Erziehungszeiten Ungleichbehandlung von Besserverdienenden

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) soll sich erneut zur rentenrechtlichen Bewertung von Kindererziehungszeiten äußern. Es könnte eine Ungleichbehandlung von Besserverdienern vorliegen.

Das Sozialgericht (SG) Neubrandenburg hat in dieser Frage das höchste deutsche Gericht nun bereits zum zweiten Mal angerufen (Beschluss v. 12.1.2012, S 4 RA 152/03). Es geht um die Bewertung von Kindererziehungszeiten bei gleichzeitigen Pflichtbeitragszeiten wegen einer abhängigen Beschäftigung.

Klägerin war während Kindererziehungszeit beschäftigt

Heute gelten die ersten 3 Jahre ab Geburt des Kindes als Kindererziehungszeiten. Bei den bis Ende 1991 geborenen Kindern der Klägerin wurde für die Erziehung beider Söhne nur jeweils 1 Jahr ins Rentenkonto geschrieben. Bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte wurde berücksichtigt, dass die Klägerin zugleich versicherungspflichtige Entgelte aus abhängiger Beschäftigung als Ärztin erzielt hat. Gesetzlich vorgeschrieben sind diese auf die Höchstwerte der Beitragsbemessungsgrenze (§ 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) begrenzt.

Geringere Entgeltpunkte bei überdurchschnittlichem Einkommen

Das führte dazu, dass als Erziehungszeit in den meisten Monaten nur sehr geringe Entgeltpunkte, in manchen Monaten gar keine Entgeltpunkte aus den Kindererziehungszeiten für die Rentenhöhe wirksam wurden. Für diese Monate war im Versicherungskonto der monatliche Höchstwert bereits für Entgeltpunkte aus Pflichtbeiträgen ausgeschöpft.

Ungleichbehandlung im Vergleich zu Kinderlosen

Die Ärztin macht im Klageverfahren geltend, die gewährte Rente entspreche ihrer Lebensleistung nicht hinreichend, zumal sie während ihrer beruflichen Tätigkeit als Ärztin auch noch 2 Kinder großgezogen habe. Sie rügt eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu einer nicht in der Kindererziehungsphase berufstätigen Ärztin.

Das Sozialgericht hat zunächst festgestellt, dass die Entgeltpunkte nach der Rechtslage zutreffend berücksichtigt wurden und im weiteren Verlauf dann erstmals 2008 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung angerufen. Nachdem das Verfassungsgericht die Vorlage inhaltlich als unzureichend befand und nicht zugelassen hat, legt das SG den Vorgang nun mit Beschluss vom 12.1.2012 erneut zur Prüfung vor.

Kindererziehungszeiten wirken sich unterschiedlich aus

Die Kammer ist überzeugt, dass die Regelung zur Höchstbegrenzung verfassungswidrig ist. Sie führt zu einer ungleichen Behandlung verschiedener Personengruppen, weil sich Kindererziehungszeiten nicht bei allen Versicherten gleich auswirken. Benachteiligt sind diejenigen Versicherten, die während der ersten Lebensjahre ihrer Kinder arbeiten, vergleichsweise eher höhere versicherungspflichtige Entgelte erzielen und so die Solidargemeinschaft mit hohen Rentenversicherungsbeiträgen unterstützen. Erzielt ein Versicherter während der Kindererziehungszeit ein solch hohes beitragspflichtiges Entgelt, werden seine Kindererziehungszeiten nicht mehr in gleicher Weise berücksichtigt wie bei einem Versicherten mit geringerem oder ohne Entgelt.

Kindererziehungszeit darf nur aus wichtigem Grund entwertet werden

Die in der Kindererziehung liegende Leistung eines Versicherten stellt allerdings einen Faktor von erheblicher Bedeutung dar. Diese durch Berechnungsvorschriften zu entwerten bedarf nach Auffassung der Kammer eines sachlichen Grundes von erheblichem Gewicht. Der Rechtsstreit wird daher erneut dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, um zu prüfen, ob § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI gegen das Grundgesetz verstößt.

Tipp: Betroffene Personen sollten gegen entsprechende Rentenbescheide vorsorglich Widerspruch einlegen, wenn Erziehungszeiten wegen eines hohen Einkommens nicht voll für die Rente angerechnet werden.


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