Strenge Weisungen auch nach Haftverbüßung möglich
Das OLG Hamm hatte über die Beschwerde eines 37 -jährigen Mannes zu entscheiden, der eine Freiheitsstrafe wegen versuchter sexueller Nötigung von zwei Jahren und neun Monaten vollständig verbüßt hatte. Bereits zuvor war der Betroffene einmal wegen eines Sexualdeliktes verurteilt worden. Das Gericht hatte daher in dem Urteil Führungsaufsicht für die Dauer von fünf Jahren angeordnet. Auch nach der Haftverbüßung sah das Landgericht (LG) eine erhebliche Gefahr der Begehung weiterer Sexualdelikte und erteilte dem Betroffenen daher folgende Weisungen:
- das Verbot des Genusses alkoholischer Getränke,
- das Verbot, Waffen oder Waffenattrappen bei sich zu führen,
- das Verbot, außerhalb seiner Wohnung Messer, Multitools, Stöcke, Stangen, Knüppel, Baseballschläger oder Metallwerkzeuge bei sich zu führen,
- das Verbot, Materialien zu besitzen mit denen man sich maskieren oder die eigene Identität unkenntlich machen kann,
- das Verbot, außerhalb seiner Wohnung Materialien bei sich zu führen, die zur Fesselung geeignet sind, zum Beispiel Handschellen, Kabel, Kabelbinder, Klebeband, Spanngurte und ähnliches,
- das Gebot, sich einer Psychotherapie durch einen Psychologen zu unterziehen
Beschwerde wegen Eingriffs in die Lebensführung
Durch diese weitgehenden Weisungen fühlte der Betroffene sich in seiner Lebensführung in unangemessener Weise beeinträchtigt. Er legte daher gegen die Anordnungen Beschwerde ein. Nach ablehnender Entscheidung des LG bemühte er auch das zuständige Oberlandesgericht (OLG).
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein
Dieses prüfte die Gesetzmäßigkeit der einzelnen Weisungen. Rechtswidrig seien Weisungen gemäß §§ 463, 453 Abs. 2 StPO, die im Gesetz keine hinreichende Grundlage fänden, bzw. die unverhältnismäßig oder unzumutbar seien oder die die dem Gericht eingeräumte Grenze des Ermessens überschritten (OLG Koblenz, Beschluss v. 12.1.2011, 2 Ws 16/11).
Gefahr für höchste Rechtsgüter
Entscheidender Gesichtspunkt bei der zu treffenden Abwägung seien die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls sowie die Wertigkeit der gefährdeten Rechtsgüter. Vorliegend bestehe eine sehr hohe Rückfallgefahr und eine Gefährdung für höchste Rechtsgüter, so dass lediglich zu prüfen sei, ob die Weisungen an die Lebensführung des Betroffenen Anforderungen stellten, die für diesen nicht zumutbar seien (OLG Rostock, Beschluss v. 15.11.2013, 1 Ss 79/13). Nach Auffassung des Senats waren die Weisungen im wesentlichen so gestaltet, dass die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Lebensführung von dem Betroffenen hinzunehmen seien. Insbesondere müsse der Betroffene akzeptieren, dass er für besondere Gelegenheiten, zum Beispiel die Wahrnehmung eines Vorstellungsgespräches, sich gegebenenfalls das Tragen einer Krawatte besonders genehmigen lassen müsse.
Erlaubtes muss von Unerlaubtem unterscheidbar sein
Von besonderer Bedeutung ist nach Auffassung des OLG, dass Weisungen so formuliert sind, dass der Betroffene mit hinreichender Bestimmtheit erkennen kann, was von ihm erwartet wird, bzw. was er nicht darf. Nach Meinung des OLG-Senats war nach diesem Maßstab die Therapieanweisung zu unbestimmt, da dort lediglich angeordnet wurde, dass eine Behandlung nach entsprechenden Vorschlägen eines Therapeuten zu absolvieren sei. In einer Therapieanweisung müsse zumindest auch der Zeitraum bestimmt werden, innerhalb derer die Therapie anzutreten sei. Daran fehle es hier. Das Verbot, jegliches Klebeband bei sich zu führen, sei demgegenüber unverhältnismäßig. Dünneres Klebeband, das zum Fesseln von Personen nicht geeignet sei und das man im Alltag bei verschiedenen Gelegenheiten benötige, müsse von dem Verbot ausgenommen werden. In diesen beiden Punkten korrigierte der Senat die Entscheidung des LG und bestätigte im übrigen die getroffenen Weisungen in der vom LG gewählten Form.
(OLG Hamm Beschluss v. 8.5.2014, 1 Ws 176/14)
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