelhandelsunternehmen rügt Grundrechtsverstöße durch CorSchVO
Die Schließungsanordnung beinhaltet nach Auffassung der Beschwerdeführerin einen unzulässigen Eingriff in die gemäß Art. 12 GG geschützte freie Berufsausübung, in den gemäß Art. 14 GG geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und sei im Hinblick auf den angestrebten Schutz der Öffentlichkeit vor Ansteckungsgefahren weder geeignet noch verhältnismäßig. In einem Ladengeschäft mit Haushaltswaren und Geschenkartikeln sei das Abstandsgebot zwischen Personen ebenso gut einzuhalten wie in jedem Lebensmittelgeschäft, das noch geöffnet haben dürfe.
IfSG keine hinreichende Ermächtigung für landesrechtliche CorSchVO ?
Die Antragstellerin rügte darüber hinaus, dass die Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG, wonach staatliche Stellen zur Abwehr drohender Seuchen oder Infektionskrankheiten generell die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen dürfen, um die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung zu beseitigen, zu allgemein gehalten sei und die landesrechtliche CorSchVO darauf nicht gestützt werden könne.
Ermächtigungsgrundlage des IfSG deckt laut OVG Einschränkungen ab
Dies sah das OVG anders und wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Der Antrag sei schon deshalb abzuweisen, weil die angegriffene Regelung der CorSchVO mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig sei und daher auch in einem Hauptverfahren Bestand haben werde.
§ 28 IfSG sei für eine solche Verordnung eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Der Gesetzgeber habe die Vorschrift aus sachlichen Gründen nicht enger fassen können, weil die Ermächtigung nicht vorhersehbare Bedrohungen der menschlichen Gesundheit erfassen daher allgemein formuliert sein müsse.
Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens ist überragendes Gemeinschaftsgut
Die massiven, durch die CorSchVO-NRW ausgesprochenen Beschränkungen sind nach der Bewertung des OVG auch erforderlich. Nach der derzeitigen Risikoeinschätzung des RKI drohe
- angesichts des hochdynamischen, expotentiell verlaufenden Infektionsgeschehens
- mit teils schweren Krankheitsverläufen
- in absehbarer Zeit eine gravierende Überlastung des Gesundheitswesens,
- wenn keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen würden.
Der mit der CorSchVO-NRW bezweckte Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwerer und schwerstkranker Menschen stelle ein überragendes Gemeinwohlinteresse dar.
Reduzierung menschlicher Kontakte ist zur Gefahrenabwehr geeignet und erforderlich
Vor diesem Hintergrund sei eine weitgehende Reduzierung persönlicher menschlicher Kontakte erforderlich, um eine Ausbreitung des Coronavirus im Wege der Tröpfcheninfektion zu verlangsamen. Das schließe die Vermeidung nicht notwendiger menschlicher Kontakte ein. Die vom Verordnungsgeber vorgesehene Ausnahme, die Kundenkontakte zur Deckung des Grundbedarfs (Lebensmittelgeschäfte) erlaube, sei durch das den Zweck der Aufrechterhaltung der Grundversorgung gerechtfertigt.
Geschäftliche und finanzielle Beschränkungen zumutbar
Angesichts dieser Gefahren müsse ein Einzelhandelsbetrieb die mit der Betriebsuntersagung einhergehenden geschäftlichen und finanziellen Belastung hinnehmen, zumal der Gesetzgeber diese nicht unangemessen gestaltet habe. So habe der Verordnungsgeber die Einschränkungen für Einzelhändler beispielsweise
- durch die Erlaubnis der Versendung von Waren sowie
- durch umfangreiche finanzielle Hilfen abgemildert.
Der Verordnungsgeber habe die Eingriffsintensität auch dadurch entschärft, dass die Verordnung bereits am 19.4.2020 wieder außer Kraft trete.
Das OVG erlaubte sich insoweit allerdings den Hinweis an den Verordnungsgeber, dass diesen eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht treffe, ob die getroffenen Maßnahmen noch notwendig sind und/oder sie gegebenenfalls verkürzt oder verlängert werden müssen. Der Beschluss des OVG ist nicht anfechtbar.
(OVG Münster, Beschluss v. 6.4.2020, 13 B 398/20.NE)
Anmerkung: Verwaltungsgerichte entscheiden weitgehend einheitlich
Der Beschluss reiht sich ein in eine Reihe ähnlicher Entscheidungen der unteren Verwaltungsgerichte. So hat das VG Aachen in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschieden, dass das die CorSchVO-NRW mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist und eine Schließung einer Lottoannahmestelle sowie eines Pralinenfachgeschäfts für rechtmäßig erklärt (VG Aachen, Beschluss v. 21.3.2020, 7 L 230/20 und VG Aachen, Beschluss v. 23.3.2020, 7 L 233/20). Das VG Minden hatte mit ähnlicher Begründung die Schließung eines Hundesalons sowie die Schließung eines Eiscafés zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus für rechtmäßig erklärt (VG Minden, Beschluss v. 30.3.2020 7 L246/20 und Beschluss v. 31.3.2020,7 L 257/20).
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