Corona-Krise und Prozessoptimierung
Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, wie schnell sich vieles von jetzt auf gleich verändern kann: Einerseits wird von heute auf morgen alles entschleunigt. Keine Reisen, keine Feiern, keine Veranstaltungen finden mehr statt, wir verbringen notgedrungen viel Zeit zu Hause und entschleunigen. Andererseits wurden beim Arbeiten auf einmal alle Bedenken über Bord geworfen und zum Homeoffice übergegangen, wo immer es möglich war.
Auch Arbeitsabläufe wurden in dem Zusammenhang verändert, weil ja nicht mehr eben mal Papier über den Schreibtisch weitergereicht werden konnte. Die wenigsten von uns haben sich in dieser Situation über den Ist-Prozess Gedanken gemacht und überlegt, wie er optimal aussehen könnte. Es wurde einfach reagiert, um genau in diesem Moment die Situation zu lösen.
Aber ist der angepasste Prozess auch der optimale Prozess? Jetzt mag man einwenden: "Sicherlich nicht, aber Hauptsache, wir sind (wieder) arbeitsfähig." Das ist richtig und es hilft jetzt auch nicht darüber nachzudenken, ob alles anders gelaufen wäre, wenn bereits vor Corona die Ist-Prozesse bekannt gewesen und optimiert worden wären.
Prozesse der Ad-hoc-Digitalisierung aufgrund der Corona-Krise optimieren
Viele Projekte drohen daran zu scheitern, dass Mitarbeiter nicht in Projekte eingebunden waren, dass Projektbeteiligte nicht von den Vorteilen überzeugt waren und daher nicht begeistert mitgewirkt haben. Heute? Der Verlust des geliebten Büros und die Unbequemlichkeit, in einem Homeoffice zu arbeiten, wurden erstaunlich wenig diskutiert. Weil es alternativlos war.
Warum wird dann nicht bei Projekten im Unternehmen gemeinsam und mit einem ähnlichen Pragmatismus am Erfolg gearbeitet? Denn die Digitalisierung von Prozessen ist genauso alternativlos wie die krisenbedingte Verlegung eines Arbeitsplatzes ins Homeoffice. Beschäftigen sich Unternehmer jetzt nicht mit den Prozessen in ihren Unternehmen, werden sie den Schwung aus der Ad-hoc-Digitalisierung durch die aktuelle Krise nicht mitnehmen. Sie werden wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen.
Was haben diese Ausführungen nun mit dem Berufsstand der Steuerberater zu tun? Meiner Ansicht nach sehr viel: Der Steuerberater wird (endlich) zum Berater, zum Digitalisierer – wenn er das möchte. Denn genau damit tun sich viele Steuerberater meiner Erfahrung nach sehr schwer. Ich bin kein Steuerberater, habe auch nie in einer Kanzlei gearbeitet und daher nur den Blick von außen. Das ist ein Vorteil, wenn man Dinge grundlegend neu gestalten möchte. In den letzten zwei Jahren habe ich gelernt, dass Steuerberater sich zwei primären Herausforderungen stellen müssen:
- Es sind wenig Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt verfügbar, die die stetig wachsenden Anforderungen in der Kanzlei erfüllen.
- Es herrscht eine zunehmende Digitalisierung und es existieren neue Marktbegleiter, die die Geschäftsgrundlage reduzieren.
Ich kenne wenige Steuerberater, die ihre Mandanten wirklich betriebswirtschaftlich in den Prozessen beraten. Wenn die Digitalisierung weiter zunimmt – das hat die Corona-Krise deutlich beschleunigt – und neue Marktteilnehmer etwa das originäre Geschäft der Finanzbuchhaltung übernehmen, gilt es neue Geschäftsfelder in der Kanzlei zu etablieren.
Prozessoptimierung als Basis für Digitalisierung erst in der eigenen Kanzlei und dann beim Mandanten ist der Ausgangspunkt. Die zu erstellenden Verfahrensdokumentationen müssen darüber hinaus kontinuierlich angepasst werden. Schließlich verändern sich auch die Prozesse in Unternehmen immer wieder – das muss abgebildet werden.
Zusammengefasst prägen fünf Erkenntnisse meine Überlegungen für die Zeit nach der Krise:
Erkenntnis 1: Verfahrensdokumentation macht krisenfester
Es gab Zeiten, da galt die Verfahrensdokumentation als reine Pflichtaufgabe für die Finanzbehörden – und bei nicht wenigen Unternehmen ist das bis heute so: Immer noch stellen sich vielen Unternehmern beim Gedanken an diese Aufgabe die Nackenhaare auf.
Dabei zeigt die aktuelle Krise: Nur wer die eigenen Prozesse kennt und sauber dokumentiert hat, kann schnell und wirksam auf plötzliche Veränderungen reagieren. Die Verfahrensdokumentation ist zu Unrecht ungeliebt. Durch den Einsatz zeitgemäßer Software erübrigen sich zudem Vorurteile wie das, dass die Erstellung einer Verfahrensdokumentation zu umständlich, aufwendig oder kostspielig wäre.
Zum einen verpflichtet die Finanzbehörde zur Verfahrensdokumentation. Die korrekte Umsetzung nach den Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) wird für Betriebsprüfungen immer zentraler.
Zum anderen ist diese Aufgabe mehr ist als nur eine notwenige, letztendlich beinhaltet die Verfahrensdokumentation massive Optimierungsmöglichkeiten für Unternehmen. Die positiven Effekte machen sich schnell im Alltag bemerkbar. Im Prozess der Verfahrensdokumentation gelingt es Unternehmen, ihre Abläufe auf den Prüfstand zu stellen, zu erkennen, wo Prozesse verbessert werden können und an welchen Stellen bislang Ressourcen vergeudet wurden. Eine Verfahrensdokumentation deckt interne Schwächen auf und macht die Abläufe in Unternehmen besser. Sie stellt Organisationen krisenfest auf.
Erkenntnis 2: Schnelligkeit entscheidet
Schocks können unterschiedlichste Effekte hervorrufen. Die einen erstarren, die anderen agieren in Panik irrational und begehen Fehler. Manche behalten einen kühlen Kopf, schauen sich die Situation an und überlegen: Mit welchen Maßnahmen lassen sich Probleme vermeiden oder überwinden?
Die Verfahrensdokumentation birgt das Potenzial, die Strukturen und Abläufe eines Unternehmens zu durchleuchten und zu optimieren. Unterschiedliche Programme des Bundes unterstützen daher mit einer Beratungsförderung von der Corona-Krise betroffene Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Prozesse, wenn Kanzleien für ihre Mandanten die Erstellung der Verfahrensdokumentation fördern lassen.
Erkenntnis 3: Steuerberater können mehr
In der Krise finden überall Transformationen statt. Bisher stationär verortete Händler starten Onlineshops, selbst gehobene Restaurants liefern ihr Essen aus, Veranstaltungen und Vorträge werden vollständig über Streams verfolgt. Und auch viele Steuerberater erweitern ihr Business: Als Krisenmanager der ersten Stunde helfen sie ihren Mandanten zu überleben und in der Praxis hat sich gezeigt, dass die Lernkurve bei den Mitarbeitern beim Thema Verfahrensdokumentation steil nach oben geht, je mehr Projekte gemeinsam umgesetzt werden – weil parallel ein Verständnis entsteht, worauf es eigentlich ankommt.
Im Zuge der Krise ist zudem erneut bewiesen worden, dass eine Verfahrensdokumentation schnell und effizient bei der Masse der Mandanten, also bei kleineren Unternehmen, abbildbar ist. Zudem profitieren die Mandanten: Durch den Prozess der Verfahrensdokumentation gelingt es Unternehmen, die eigenen Abläufe nochmals gut zu überprüfen. Es offenbart sich, an welchen Stellen die Arbeit noch effizienter gestaltet werden kann und wo Ressourcen bisher nicht ausgeschöpft wurden. Steuerberater können durch eine Verfahrensdokumentation zur Optimierung eines Unternehmens beitragen.
Erkenntnis 4: Kommunikation stärkt gegenseitig
Allein oder mit Konkurrenzdenken durch die Krise kommen? Die klare Antwort: Das ist unmöglich. Wirklich niemand profitiert davon, als Einziger zu überleben. Der Austausch von Erfahrungen, Tipps und Wissen ist wertvoll wie nie. Deshalb arbeiten sich die meisten erfolgreichen Unternehmen in der Krise nicht am Wettbewerb ab, sondern setzen auf Kommunikation. Zusammenhalten stärkt schließlich jeden Einzelnen.
Auch Software-Unternehmen gehen in diesem Bereich mit der Zeit und setzen auf Wissensvermittlung: In Online-Seminaren wurden auch während der Hochphase der Krise die aktuellen Erkenntnisse weitergegeben, im offenen und direkten Austausch mit den Anwendern der Software. Die Vorteile, die sich durch Online-Kommunikation ergeben, wurden während der Krise besonders deutlich.
Erkenntnis 5: Deutschland kann digital
Es hat sich gezeigt, dass das Internet und die digitalen Möglichkeiten noch umfassendere Vorteile bringen, als schon bis vor der Krise genutzt wurden. Lange Jahre schien etwa das Homeoffice für viele Unternehmen ein rotes Tuch zu sein. Doch die Corona-Ausnahmesituation hat eindrücklich gezeigt: Wenn es sein muss, können unglaublich viele Prozesse digital umgesetzt werden. Nun gilt es, diese positiven Erfahrungen in die Zukunft mitzunehmen und die Möglichkeiten der Digitalisierung weiterhin voll zu nutzen. Was in der Krise überlebenswichtig ist, kann Deutschland als Wirtschaftsstandort langfristig weiterbringen.
Schon jetzt zeigt sich, welches Potenzial wirklich hinter digitalisierten Prozessen schlummert. Ob die heimische Wirtschaft tatsächlich in der Lage ist, Digitalisierung alltagsauglich und erfolgreich umsetzen zu können, ist spätestens nach Corona keine Frage mehr. Die Berührungsangst vor Video-Konferenzen, vor Cloud-Lösungen, vor Streams und Podcasts ist praktisch verschwunden. Für die Zukunft kann dies nur Gutes bedeuten.
Fazit: Möglichkeiten nutzen
Mit der Corona-Krise haben sich viele Rahmenbedingungen geändert. Darauf müssen sich Unternehmen und Steuerberater jetzt einstellen – sie tun gut daran, offen über die Krise und ihre Folgen zu sprechen. Und zwar in positiver, lösungsorientierter Weise. Jede Krise ist immer auch Chance für einen Neubeginn. Schon jetzt zeigt sich in vielen Bereichen und auch in der Steuerberater-Branche, dass die Herausforderungen der Pandemie vielerorts neue Möglichkeiten eröffnen. Diese gilt es zu mutig nutzen.
Der Autor Paul Liese ist Geschäftsführer der hsp Handels-Software-Partner GmbH in Hamburg, die Steuerberater und ihre Mandanten in Digitalisierungsprozessen begleitet. Der Beitrag entstammt dem bei Schäffer-Poeschel erschienenen Buch: Scholz/Klumpp/Köchy-Gellfart/Liese/Terwersche, Der Steuerberater als Krisenmanager. |
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