Insolvenz: Haftung des Geschäftsführers bei Vorauszahlungen

Der Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH & Co. KG haftet ausnahmsweise nicht für Vorauszahlungen auf debitorische Konten der Gesellschaft, wenn diese auch bei pflichtgemäßem Verhalten nicht zur Masse gelangt wären.

Hintergrund

Der Insolvenzverwalter einer GmbH & Co. KG klagte gegen deren ehemaligen Geschäftsführer auf Erstattung von Vorauszahlungen von Kunden, welche die – damals bereits zahlungsunfähige – Gesellschaft erhalten hatte. Die Zahlungen waren jeweils auf ein debitorisches Konto der Gesellschaft erfolgt. Der klagenden Insolvenzverwalter sah hierin eine Schmälerung der Insolvenzmasse zugunsten der Bank und zulasten der übrigen Insolvenzgläubiger und forderte vom Beklagten die Erstattung dieser Zahlungen.

Das Urteil des OLG Hamburg vom 09.11.2018 – Az 11 U 136/17

Das OLG Hamburg wies die Klage ab. Zwar stellte es fest, dass die Gesellschaft bei Erhalt der Zahlungen bereits zahlungsunfähig war und der Beklagte daher zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet gewesen wäre. Die Zahlungen hätten jedoch die Insolvenzmasse nicht geschmälert und seien daher vom Beklagten nicht zu ersetzen. Als Begründung führte das Gericht an, dass die Gesellschaft nicht bessergestellt werden dürfe als sie bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Beklagten stünde. Hätte sich der Beklagte jedoch pflichtgemäß verhalten (und z.B. rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt), hätte die Gesellschaft die Vorauszahlungen aber ebenfalls nicht oder nur bei Erbringung bestimmter Gegenleistungen erhalten. 

Anmerkung

Geschäftsführer einer GmbH oder GmbH & Co. KG sind zur Erstattung aller Zahlungen verpflichtet, die eine Gesellschaft nach Insolvenzreife (d.h. nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) leistet. Der Begriff „Zahlungen“ ist dabei weit zu verstehen. Auch Einzahlungen auf ein debitorisches Konto gehören hierzu, obwohl in diesem Fall die Gesellschaft „etwas bekommt“. Denn eine solche Zahlung kommt regelmäßig nicht der insolvenzreifen Gesellschaft bzw. gleichmäßig ihren Gläubigern zugute, sondern lediglich der kontoführenden Bank, welche die eingehenden Zahlungen mit ihren eigenen Ansprüchen an dem im Minus befindlichen Konto verrechnen kann. 
Von dieser umfassenden Haftung nach den §§ 130a Abs. 1 HGB, 64 Satz 1 GmbHG macht die Rechtsprechung des BGH eine Reihe von Ausnahmen, z.B. für die Zahlung von Lohnsteuer, des Arbeitnehmeranteils an den Sozialabgaben, unter bestimmen Voraussetzungen bei Erhalt von werthaltigen Gegenleistungen etc. Dies hat zu einem sehr komplexen Haftungssystem geführt. An der existenziellen Bedrohung aller Geschäftsführer durch die gesetzlichen Regelungen hat dies nichts geändert. Hier hilft nur die rechtzeitige Insolvenzantragstellung, was auch Ziel der harschen Sanktionsandrohung, in der jeweiligen Situation aber schwer genug zu ermitteln ist.
Den bisherigen Ausnahmen von der Haftung des Geschäftsführers für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife will das OLG Hamburg eine weitere hinzufügen. Es verneint eine Haftung, wenn die Zahlungen bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung auch nicht zur Insolvenzmasse geflossen wären. Im zu entscheidenden Fall waren die auf dem debitorischen Konto eingegangenen Zahlungen fast ausschließlich Vorauszahlungen. Für diese nahm das OLG Hamburg an, dass diese im Fall einer rechtzeitigen Insolvenzantragstellung nicht geleistet worden wären und schloss damit eine Haftung des Geschäftsführers aus.
Die Argumentation des OLG Hamburg ist durchaus nachvollziehbar. Sie passt aber nur schwerlich in die Auslegung der §§ 130a Abs. 1 HGB, 64 Satz 1 GmbHG, wie diese gegenwärtig vom BGH vorgenommen wird. Denn der BGH beharrt auf einer umfassenden Haftung des Geschäftsführers für alle nach Eintritt der Insolvenzreife geleisteten Zahlungen im Ausgangspunkt und nimmt nur in ganz bestimmten Einzelfällen Ausnahmen hiervon an. Die Überlegungen des OLG Hamburg gehen darüber hinaus und vergleichen den tatsächlichen Zustand der insolventen Gesellschaft mit dem fiktiven Zustand bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung. Noch darüber hinaus geht eine in der juristischen Literatur vertretenen Auffassung für die Auslegung der §§ 130a Abs. 1 HGB, 64 Satz 1 GmbHG. Danach soll die Haftung der Geschäftsführer auf die Differenz im Vermögen der insolventen Gesellschaft beschränkt sein, die zwischen dem Zeitpunkt, an dem Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen, und dem Zeitpunkt, an dem tatsächlich Insolvenzantrag gestellt wurde, eingetreten ist.
Das OLG Hamburg hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen, damit der BGH höchstrichterlich die vorliegende Konstellation klären kann. Es wird interessant sein, zu sehen, ob der BGH sich der Argumentation des OLG Hamburg anschließt und wie er dies in seinem System der Ausnahmen begründet.

Rechtsanwalt Dr. Stefan Lammel, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg


Schlagworte zum Thema:  Insolvenz, Haftung, Geschäftsführung