OLG Braunschweig bleibt Diesel-unkritisch, sieht aber nach BGH-Hinweis den Mangel
Mit dieser Entscheidung setzt das OLG Braunschweig seine landesspezifisch (?) eher restriktive Entscheidungspraxis gegenüber enttäuschten VW-Kunden fort. Für die Teilnehmer des ebenfalls beim OLG Braunschweig anhängigen Musterfeststellungsprozesses ist dies nicht unbedingt ein gutes Omen. Das Urteil gibt bei näherem Hinsehen allerdings auch keinen Anlass, für das Musterfeststellungsverfahren gleich schwarz zu sehen, denn der Hersteller VW war an dem jetzigen Verfahren nicht selbst beteiligt.
Käufer eines abgasmanipulierten Diesel fordert fabrikneues Ersatzfahrzeug
Im konkreten Fall hatte der Käufer eines VW Caddy 1,6 TDI, dessen Motor der Typreihe EA 189 mit der sattsam bekannten illegalen Abschaltautomatik versehen war, den Händler, der ihm das Fahrzeug verkauft hatte, verklagt. Er forderte ein fabrikneues Ersatzfahrzeug
„mit gleichartiger und gleichwertiger technischer Ausstattung wie der des VW Caddy 1,6 TDI“.
Bereits erstinstanzlich scheiterte der Kläger beim LG. Das OLG hat nun das erstinstanzliche Urteil bestätigt.
OLG Braunschweig bewertet Schummelsoftware nun auch als Sachmangel
Das OLG hat sich in seiner Entscheidung ausdrücklich der in dem kürzlich ergangenen Hinweisbeschluss des BGH zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung angeschlossen,
- dass ein Fahrzeug mit der sogenannten Schummelsoftware nicht die Eigenschaften hat,
- die der Käufer üblicherweise nach dem Kaufvertrag von einem solchen Fahrzeug erwarten darf
(BGH, Hinweisbeschluss v. 8.1.2019, VIII ZR 225/17). Die Schummelsoftware begründet damit auch nach der Wertung des OLG einen Sachmangel im Sinne des Gewährleistungsrechts.
Diese Wertung bedarf insoweit der besonderen Erwähnung, als das OLG diese Frage bisher jedenfalls nicht im Sinne der Käufer beantwortet hatte.
Freies Autohaus haftet nicht Verschulden des Herstellers
Die Frage, ob der Käufer beim Abschluss des Kaufvertrages durch VW über die Beschaffenheit seines Fahrzeugs arglistig getäuscht wurde, konnte das OLG in seinem Urteil offen lassen, weil der Käufer nicht VW als Hersteller sondern lediglich den (freien) Händler verklagt hatte. Das OLG kam insoweit zu dem Ergebnis, dass - falls eine arglistige Täuschung durch VW vorliege - der Händler sich diese nicht zurechnen lassen müsse. Hierbei berücksichtigte das OLG, dass es sich bei dem Verkäufer nicht um einen Vertragshändler von VW sondern um ein freies Autohaus handelte, das nicht für ein Verschulden des Herstellers hafte.
Software-Update reicht zur Nachbesserung aus
Schließlich bestätigte das OLG seine bisherige VW-freundliche Linie, wonach das Aufspielen eines Software-Updates ein geeignetes Instrument einer fachgerechten Nachbesserung sei.
- Das Aufspielen eines Updates erfordere nur den 117. Teil der Kosten
- eines fabrikneuen Ersatzfahrzeuges.
- Die vom Kläger geforderte Nachbesserung im Wege einer Ersatzlieferung sei daher unverhältnismäßig
- und scheide deshalb als geeignete und angemessene Nachbesserungsvariante aus.
Klage auch aus formalen Gründen abgewiesen
Schließlich bemängelte das OLG den vom Kläger gestellten Klageantrag. Dieser sei zu unbestimmt. Die Forderung nach einem gleichartigen und gleichwertigen Ersatzfahrzeug lasse einen zu weiten Interpretationsspielraum und habe daher keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Das OLG wies den Klageantrag daher als schon unzulässig ab.
Signalwirkung des Urteils
Das Urteil des OLG ist nicht ohne Signalwirkung für andere Verfahren.
- Beim LG sowie OLG Braunschweig als Gerichte an Sitz von VW sind mehrere Tausend Klagen von VW-Käufern
- sowie beim OLG Braunschweig das Musterfeststellungsverfahren anhängig.
- Beim LG Braunschweig sind die Verfahren in weitaus überwiegender Zahl zu Gunsten des Autoherstellers ausgegangen (LG Braunschweig, Urteil v. 3.1.2019, 11 O 1172/18; LG Braunschweig, Urteil v.16.11.2018, 11 O 899/18).
- Auch im anhängigen Fall hatte das LG erstinstanzlich bereits zu Ungunsten des VW-Käufers entschieden.
- Das OLG hat die erstinstanzliche Entscheidung nun bestätigt.
Das Urteil ist kein Grund zur Panik für Kläger in anderen Verfahren
Das Urteil im konkreten Fall sollte dennoch nicht überbewertet werden, denn es betrifft ausschließlich das Verhältnis des Käufers zu einem freien Händler und schafft damit kein Präjudiz für die unmittelbar gegen VW gerichteten noch anhängigen Verfahren einschließlich der Musterfeststellungsklage. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass das OLG auch bereits in früheren Verfahren die Auffassung vertreten hat, dass der Einbau der Schummelsoftware nicht als arglistige Täuschung von VW gegenüber dem Kunden gewertet werden kann,
- denn der Kunde habe ein Fahrzeug erhalten, das der amtlichen Typengenehmigung in vollem Umfange entspreche,
- das vollauf verkehrstauglich sei
- und deshalb die nach dem Kaufvertrag vorausgesetzte Beschaffenheit aufweise (OLG Braunschweig, Urteil v. 19.2.2019, 7 U 134/17; anders: LG Kiel, Urteil v. 18.5.2018, 12 O 371/17, LG Arnsberg, Urteil v. 14.6.2017,1 O 227/16; LG Offenburg, Urteil v. 12.5.2017, 6 O 119/16; LG Kleve, Urteil v. 31.3.2017, 3 O 252/16; LG Hildesheim, Urteil v. 17.1.2017, 3 O 139/16; LG Krefeld, Urteil v. 28.2.2018, 7 O 10/17).
Besonders kritisch aus Sicht von Klägern in laufenden Verfahren ist die Bewertung eines möglichen Software-Updates durch das OLG als hinreichende Nachbesserungsmaßnahme.
(OLG Braunschweig, Urteil v. 13.6.2019, 7 U 289/18)
Flickenteppich Diesel-Rechtsprechung:
Nicht nur die Vergleichsstrategie von VW hat die Rechtsprechung zum Diesel so uneinheitlich werden lassen. Es gibt auch regionale Besonderheiten. So reihte sich ein harsches Pro-Käufer-Urteil aus Krefeld (Verwerfliche Täuschung der Käufer allein aus Gewinnstreben) in die Reihe einiger weiterer Entscheidungen des LG Krefeld zu Gunsten der Käufer (LG Krefeld, Urteile v. 4.10.17, 2 O 192/16, 2 O 192/16 und 2 O 19/17). Es entsprach der allgemeinen Tendenz der Landgerichte in diesen Fällen. Dagegen entschied das LG Braunschweig bisher in der Mehrzahl der Fälle zu Gunsten von VW (LG Braunschweig, Urteil v. 3.1.2019, 11 O 1172/18; Urteil v.16.11.2018, 11 O 899/18).
Das LG Braunschweig spielt bei Klagen speziell gegen VW als das zuständige Gericht am Sitz des Autoherstellers eine herausragende Rolle und hat über den weitaus größten Teil der eingereichten Klagen zu entscheiden.
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