BGH-Urteil: Keine strafbare Korruption bei Kassenärzten

Kassenärzte, die für die Verordnung von Arzneimitteln Geschenke von Pharma-Unternehmen entgegennehmen, machen sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar.

Das entschied der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs (BGH) in einem am 22.6.2012 veröffentlichten Beschluss (GSSt 2/11). Die Richter sprechen zwar von "korruptivem Verhalten" - dies sei jedoch nach geltendem Recht nicht strafbar. Die Grundsatzentscheidung des BGH war im Gesundheitswesen seit Monaten mit Spannung erwartet worden.

Einer gibt, einer nimmt - jeder gewinnt?

Der niedergelassene Arzt handele weder als «Amtsträger» noch als «Beauftragter» der gesetzlichen Krankenkassen, hieß es zur Begründung. Auch Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, die Ärzten Vorteile gewähren, seien entsprechend nicht wegen Korruptionsdelikten strafbar, entschied der BGH.

In konkreten Fall hatte eine Pharmareferentin Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18.000 EUR übergeben. Sie war zunächst wegen «Bestechung im geschäftlichen Verkehr» zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Grundlage der Zahlungen war ein als «Verordnungsmanagement» bezeichnetes Prämiensystem des Pharmaunternehmens. Dieses sah vor, dass Ärzte als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln des Unternehmens 5 % des Abgabepreises erhalten sollten.

Keine Strafbarkeit nach geltendem Recht - Gesetzgeber ist gefordert

Die Richter sprechen ausdrücklich von «korruptivem Verhalten» von Ärzten und Pharmavertretern, das aber nach geltendem Recht nicht strafbar sei. «Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers», heißt es in der Mitteilung des BGH.

Eine Strafbarkeit wegen «Bestechlichkeit» oder «Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr» hätte vorausgesetzt, dass der Arzt entweder «Amtsträger» ist oder zumindest als «Beauftragter» der Krankenkassen tätig wird. Beides sei nicht der Fall, entschieden die 11 Richter des Großen Senats. Dieser entscheidet nur in Grundsatzfragen und soll für eine einheitliche Rechtsprechung sorgen.

Arzt nimmt keine öffentliche Aufgabe wahr

«Der freiberuflich tätige Kassenarzt ist weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde», so die Richter. Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient sei «wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen ist».

Die Hauptgeschäftsführerin des Pharma-Verbandes VFA, Birgit Fischer, begrüßte das Urteil: «Ärzte können sich weiter als Angehörige eines freien Berufs sehen und werden nicht als verlängerter Arm der gesetzlichen Krankenkassen eingeordnet.»

Lückenschluss im Gesetz nötig?

Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung forderte strengere Gesetze: Korruptes Verhalten müsse strafrechtlich geahndet werden. «Patienten müssen darauf vertrauen können, dass ihr Wohl im Vordergrund steht und nicht die Gewinnmaximierung des Arztes.»

«Der heutige Beschluss des Großen Strafsenats ist kein Freifahrtschein für niedergelassene Ärzte und Pharmareferenten, sondern ein klarer Auftrag an den Gesetzgeber, die in diesem Rechtsstreit sichtbar gewordenen Lücken im Strafrecht zu schließen», sagte der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer. Auch der AOK-Bundesverband mahnte «dringenden Handlungsbedarf» an.

dpa

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