OLG lässt Diesel-Schadensersatz an zu kurzer Nachbesserungsfrist scheitern
Der Umfang und die Vielfältigkeit der Diesel-Rechtsprechung nimmt mittlerweile beeindruckende, aber auch - aus Verbrauchersicht - bedrückende Ausmaße an.
Rückabwicklung des Kaufvertrages über einen abgasmanipulierten Diesel
Wieder einmal hatte ein OLG über den Fall eines Diesel-Käufers auf Rückabwicklung des Fahrzeugkaufvertrages zu entscheiden.
- Der Kläger hatte den Neuwagen VW-Tiguan-Diesel im September 2014 gekauft.
- Im Februar 2016 wurde er von VW darüber informiert, dass sein Fahrzeug mit der sogenannten Schummel-Software ausgestattet war, welche die Stickoxidwerte im realen Fahrbetrieb im Verhältnis zu den Messungen auf dem Rollenprüfstand negativ veränderte.
- VW kündigte gegenüber dem Käufer eine Rückrufaktion an und wies ihn darauf hin, dass er bis zu diesem Zeitpunkt das Fahrzeug ohne jegliche Nachteile weiterbenutzen könne.
Händler bat Dieselkäufer um Geduld
Die Situation gefiel dem Käufer gar nicht. Mit Schreiben vom 24.3.2016 forderte er den Händler auf, das Fahrzeug innerhalb von 14 Tagen nachzubessern. Er sei nicht bereit, länger mit einem Fahrzeug zu fahren, das höhere Emissionswerte als die beim Verkauf angegebenen produziere. Der Händler bat den Käufer um etwas Geduld und wies darauf hin, dass auf Kosten von VW ein Software-Update in absehbarer Zeit zu erwarten sei.
Händler lehnte Rücknahme des Fahrzeugs ab
- Am 11.4.2016 erklärte der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag
- und reichte am 11.5.2016 Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrages beim zuständigen LG ein.
Das spätere Angebot des Händlers, das Software-Update nun vornehmen zu lassen, lehnte der Käufer ab. Eine Rücknahme des Fahrzeugs lehnte der Händler ab.
LG verneint einen wesentlichen Mangel
Vor dem LG scheiterte der Käufer mit seiner Klage. Das LG vermochte schon keinen zum Rücktritt berechtigenden Mangel des Fahrzeuges festzustellen. Die Nachbesserung in Form eines Software-Updates verursache Kosten in Höhe von weniger als einem Prozent des Kaufpreises. Die Frage, ob ein Mangel überhaupt vorliege, könne deshalb dahinstehen, in jedem Fall sei ein solcher Mangel unerheblich.
OLG betont Anspruch auf vertragsgerechte Fahrzeug-Beschaffenheit
Mit der beim OLG eingelegten Berufung verfolgte der Käufer sein Ziel auf Rückabwicklung weiter. Hinsichtlich der Mangelhaftigkeit des Fahrzeuges hatte der zuständige Senat eine völlig andere Auffassung als das LG.
- Die eingebaute Schummelsoftware führt nach Auffassung des Senats dazu, dass die tatsächliche Beschaffenheit eines solchen Fahrzeugs nicht der für nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung entspricht.
- Die reine technische Fahrtauglichkeit des Fahrzeugs führe noch nicht dazu, dass dieses die nach dem Vertrag vorausgesetzte Beschaffenheit aufweise.
- Dem Fahrzeughalter sei es faktisch auch nicht freigestellt, ob er die von VW angebotene Nachbesserung durchführen lasse oder nicht. Lasse er sie nicht durchführen, so drohe die Entziehung der Betriebserlaubnis durch das Kraftfahrtbundesamt.
- Das gelieferte Fahrzeug entspreche daher technisch nicht den gesetzlichen Vorschriften. Dies begründe einen Sachmangel.
Kein Zweifel des OLG an der Wesentlichkeit des Mangels
Die Wertung der Vorinstanz, dass der Einbau der Schulsoftware nicht zu einem wesentlichen Mangel führe, konnte der Senat nicht nachvollziehen. Der Senat stellte klar:
- Der Käufer eines Neuwagens kann grundsätzlich beanspruchen, dass das gelieferte Fahrzeug den gesetzlichen Vorschriften entspricht.
- Ein Mangel, der zum Entzug der Betriebserlaubnis führen kann, ist nach Auffassung des Senats grundsätzlich erheblich.
- Allein die Tatsache, dass der für die Mängelbeseitigung erforderliche Aufwand nicht allzu hoch ist, führt nicht zur Unerheblichkeit des Mangels.
- Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Käufersituation davon auszugehen, dass das Fahrzeug einen wesentlichen, vertraglich vorausgesetzten Qualitätsaspekt nicht erfüllt und deshalb ein wesentlicher Mangel eindeutig zu bejahen ist.
Zu früh gefreut: Überraschende Wendung beim Kriterium der Nachbesserungsfrist
Trotz der eindeutigen Bejahung eines Mangels, bestätigte das OLG im Ergebnis das klageabweisende Urteil der Vorinstanz. Der Senat setzte an der vom Käufer gegenüber dem Händler gesetzten Frist zur Nachbesserung an.
- Die ursprünglich gesetzte Zweiwochenfrist sei unangemessen kurz gewesen.
- Auch wenn man die Klageschrift als erneute Rücktrittserklärung auslege, sei auch die hiernach laufende Frist noch zu kurz.
- Die Klageschrift sei ca. acht Wochen nach der Aufforderung zur Nachbesserung zugestellt worden.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere der erforderlichen behördlichen Freigabe des von VW vorgesehenen Updates, sei eine Frist von weniger als zwei Monaten zu kurz. Wann eine Frist angemessen sei, beurteile sich nach den Umständen des Einzelfalls. Hier sei entscheidend gewesen, dass zum Zeitpunkt des Nachbesserungsverlangens die behördliche Freigabe für das Software-Update noch nicht erfolgt sei und daher die Frist hätte großzügiger bemessen werden müssen. Mit dieser Wendung ging der Käufer im Ergebnis leer aus.
Revision ausdrücklich zugelassen
Der Senat hat im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gegen das Urteil ausdrücklich die Revision zum BGH zugelassen.
(OLG Nürnberg, Urteil v. 24.04.2018, 6 U 409/17).
Weitere News zum Thema:
Diesel-Urteil stärkt Erfolgsaussichten der Käufer
Dieselkaufrückanbwicklung mit dem Widerrufsjoker?
Anspruch auch Rechtsschutz für Diesel-Klagen
Hintergrund:
Die Rechtsunsicherheit ist groß
Ein klärendes Wort des BGH wäre in Sachen Diesel durchaus wünschenswert. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte führt zurzeit zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit. Während einige Gerichte eine Frist zur Nachbesserung von zwei Wochen als ausreichend ansehen, bezweifeln andere OLG-Senate, ob die Nachbesserung mit der von VW vorgesehenen Zusatz-Software überhaupt zur Mängelbeseitigung geeignet und eine Fristsetzung insoweit möglicherweise komplett entbehrlich wäre (OLG Köln, Beschluss v. 27.3.2018, 28 U 232/16).
Musterfeststellungsklage gegen Diesel-Kauf-Verjährung: Gesetzgebung unter Zeitdruck
Im Zusammenhang mit der Dieselskandal-Verjährung steht auch ein Gesetzgebungsverfahren, dass es den Dieselkäufern erleichtern soll, ihre Gewährleitungsansprüche durchzusetzen.
Das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage für eine Erleichterung von Verbraucherklagen soll noch vor der Sommerpause durchs Parlament und am 1. November diesen Jahres in Kraft treten, weil die Ansprüche vieler Diesel-Käufer zum Jahresende verjähren.
- Verbände können nach dem Entwurf mit einer Musterfeststellungklage für alle betroffenen Verbrauchern eine bestimmte Rechtsverletzung (wie eine unwirksame Banken-AGB oder eine Abgasmanipulation am Kfz) eines Unternehmens gerichtlich feststellen zu lassen
- und ihnen damit den Weg zur späteren Schadensersatzklage ebnen.
Der FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae befand, dass Gesetz müsse im Bundestag ordentlich behandelt werden können. Er fordert von VW einen zeitlich begrenzten Verjährungsverzicht für seine deutschen Kunden, um Druck aus dem Kessel des Gesetzgebers zu nehmen. Hintergrund: Viele Dieselkäufer liefen schon Ende letzten Jahres in die Verjährungsfalle.
-
Italienische Bußgeldwelle trifft deutsche Autofahrer
2.172
-
Wohnrecht auf Lebenszeit trotz Umzugs ins Pflegeheim?
1.7342
-
Gerichtliche Ladungen richtig lesen und verstehen
1.635
-
Klagerücknahme oder Erledigungserklärung?
1.613
-
Überbau und Konsequenzen – wenn die Grenze zum Nachbargrundstück ignoriert wurde
1.471
-
Wie kann die Verjährung verhindert werden?
1.400
-
Brief- und Fernmelde-/ Kommunikationsgeheimnis: Was ist erlaubt, was strafbar?
1.368
-
Wann muss eine öffentliche Ausschreibung erfolgen?
1.305
-
Verdacht der Befangenheit auf Grund des Verhaltens des Richters
1.136
-
Formwirksamkeit von Dokumenten mit eingescannter Unterschrift
1.0461
-
Risiko der Betriebsstättenbegründung durch mobiles Arbeiten im Ausland
18.11.2024
-
Handelsregistervollmachten – Anforderungen und Umgang bei Rückfragen des Handelsregisters
12.11.2024
-
Datenschutzbehörden müssen nicht zwingend Sanktionen verhängen
07.11.2024
-
Typisch stille Beteiligung an Kapitalgesellschaften – Unterschiede zwischen GmbH und AG
06.11.2024
-
Bundesnetzagentur wird nationale Marktüberwachungsbehörde bei der KI-Aufsicht
05.11.2024
-
Neue Bundesverordnung zur „Cookie-Einwilligung“
31.10.2024
-
Zahl der Datenschutz-Bußgeldverfahren steigt
24.10.2024
-
Untersuchungs- und Rügeobliegenheit im B2B-Bereich
23.10.2024
-
Fernmeldegeheimnis gilt nicht für private E-Mails und Telefonate am Arbeitsplatz
17.10.2024
-
Wirecard: Geschädigte Aktionäre sind keine nachrangigen Gläubiger!
16.10.2024