Gibt es ein Recht auf Nichterreichbarkeit im Urlaub?
Weihnachten steht vor der Tür. Viele Beschäftigte in Deutschland freuen sich auf ein paar arbeitsfreie Tage, um sie entspannt mit Freunden oder der Familie zu verbringen. Nicht immer gelingt das. Schuld ist das Gefühl, ständig für den Arbeitgeber erreichbar sein zu müssen.
Eine Studie von Protime, einem Anbieter von Workforce-Management-Lösungen, in Zusammenarbeit mit YouGov hat ergeben, dass mehr als ein Drittel aller befragten Beschäftigten sich ständig erreichbar fühlt, was bei über der Hälfte (55 Prozent) zu Burnout-Symptomen führt. 46 Prozent der Beschäftigten überprüfen häufig außerhalb der regulären Arbeitszeiten arbeitsbezogene E-Mails oder Nachrichten. Besonders jüngere Generationen und Eltern scheinen hierbei besonders stark betroffen zu sein. Für die Studie wurden im Mai 2024 insgesamt 2.048 Beschäftigte in Deutschland befragt.
Der Regelfall: in der Freizeit Erholung statt Erreichbarkeit
Wie ist dies rechtlich geregelt? Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind Beschäftigte in Deutschland grundsätzlich nur zu einer Erreichbarkeit im Rahmen der vereinbarten Arbeitszeit verpflichtet. Arbeitsfreie Zeit soll der Erholung dienen. Im Normalfall dürfen Diensthandy oder Laptop also abends, im Urlaub, an Feiertagen oder am Wochenende ausgeschaltet bleiben. Mögliche dienstliche Anrufe müssen nicht beantwortet werden. Das gleiche gilt für E-Mails oder Kurznachrichten – auch diese dürfen grundsätzlich ignoriert werden.
Etwas anderes kann gelten, wenn eine Betriebsvereinbarung vorsieht, dass Dienste kurzfristig konkretisiert werden können. In diesem Fall müssten Beschäftigte in der Freizeit auf eine SMS reagieren, entschied das BAG.
Ganz anders ist die Situation der Erreichbarkeit selbstverständlich auch bei Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst. Hier müssen die Mitarbeitenden permanent erreichbar sein.
Was gilt für Führungskräfte?
Für Führungskräfte gilt rechtlich grundsätzlich nichts anderes. Auch für sie ist Freizeit zunächst arbeitsfreie Zeit. Eine Pflicht, permanent erreichbar zu sein, besteht nicht. Allerdings sind viele Führungskräfte freiwillig in Absprache mit dem Unternehmen für dringende Notfälle erreichbar, da es noch mehr als bei Arbeitnehmenden in ihrem eigenen Interesse ist, dass die Geschäfte auch während ihrer Abwesenheit gut laufen.
Erreichbarkeit rund um die Uhr: Blick in den Arbeitsvertrag hilft
Wann kann eine Erreichbarkeit auch außerhalb der Arbeitszeiten Pflicht sein? Gerade in höheren Positionen finden sich im Arbeitsvertrag häufig Regelungen zur Erreichbarkeit. In diesen Klauseln wird beispielsweise vereinbart, dass der Mitarbeitende gewährleisten muss, auch an freien Tagen innerhalb bestimmter Zeiten erreichbar zu sein oder einmal täglich seine Arbeitsmails abzurufen. Eine Betriebsvereinbarung, nach der "unkonkret zugeteilte Springerdienste für Tag- und Spätdienste bis 20 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden können" und Beschäftigte diesen dann einmalig abrufen müssen, hielt das BAG für zulässig.
Allerdings gilt: Nicht jede Regelung im Arbeitsvertrag, die eine Erreichbarkeit auch am Wochenende, an Feiertagen oder im Urlaub vorsieht, ist rechtlich zulässig. Grundsätzlich sind hier die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes zu beachten. Pausen, Ruhezeiten oder der Urlaub dienen der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit letztendlich dem Gesundheitsschutz. Hier muss allerdings zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und den Urlaubstagen, die der Arbeitgeber freiwillig gewährt, unterschieden werden. Nur für diese vertraglich vereinbarten Urlaubstage kann auch für die Erreichbarkeit etwas anderes gelten.
Kündigung wegen mangelnder Erreichbarkeit ist zweifelhaft
Mitarbeitende, die Anrufe vom Chef in ihrer Freizeit verweigern, müssen auch nicht mit einer Kündigung durch den Arbeitgeber rechnen. Während des gesetzlichen Erholungsurlaubs oder gesetzlich vorgegebener Ruhezeiten haben Beschäftigte keine Pflicht zu arbeiten. Eine Kündigung wegen mangelnder Erreichbarkeit wäre also unwirksam. Eine solche Kündigung könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin gegen eine Pflicht zur Erreichbarkeit verstoßen hat, die zulässig im Arbeitsvertrag vereinbart war. Eine solche Pflicht kann sich aus einer Betriebsvereinbarung ergeben, stellte das BAG im oben genannten Fall fest.
Jedoch wäre wohl auch hier eine verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung unwirksam. Dem Arbeitnehmenden müsste zunächst ein Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen werden, verbunden mit dem Hinweis, dass im Wiederholungsfall mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen ist.
EU-Richtlinie zu Erreichbarkeit: Verzicht auf Telefonate oder E-Mails in Urlaub und Freizeit
Bislang gibt es keine rechtliche Vorschrift zu einer Nichterreichbarkeit. Bereits 2021 hat das EU-Parlament mit großer Mehrheit entschieden, ein Recht auf Nichterreichbarkeit für Arbeitnehmende auf den Weg zu bringen.
Danach soll verbindlich geregelt werden, dass Diensthandy und Laptop ausbleiben dürfen, ohne dass Beschäftigte negative Folgen befürchten müssen. Außerhalb der regulären Arbeitszeiten, an Feiertagen, am Wochenende oder im Urlaub sollen sie weder Telefonate, E-Mails oder andere Formen der digitalen Kommunikation führen müssen.
Ein solches Recht ist aus Sicht der Abgeordneten mittlerweile unerlässlich zum Schutz der Arbeitnehmenden, da die Gesundheit unter dem Druck ständiger Erreichbarkeit und durch übermäßig lange Arbeitszeiten leide.
Die ersten Verhandlungen scheiterten jedoch 2023. Anfang 2024 leitete die Europäische Kommission eine erste Phase der Konsultation der Sozialpartner zur fairen Telearbeit und zum Recht auf Nichterreichbarkeit ein. Dort sollen zunächst Standpunkte zur möglichen Ausrichtung von EU-Maßnahmen eingeholt werden.
Mögliche Umsetzung durch Mitgliedstaaten: keine Entlassungen oder Benachteiligungen
Wie soll ein mögliches Recht auf Nichterreichbarkeit umgesetzt werden? Die EU-Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass die Arbeitnehmenden dieses Recht tatsächlich in Anspruch nehmen können. Das soll zum Beispiel von den Sozialpartnern in Tarifverträgen vereinbart werden. Dabei müsse sichergestellt werden, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden in keiner Weise benachteiligen: Sie dürften nicht schlechter behandelt, angeprangert oder gar entlassen werden.
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