Versetzen Sie sich in folgende - für keinen Bürger unrealistische - Situation: Sie erwachen in aller Frühe, weil eine Schar von Polizisten Sturm klingelt und mit einem Durchsuchungsbeschluss in der Hand Ihre Wohnung in Besitz nimmt und in ihrer Unterwäsche und Ihren privatesten Ecken wühlt. Während Sie versuchen, zu verstehen, was mit Ihnen passiert, präsentiert man Ihnen einen weiteren Zettel, der mit seiner rosa Farbe nicht so Recht zu Ihrer schwarzen Stimmung passt. Bei dem rosa Zettel handelt es sich um einen Haftbefehl.
Plötzlich sitzen Sie im Polizeiwagen
Sie haben gerade noch Zeit, Hose und Hemd anzuziehen, dann sitzen Sie im Polizeiwagen, man hat Ihnen Handschellen angelegt und die Nachbarn vor der Haustür müssen auf einmal alle zur selben Zeit zur Arbeit. Vielleicht ahnen Sie, worum es geht, vielleicht fühlen Sie sich auch eher wie in einer Erzählung von Kafka. Sie haben kurz daran gedacht, nach einem Anwalt zu fragen, aber Ihr Girokonto ist im Minus. Nach einem Tag und einer Nacht in einer Zelle werden Sie dem Haftrichter vorgeführt, der Ihnen erklärt, dass es eine Ihnen nicht bekannte dicke Akte gebe, die er gelesen hat. "Es sieht nicht gut aus für Sie!" Ihr Puls steigt. Der Richter sitzt über Ihnen und sie stehen in der Mitte eines Raums ohne Fenster. Sie würden sich gerne irgendwo festhalten, aber die freundlichen Beamten des Justizvollzugsdienstes sehen nicht so aus, als wollten sie Sie stützen. Sie haben niemanden, mit dem sie sprechen können. Der Richter redet mit Ihnen, aber so richtig verstehen Sie nicht, was er Ihnen erzählt.
Plötzlich jedoch hören Sie, dass Sie das Recht auf einen Verteidiger haben, der Ihnen vom Staat gestellt wird. Doch als der Richter Sie fragt, ob Sie einen Verteidiger benennen möchten, wird Ihnen klar, dass Sie Verteidiger eigentlich nur aus dem Fernsehen kennen. Sie blicken zu Boden und stammeln: "Ich kenne niemand". Der Richter sagt: "Dann bestelle ich Ihnen jemand. Wir sehen uns dann wieder, wenn wir jemand haben. Bis dahin bleiben Sie hier!" Die Wärter führen Sie ab. Ihre Zelle besteht aus einem Bett, einem Kopfkissen, einer Decke, einer Toilette, einem Waschbecken. Es gibt nicht einmal einen Fernseher. Ein Wärter hat Ihnen gesagt, dass Ihr Anwalt Sie irgendwann besuchen kommen wird. Von nun an warten Sie auf Ihren Anwalt.
Der Anwalt Ihrer Wahl
Welchen Anwalt hätten Sie jetzt gerne? Einen Anwalt, der Ihnen von einer neutralen Stelle zugewiesen wurde, weil er sich mit den Fragen auskennt, die in Ihrem Fall eine Rolle spielen, einen Anwalt, der, mit anderen Worten, ausschließlich in Ihrem Interesse agiert?
Oder hätten Sie lieber einen Anwalt, der davon lebt, dass ihm der für Sie zuständige Richter regelmäßig Pflichtverteidigungsmandate verschafft, der sich also aus eigenen wirtschaftlichen Interessen Ihrem Richter verpflichtet fühlen könnte? Wenn Sie auch der Auffassung sind, das Richter und Anwälte ebenso anfällig für menschliche Schwächen sind wie andere Menschen auch, dürften Sie sich für die erste Variante entschieden haben. Sie werden dann überlegt haben, dass das wirtschaftliche Interesse Ihres Anwalts durch ein dem Richter missliebiges Verhalten des Anwalts gefährdet sein könnte, dass aber manchmal eine Verteidigung im Interesse des Beschuldigten voraussetzt, unbequem zu sein.
Der böse Schein
Dieser Zustand ist unhaltbar. In einem rechtsstaatlichen System des 21. Jahrhunderts kann es nicht sein, dass sich Richter ihnen genehme Verfahrensbeteiligte aussuchen können. Das gilt unabhängig davon, ob sie es tatsächlich tun. Allein der böse Anschein eines unsachlichen Tauschs begründet im Wirtschaftsleben regelmäßig den Anfangsverdacht korruptiven Handelns. Die Justiz sollte an sich selbst keine geringeren Ansprüche stellen als an diejenigen, die sie verurteilt.
Der Gesetzgeber sollte die Chance nutzen und die Auswahl, Bestellung und Entpflichtung von Pflichtverteidigern einer neutralen Stelle übertragen, z.B. den Verwaltungsgerichten oder den Rechtsanwaltskammern.